: Khomeinis christliche Vorfahren
■ Der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner über päpstliche Mordaufträge, Bücherverbrennungen und Hexen- und Ketzerverbrennungen
taz: Herr Deschner, weltweite Aufregung über das Buch von Salman Rushdie, Todesdrohungen gegen einen Autor, der religiöse Gefühle verletzt haben soll. Ist das ein Spezifikum des Islam oder kommt ihnen das aus der Geschichte des Christentums bekannt vor?
Deschner: Ja, natürlich. Gerade die monotheistischen Religionen waren immer von fanatischer Unduldsamkeit. Deshalb ist der Ein-Gott-Glaube ethisch gesehen - und was anderes interessiert hier nicht - ein fürchterlicher Rückschritt, eine Katastrophe. Schon im alten Testament beginnt das Verfolgen durch Jahve. Jeder, der etwas auf sich hielt - und in der christlichen Religion heute noch hält verfolgte, bekriegte, massakrierte. Auch außerhalb des Krieges florierte der Mord, drohte man für alles mögliche den Tod an: für Ehebruch zum Beispiel, für Geschlechtsverkehr während der Menstruation, für Hurerei, für Inzest, Homosexualität, Unzucht mit Tieren. Natürlich wurde auch jede Verehrung eines anderen Gottes mit dem Tod bestraft, jede Lästerung des eigenen Gottes ahndete man ebenso wie Zauberei, Wahrsagerei oder die Arbeit am Sabbat, Ungehorsam gegen Priester und vieles andere mehr. Und die meisten dieser Todesandrohungen kehren im Christentum wieder.
Hat es denn auch im Christentum Todesdrohungen, wie jetzt gegen Rushdie, gegeben?
Natürlich hat es diese Todesdrohungen gegeben durch fast alle Jahrhunderte. Massiv und mit furchtbarsten Folgen. Nur in der Frühzeit, als die Christen noch machtlos waren, wurden ihre Theologen nicht müde, der Welt Frieden zu verkünden und religiöse Toleranz. Sie versicherten, niemandem Unrecht zu tun, nicht Böses mit Bösem zu vergelten und lieber das eigene Blut zu vergießen als Hände und Gewissen mit dem Blut anderer zu beflecken. Aber kaum hatten die Christen Macht, trat an die Stelle der alten Ideologie der Märtyrer die der Verfolgten.
Schon Konstantius II., der Sohn des ersten christlichen Kaisers belegte um die Mitte des vierten Jahrhunderts als erster christlicher Herrscher die Ausübung des heidnischen Kultes mit der Todesstrafe und kassierte den Besitz der Hingerichteten. 385 wurden auch die ersten Christen durch Christen - Bischof Priscillian und seine reichen Anhänger, darunter auch eine Frau - zum Tod verurteilt und sofort geköpft. Die Bischöfe Britto und Felix von Trier haben dieses Verbrechen, das selbst nach kirchlichen Vorstellungen ein Verbrechen war, gebilligt. Später tat das auch ausdrücklich der bedeutendste Papst des fünften Jahrhunderts, Leo I., der auch schon den Staat aufhetzte, Häretiker zu verbannen, einzukerkern und zu töten. 398 wurde schon der Besitz von „Ketzertraktaten“ mit dem Tod bedroht, und seit dem 5. Jahrhundert wurde fast jede nichtkatholische Literatur systematisch vernichtet - die dann später den Nazis üblichen Bücherverbrennungen florierten in allen Jahrhunderten.
Die Päpste befahlen auch lange Zeit den Tod nicht bereuender, andersgläubiger Christen. Dabei mußten alle Gläubigen ohne jede Rücksicht jeden der Häresie Verdächtigen denunzieren. Der Sohn hatte für den Tod des Vaters, die Mutter für den der Tochter, die Schwester für den des Bruders zu sorgen - keine Bindung galt mehr, kein Vertrauen, kein Eid - jeder mußte jeden verraten, denn wie Innozenz III., der mächtigste Papst der Geschichte, lehrte: „Den kanonischen Gesetzen gemäß darf dem keine Treue gehalten werden, der Gott keine Treue hält.“
Gott, das ist immer wieder einzuschärfen, sind sie selbst, ist der hohe Klerus, Gott ist das trojanische Pferd aller Pfaffen, ist der einzige Herr der Welt, der weniger zu sagen hat als seine Diener. Selbst offensichtlich Geisteskranke wurden gar nicht selten auf die Scheiterhaufen geschickt. Sogar wer keiner Straftat schuldig war, doch zum Täter in irgendeiner Beziehung stand, konnte bestraft werden - Kinder etwa für das Verschulden ihrer Eltern, Untergebene für das ihrer Vorgesetzten. Papst Gregor IX. exkommunizierte im frühen 13. Jahrhundert bis in die siebte Generation und Papst Urban II., gestorben 1099, sah im Töten „aus Eifer für die Mutter Kirche“ keinen Mord. Der Inquisitor Konrad von Torso vertrat angeblich den Grundsatz: „hundert Unschuldige verbrennen wir, wenn auch nur ein Schuldiger unter ihnen sich befindet.“
1568 beschließt das spanische Inquisitionstribunal die Beseitigung von drei Millionen Niederländern. Papst Pius schickt Herzog Alba, der schon viele Tausende ermordet hatte, zur weiteren Anfeuerung einen geweihten Degen. Unter Greueln, wo man Töchter im Blut ihrer Väter erstickt, werden ganze Städte bis auf das letzt Kind liquidiert. Papst Pius V., ein ehemaliger Inquisitor und doch heilig gesprochen, forderte auch die Ausrottung der Hugenotten. 1572 sterben unter dem Schlachtruf „Es lebe die Messe! Tötet, tötet!“ in Frankreich 20.000 Hugenotten. Papst Gregor XIII veranstaltet aus Freude darüber öffentliche Lustbarkeiten und prägt auf einer Fest-Medaille einen Hugenotten schlachtenden Engel und rückseitig sein eigenes Bild. Derselbe Heilige Vater übrigens, der die Massenmorde der Bartholomäus-Nacht im Tedeum feierte, führte eifrig den Plan zur Ermordung der englischen Königin Elisabeth I. Dabei beteuerte er, „daß jeder, der sie aus der Welt schafft, in der gebührenden Absicht Gott damit zu dienen, nicht nur nicht sündige, sondern sogar ein Verdienst erwerbe.“
Denn die Kirche lehrt zwar „seid Untertan der Obrigkeit“ und biedert sich damit bei allen Staaten an. Doch selbst Hitler und dem Nazireich hatten alle deutschen katholischen Bischöfe im Juni 1933 „einen Abglanz der göttlichen Herrschaft und eine Teilnahme der ewigen Autorität Gottes“ attestiert. Und natürlich hatten sie auch nicht Hitlers Ermordung betrieben, mit dem sie vielmehr - so sehr sie es seit jahrzehnten bestreiten - trotz des Kirchenkampfes auf Teufel komm raus kollaborierten bis zum Ende des Krieges. Paßt ihnen ein Staatsmann nicht, dann gilt nicht mehr „seid Untertan der Obrigkeit“ sondern dann gilt „Ihr sollt Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Mit solcher - auch in ungezählten anderen Fällen praktizierten - Doppelzüngigkeit mogeln sich die christlichen Kirchen ebenso schamlos wie erfolgreich durch die Zeit.
Nun kann man ja sagen, päpstliche Mordaufrufe, Kreuzzüge, Ketzer - und Hexenverbrennungen liegen einige hundert Jahre zurück, waren halt Erscheinungen einer „unzivilisierten“ Epoche. Lebt denn dieses Denken als Erbe der katholischen Kirche weiter?
Durchaus. Noch heute sind alle Grundgedanken, die zur mittelalterlichen Inquisition führten, im Katholiszismus gültig und lebendig. Noch heute besteht das mittelalterliche Inquisititionstribunal fort, wenn auch unter anderem Namen. Und seit der Verbreitung des Humanitätsgedankens durch die Aufklärung wurde auch die Praxis der Generalinquisitoren sozusagen „vergeistigt“. Als katholische Studenten 1947 in Madrid eine anglikanische Kapelle plünderten, verkündeten sie in einem Flugblatt wörtlich: „Wir spanischen Akademiker von 1947 betrachten uns im Vollsinne des Wortes als Erben des Geistes der Inquisition“. In einem anderen Flugblatt hieß es: „Wir würden die Scheiterhaufen der Inquisition der liberalen Toleranz vorziehen.“ Noch 1952 behauptete auch der spanische Kardinal Segura in einem Hirtenbrief, daß der Ketzer bei einem Konflikt mit Katholiken keinen Rechtsschutz genieße. Und ein Jahr später beteuerte Kurienkardinal Ottaviani in Hinblick auf die protestantischen Minderheiten Italiens und Spaniens: „in den Augen eines wahren Katholiken ist die sogenannte Duldsamkeit nicht am Platz.“ Natürlich ruft man heute nicht mehr zum Mord am Gegner auf, auch wenn man früher manchmal selbst Päpste ermordet hat und ein Papst sogar den anderen umbrachte. Doch den Mord im Krieg unterstützen die christlichen Kirchen ja auch im 20. Jahrhundert noch. Und gerade der große Faschistenkomplize und private Multimillionär Papst Pius XII - er starb mit einem Privatvermögen, das er angeblich ganz zur Rettung der Juden unter Hitler ausgegeben hatte, von 80 Millionen DM in Gold und Valuta - auch dieser heilige Vater schrieb 1940 von den Millionen Soldaten im Heer Hitlers: „Sie haben geschworen, sie müssen gehorsam sein.“ Kommentar überflüssig. Im übrigen erklärte das 2. Vatikanum zwar offiziell, „daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang, sowohl von seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen wie jeglicher menschlicher Gewalt...“ aber eineinhalb Jahrtausende hat gerade diese Kirche - die evangelische einige Jahrhunderte genauso - das Gegenteil getan, ohne sich je - was nützte es auch - dafür schuldig zu sprechen. Das etwas mickrige Stuttgarter Schuldbekenntnis der Protestanten zur Beteiligung am Hitlerregime einmal beiseite. Die Protestanten haben damals ja sogar etwas gemacht, was selbst die Katholiken nicht gemacht haben: sie haben 1941 eine Art Ariernachweis verlangt und protestantische jüdische Christen aus der Kirche ausgeschlossen.
In Wahrheit verdanken wir alle humanen Formen und Gesetze des Zusammenlebens verantwortungsbewußten außerkirchlichen Kräften im andauernden Kampf gegen das Christentum. In Wahreit ist - und hier zitiere ich den bedeutenden protestantischen Theologen Martin Dibelius - die Kirche stets die „Leibwache von Despotismus und Kapitalismus“ gewesen.
Wie glauben Sie sollte sich denn jetzt die Kirche gegenüber dem Fall Rushdie verhalten?
Das fällt leider nicht in meine Kompetenz. Ich kann nur sagen, wie sich die Katholiken, die Christen überhaupt, grundsätzlich verhalten sollten: sie sollten sich einmal ernsthaft mit der Geschichte ihrer Kiche befassen, denn diese Kirchen leben davon, daß ihre Gläubigen die eigene Kirchengeschichte nicht kennen. Sie sollten kirchen- und christentumskritische Werke mit meinetwegen hunderten von apologetischen, fundamentaltheologischen Schmökern vergleichen. Das heißt, sie sollten anfangen zu denken und Konsequenzen zu ziehen.
Die Staaten aber sollten die christliche Zwangstaufe für Säuglinge abschaffen, eine schauerliche Vergewaltigung von Babies, für die es keinen auch nur entfernt ähnlichen Vorgang in totalitären Regimen gegeben hat und gibt. Und zweitens sollten die Staaten den schon beträchtlich großen kirchen- und konfessionsfreien Kreisen einen entsprechenden Anteil an den Rundfunk- und Fernsehsendungen geben: in zwei, drei Generationen spätestens wären die christlichen Kirchen zu unbedeutenden Sekten herabgesunken. Deshalb wachen die Kirchen über dem Rundfunk mit Argusaugen und ihre Büttel wachen mit. Das Christentum hat kritische Aufklärung immer gefürchtet wie die Pest, denn Aufklärung ist Ärgernis.
Das Interview führte Vera Gaserow
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