80-Stundenwoche für den schnellen Hafen

■ Gewerbeaufsichtsamt kontrollierte Arbeitszeit im Hafen und fand alles in Ordnung / Aber: Es die Stundenzettel haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun / Betriebsräte schummelten mit, wollen jetzt aber ihre Firmen beim Wort nehmen

Die „Bremer Arbeitslosenzei tung“ brachte den Stein ins Rollen. Im Oktober des vergangenen Jahres, just zum 100sten Geburtstag der Bremer Häfen, veröffentlichte das Blatt der „Bremer Arbeitslosenselbsthilfe e. V.“ die anonyme Zuschrift eines Hafenarbeiters. Er könne „das Gequatsche von der 35-Stunden -Woche und geregelter Arbeitszeit schon nicht mehr hören“, schrieb er. Und weiter: „So wie die Arbeit

anfällt, fahren wir die Schicht. Doppelt, und wenn es sein muß, dreifach, selbst an Sonn- und Feiertagen. Da kommt es schon vor, daß wir eine 80-Stundenwoche haben.“ Titel des zornigen Berichts: „Ein Hafenarbeiter packt aus.“

Die anonyme Anklage setzte das Gewerbeaufsichtsamt in Bewegung, allerdings erst acht Wochen später. Im Dezember also wandte die Behörde sich an mehrere Stauereibetriebe, legte Chefs und Betriebsräten Fotokopien des Berichts vor und kündigte eine Überprüfung der Arbeitszeiten an. Es bestehe der Verdacht, daß im Hafen gegen die gesetzliche Arbeitszeitordnung verstoßen werde. Nach der Ankündigung vergingen noch weitere vier Wochen. Im Januar schließlich suchten Beamte der Gewerbeaufsicht die Stauereien auf und ließen sich die Aufschreibungen über die geleisteten Arbeitsstunden zeigen. Doch siehe da: Von Kleinigkeiten abgesehen, war alles in bester Ordnung. Die Betriebsräte, die auch zu den Gesprächen geladen waren, bestätigten die Angaben ihrer Chefs. Hatte der anonyme

Hafenarbeiter in der „Bremer Arbeitslosenzeitung“ ins falsche Horn getutet?

Die taz hat die zornige Zuschrift im Hafen von fast allen Gesprächspartnern immer wieder bestätigt bekommen. Auch Rainer Müller von der Bezirksleitung der ÖTV meint, daß der Artikel in der Arbeitslosen-Zeitung im großen und ganzen zutrifft. Zwei oder gar drei Schichten hintereinander schuften, das kommt regel

mäßig vor.

Tatsächlich hat diese Über-Ausbeutung der Hafenarbeiter System. Auf ihrem schonungslosen Einsatz beruht der Ruf Bremens als „schneller Hafen“. Wenn dann aber kein Schiff an der Pier liegt, bleiben die Stauer oft tagelang zu Hause, sodaß am Monatsende gar keine oder nur wenige Überstunden auf der Abrechnung stehen. Der wirtschaftliche Grund für dieses Wechsel

bad: Jeder Umschlagsbetrieb, der eine Reederei als Kundin gewinnen will, muß ihr anbieten, daß seine Leute solange arbeiten, bis das Schiff fertig be- oder entladen ist: Service rund um die Uhr.

Die gängige „Doppelschicht“ bedeutet Arbeit von morgens sechs bis mindestens 23 Uhr in der Nacht. Rechnet man noch die Zeit für Arbeitsweg und Mahlzeiten hinzu, bleiben für den Stauer kaum mehr als vier Stunden

Schlaf. Ein hoher Krankenstand, eine hohe Frühinvalidität sind die Folgen dieses Raubbaus. Die gesetzliche Arbeitszeitordnung schreibt deshalb vor, daß zwischen Arbeitsende und der neuen Schicht mindestens zehn Stunden Pause liegen müssen. „Also spätestens um 20 Uhr muß Feierabend sein“, mahnte die Gewerbeaufsicht bei den Gesprächen im Januar. Die Firmenchefs nickten mit dem Kopf und machten einen ebenso mustergültigen Eindruck wie die Stundenaufschreibungen, die sie dem Amt auf den Tisch gelegt hatten. Wie echt ihr Kopfnicken war, das muß vorerst dahingestellt bleiben. Die Stundenaufschreibungen waren es nicht. Die waren gezinkt. Das jedenfalls behaupten Hafenarbeiter, die über den betreffenden Zeitraum ihre eigene Statistik geführt haben.

Ausnahmslos haben die Betriebsräte gute Miene zum bösen Spiel gemacht, um ihre Firmen nicht zu schädigen. Aber einige versuchen nun, doch noch etwas Gutes für ihre Kollegen dabei herauszuholen. „Wenn wir schon für die Firma lügen mußten“, haben sie sich gedacht, „warum nicht aus der Lüge Wahrheit machen?“ Seitdem bestehen sie zum Beispiel darauf, daß bei den Doppelschichten um 20 Uhr Feierabend ist. Die Stauer gehen dann eben einfach von Bord, mögen der Boß und der Kapitän sich noch so die Haare raufen.

mw