: Swinging Metropolis
■ 20. Pope, Popo, Hohnepipel
Orientexpress? Alles klar, UbahnLinie 1. Und Klein-Istanbul? Kreuzberg, logo. Aber „Russenschaukel“, was'n das? Ganz einfach, die Buslinie, mit der man den Kudamm langzuckelt, nach „Charlottengrad“. Um 1923 befinden sich unter den 3,8Mio. Berlinern über 300.000 Russen, Emigranten größtenteils. Deren wirtschaftlicher & kultureller Einfluß ist erheblich und speziell im „Russenviertel“ zwischen Wittenberg- & Nollendorfplatz speist Iwan & trinkt & Kalinka tanzt & singt & die Seele schlägt erbarmungslos zu. Da gibt's bei Bürgerschreckens daheeme einiges zu verkackeiern. Zum Beispiel den prä-chagallesken Kitsch aus dem Blauen Vogel, einem Kabarett moskowitischer Provinienz, gelegen an der Goltzstraße bei der Motzstraße - echt, so bilderbuchmärchenhaft echt, daß Froll'n Direktor Hesterberg ihre Entdeckung Erika von Thellmann mit dem „Russischen Holzschnitt“ auf die Wilde Bühne schickt. Im Mittelpunkt stehen Pope & Popin, drumrum reimt sich Kinderchen auf Rinderchen, Mütterchen auf Flitterchen, Himmelchen auf Kümmelchen, bis die Idylle zu schielen beginnt: „Herrlich, ihr Brüder, lebt der Pope hienieden! / Am Tische sitzt der Samowar, / Das Vogelbauer gibt Pfötchen, / Das Vögelchen sitzt im Samowar, / und pfeift auf einem Schlötchen! / Die Popin die Gitarre kühlt, / Der Pope auf der Popin spielt, / Wie's ihnen Gott beschieden! / Herrlich, ihr Brüder, lebt der Pope hienieden!“
Nicht nur Spott, auch Schick regiert im Kelleretablissement: die Wände mit blauem Stoff bespannt, in dimmeriges Licht getauchter Samtvorhang, schwarz, drauf silberne Ornamente. Von „expressionistisch-futuristischem Anstrich“ schreibt ein kunstkundiger Journaillevertreter. In solch edelrevolutionärer Atmosphäre debütiert u.a. die Tänzerin Henriette Hiebl, Anfangsgage: 1 Million Mark pro Tag („Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ ist ohnehin grad der Karnevalshit). Später wird sie nicht mehr soviel Papier schleppen müssen, um dennoch was wohlhabender zu sein, später, wenn sie als La Jana volksgenössische Erotik verkleckern darf. Als weitere wichtige Dame sei Margo Lion aus dem prallen Hesterbergschen Füllhorn gezogen. Französische Modistin, rein äußerlich schon ein Kind des herrschenden Schönheitsdiktats, besitzt sie allerdings die seltene Gabe treffsicherer Ironie. Marcellus Schiffer, hauseigener ChansonAutor, schleppt sie an und gewissermaßen auch ab; die beiden werden heiraten und ein bombiges RevueTeam werden, zusammen mit Mischa Spoliansky, der ihr gleich zum Einstand ein Lied auf den Leib schreibt, sprichtwörtlich passend wie das Kupfer aufs Dach. „Es schtäht in dem Fenster derr Mänschheit zur Schau / Aine maggere Frau uunbäwäglich...“ geht's los. Dann krümmt sich gespenstisch das mondäne Wesen in Kalkweiß & Schwarz, gestisch zu steigern den Refrain: „Wer ist dieses Ausrufezeichen der Not, / Welch Abgesandter vom Tode? / Man weiß nicht, ist es der Hungertod / Oder die neueste Linie der Mode?“ Kurz nur begeistert sie dieserorts - am 16.Oktober 1923 geht, verursacht durch einen defekten Ventilator, die Wilde Bühne in Flammen auf.
Natürlich hatte auch er zum Ensemble gehört, denn ohne Wilhelm „Lieschen“ Bendow geht die Chose einfach nicht. Wie weiland der Igel dem Hasen, näselt er uns allüberall „Ich bin schon da!“ entgegen, und aus dem abgekokelten Laden in der Kantstraße errichtet er gar seinen eigenen, das fröhlich -tuckige Tü Tü. Wird von Walt Disney behauptet, er hätte den Gegenstand seiner Begierde mit der Kreation nackter Entenärsche kaschiert, so hängt der selbstbewußt emanzipierte Komiker seine posteriore Tendenz gern öffentlich raus. Als eine Besucherin vor Lachen vom Stuhle fällt, trant er besorgt: „Hoffentlich haben Sie sich hinten nicht verletzt!“ In einer der berühmten CharellRevuen agiert er vor der ethnologischen Schautafel „Wilder Mann von vorn, wilde Frau von hinten“. Bei ihm klingt's wie „Will der Mann“. Und noch mal der unverwüstliche, von Loriot aufgegriffene RennbahnSketch, die Stelle, da er seinen kongenialen Partner Paul Morgan fragt, ob die Pferde das ganze Jahr hier so rumliefen. Auf die Antwort „Bei uns in Deutschland nicht, aber in Frankreich, in Auteul, in Biarritz und in Pau“, schnurrt Bendow (nach langer, langer Pause): “... Im Po auch? Ach, sind Sie ordinär!“
Gibt's doch alles nicht mehr, Allroundler & Spontaniker wie „Mr.Meschugge“ Erich Carow, der einen seiner Kollegen nachdem dieser einen deftigen Witz losgelassen hatte, unterbricht, um eine Besucherin der Lachbühne anzusprechen: „Gnäje Frau, finden Se nich, daß das ein bißchen stark war?“ „Aber gar nicht.“ „Du bist aber abjebrüht!“ Am knüppeldicksten treibt's ein dritter Conferencier mit preußischem w hintendran. Elow, eigentlich Erich Lowinsky. Im Friedrichstädter Monbijou gründet er sein Kaberett der Namenlosen, engagiert ausschließlich arme, unfreiwillig komische NonTalente und betreibt gezielt antithetische Publikumsbeschimpfung. Auf der „Lenny„- oder Mel-Brooks-Ebene setzt er voll auf Masochismus, pflegt eine Niveaulosigkeit, die selbst Karl „Holzhammer“ Damm einen ehrfürchtigen Kotau abnötigen müßte. So fragt er einen Zuschauer: „Is das Ihre Frau?“ Der Herr nickt. „Dann sagen Sie Ihrer Frau, sie soll die Schnauze halten.“ Applaus. Der Mann in der ersten Reihe errötet, die Dame fühlt sich geschmeichelt. „Ruhe, ihr Armleuchter!“ befiehlt Elow. „War die Tanzdarbietung nicht geradezu ein Erlebnis?“ Alle brüllen „Jawohl!“ „Aber es kommt noch besser. Jetzt schicke ich einen heraus, der Paul Müller heißt. Er ist aus Tolkewitz. Das liegt in Sachsen. Paul Müller spricht sächsisch und gibt vor, Rezitator zu sein. Er wird Ihnen eine Ballade vortragen. Machen Sie sich auf das Äußerste gefaßt. Paul Müller aus Tolkewitz ist, wenn nicht alles täuscht, verrückt. Ich habe keine Kosten gescheut, diese wertvolle Kraft für mein Kabarett zu gewinnen. Denn ich kann es nicht dulden, daß nur im Zuschauerraum Verrückte sind.“
Norbert Tefelski
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