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Demokratisches Bündnis gegen Milosevic

■ Slowenische Reformkommunisten und Opposition solidarisch mit Kosovoalbanern / Von Erich Rathfelder

Mit seinen antialbanischen Parolen hat der serbische Parteichef Milosevic den Nationalismus seiner Landsleute geschürt, mit Panzern hat er die Streikbewegung im Kosovo unterdrücken lassen. In den reformorientierten Republiken Jugoslawiens - Kroatien, Bosnien und Slowenien - will man dem nicht mehr zusehen. In Slowenien haben jetzt sogar Parteiführung und grün -alternative Opposition demonstrativ eine gemeinsame Veranstaltung gegen Milosevic organisiert und vom Fernsehen übertragen lassen.

Als die neuen Gebäude der Universität von Pristina in den siebziger Jahren hochgezogen wurden, war ihre Architektur sehr umstritten. Die Bibliothek, deren sanfte und verspielte Linien auf die Konturen einer Moschee anspielen, war damals bei der Bevölkerung als Prestigeobjekt der Regierung verpönt. Hätte man in diesem Armenhaus Europas die Millionen nicht lieber für die Entwicklung der Landwirtschaft ausgeben sollen?

Doch der Symbolismus des Gebäudes, dessen Oberfläche von Dutzenden von fezähnlichen Gebilden übersät ist, wird erst heute vielen deutlich: Die so nachempfundenen Hüte der Albaner zeigen nicht nur das Verständnis des Architekten für die heimische Tradition. Die Bibliothek symbolisiert die kulturelle Eigenständigkeit der Kosovoalbaner. Und die sind heute zu recht stolz auf ihre Bibliothek.

Tito, der Gründer des sozialistischen Jugoslawiens, war es, der 1974 eine neue Verfassung verfügte, die der Region und den Kosovoalbanern das Recht auf eigene Sprache und Kultur zugestand und auch ihre politische Repräsentanz im eigenen Land wie im Bund verbesserte. Jahrhundertelang waren sie in Klans aufgepalten und zersplittert gewesen. Jetzt keimte die Hoffnung, sie würden endlich den anderen Völkern Jugoslawiens gleichberechtigt werden. In den Demonstrationen von 1981, die durch den Einsatz der Armee in einem Blutbad endeten, wurde folgerichtig die Anerkennung der Region als eigenständige Republik im Rahmen der jugoslawischen Föderation angestrebt.

Das ist jetzt Schnee von gestern. Heute, nach all den Demütigungen und Beleidigungen aus Serbien, würde es den meisten Albanern schon genügen, wenn nur das Autonomiestatut in Kraft bliebe. Tito ist nach wie vor die populärste Figur im Lande. In allen Restaurants, Geschäften und öffentlichen Gebäuden hängt sein Bild. „Wenn Tito noch lebte, hätten wir heute nicht zu leiden“, hört man überall. Denn der serbische Nationalismus und die Kampagne des dortigen Parteichefs Slobodan Milosevic zielt auf das, wovor sich die Albaner am meisten fürchten: die Zerstörung ihrer Kultur, die Verschlechterung ihres Status zum Volk zweiter Klasse in Jugoslawien.

Die über 80 Verhaftungen vom Wochenende legen Zeugnis ab: Nicht mehr nur albanische Funktionäre der Partei sind in das Mühlwerk der serbischen Justiz geraten, sondern viele Intellektuelle. Das Historische Institut und die Akademie der Wissenschaften werden von den Serben als „Zentren der Konterrevolution“ hingestellt. Ein Vorwurf, der nach dem jugoslawischen Recht Gefängnisstrafen von mindestens 10 Jahren und sogar die Todesstrafe nach sich ziehen kann.

Historische Erfahrungen

Die Angst geht um in Pristina. Denn die Erfahrungen mit dem serbischen Nationalismus sind im Volk der Kosovoalbaner lebendig. Ob 1877/78 im serbisch-türkischen Krieg (damals gehörte die Region noch zur Türkei), ob während des Balkankriegs von 1912 - immer war es die serbische Soldateska, die mordend und brennend durch ihre Dörfer zog und Zehntausende massakrierte. Für die orthodox-christlichen Serben waren die muslimischen Albaner auch später Menschen zweiter Klasse. Als nach dem Ersten Weltkrieg 1918 im Vertrag von St.Germain Jugoslawien Gestalt annahm, wurden die Rechte der Albaner mit Füßen getreten. Auch nach dem Sieg der Kommunisten gegen die deutsche Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg änderte sich das kaum - trotz der ihnen jetzt zugestandenen formellen Rechte.

Welche albanische Familie wüßte nicht vom Terror des damaligen Innenministers Rankovic zu erzählen, der durch die Geheimpolizei Tausende Albaner ermorden ließ und Hundertausende in das türkische, westeuropäische und amerikanische Exil trieb. Erst als Tito dem 1966 ein Ende machte, besserte sich die Lage für die Kosovoalbaner.

Die Versöhnung blieb aus

Es war übrigens ein Serbe, der Sozialist Dimitrii Tutovic, der schon vor dem Ersten Weltkrieg auf die Verbrechen der Serben an den Albanern hingewiesen hatte. In seinem Buch Serbien und Albanien hoffte er, die Albaner würden nach einigen Generationen in der Lage sein, den Serben zu vergeben. Doch die Wirkung des Buches blieb aus - zu einer Versöhnung kam es nicht, der serbische Nationalismus blieb antialbanisch. Selbstredend ist das Buch in Jugoslawien niemals mehr aufgelegt worden. Und natürlich ist es heute in Jugoslawien nicht zu kaufen.

Vor diesem Hintergrund ist es für die Albaner eine geschichtliche Ungeheuerlichkeit, wenn heute die serbischen Nationalisten davon sprechen, an der serbischen Minderheit im Kosovo werde ein „Völkermord“ verübt. Auch die Behauptungen, serbische Frauen würden von Albanern vergewaltigt und die Serben systematisch aus dem Land getrieben, sind, in eine psychologische Kategorie gefaßt, Projektionen serbischer Aggressionen. Heute könne man in Jugoslawien den Albanern alles vorwerfen - Separatismus, Terrorismus, Konterrevolution und alle Schandtaten der Welt

-schrieb sinngemäß die Journalistin Nasira Vlasi, in einem Artikel für die kroatische Parteizeitung 'Vjesnik‘. Sie ist die Ehefrau des jetzt als Konterrevolutionär unter Anklage stehenden ehemaligen Parteichefs des Kosovo, Azem Vlasi. Und in Slowenien wurde ein Sticker mit dem Davidsstern und der Aufschrift: „Kosovo ist unsere Heimat“ verkauft. Ein Zeichen dafür, wie ernst viele Menschen im Jugoslawien jenseits von Serbien die neuerliche Bedrohung der Albaner nehmen.

„Marsch auf Tirana“

Die Politik des serbischen Parteichefs Milosevic fällt nicht vom Himmel, sie entstammt einer Tradition: der Geschichte des serbischen Nationalismus, der auch heute noch, über die Grenzen Jugoslawiens hinaus, von dem „Marsch auf Tirana“, die Hauptstadt des Staates Albanien, träumt. Und seine Politik ist die Konsequenz einer Geschichtsauffassung, die immer noch eisern daran festhält, das „Amselfeld“ (Kosovo Polje) sei das Herzland Serbiens. Nach serbischer Auffassung wird aus der Tatsache, daß 1389 dort Fürst Lazar im Kampf gegen die Türken fiel, die Berechtigung abgeleitet, die Kosovoalbaner heute aus diesem Gebiet zu vertreiben.

„Mit seiner nationalistischen Kampagne hat der serbische Parteichef einen Nerv in der Bevölkerung getroffen“, meint der slowenische Publizist Ervin Hladnik-Milharcic. Die Massendemonstrationen, die ständig vom Fernsehen übertragen werden, die Zustimmung großer Teile der Bevölkerung zu den undemokratischen und menschenverachtenden Parolen seien nicht allein mit der knallharten Organisation der Versammlungen zu erklären. Die gibt es natürlich auch: Bei der letzten Massendemonstration war arbeitsfreier Tag in Belgrad, organisierte Parolenschreier wurden sogar bezahlt. Aber vor allem habe Milosevic erreicht, daß in Serbien heute nicht mehr über die Wirtschaftskrise, sondern über den Kosovo diskutiert wird, bedauert der Belgrader oppositionelle Marxist Pavlusko Imsirovic.

Kroatien, Slowenien

und Bosnien

Der Druck auf die Albaner hat in den nördlichen und ökonomisch weiterentwickelten Republiken des Vielvölkerstaats jetzt auch das Parteiestablishment aufgeschreckt. „Endlich beginnt auch in Kroatien eine demokratische Bewegung“, freut sich Rastko Mocnik, Vizepräsident der Universität von Ljubljana. Letzte Woche wurde dort nämlich ein Nationaler Rat, in dem Parteivertreter neben unabhängigen Persönlichkeiten sitzen, aus der Taufe gehoben. Und eine „Liberale Sozialistische Kroatische Allianz“ ist dabei, sich zu gründen.

Auch in Bosnien gibt es Anzeichen für eine offenere Politik, die Führung müsse dort aber Rücksicht nehmen auf die starke serbische Minderheit und sei zudem in Korruptionsskandale verstrickt. In Slowenien versammelten sich am Montag vergangener Woche die Partei und ihre Opposition erstmals zu einer gemeinsamen, vom Fernsehen übertragenen Veranstaltung.

Doch noch immer zögern die Bürokratien der nördlichen Republiken vor der offenen Kampfansage an Milosevic. „Der kroatische Parteichef Stipe Suvar hat viele Chancen verstreichen lassen, sich an die Spitze einer demokratischen Erneuerung in Jugoslawien zu stellen“, beklagt Pavlusko Imsirovic. Noch hätten die Bürokratien Angst, ihre Macht selbst zu beschneiden. Und tatsächlich: In ihrer Entgegnung auf Milosevic sprechen die Parteiführer der anderen Regionen die alte Sprache. Mit ihrem dogmatischen Formelkauderwelsch sind sie nicht in der Lage, den Menschen eine andere, neue Perspektive jenseits von Milosevic anzubieten.

Das beste Beispiel für die defensive Haltung des Parteiestablishments war die Partei im Kosovo selbst: Bis letzte Woche streikten die Minenarbeiter von Trepca und Stari Trg (die übrigens mit als erste 1941 den Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht aufnahmen - und nicht gegen die sowjetische, wie es aufgrund eines redaktionellen Fehlers in der taz vom 3.3. hieß). Als die Partei sie dann zurückpfiff, versuchten Funktionäre wie Azem Vlasi in altbekannter Manier, eine gütliche Einigung mit den Serben anzustreben.

Doch sie gewannen nichts und verloren alles. Heute sind sie verhaftet, und der albanische Erfüllungsgehilfe der serbischen Politik, Rahman Morina, und seine Freunde sitzen wieder fest im Sattel der Partei des Kosovos. Die Streikenden, die ja deren Ablösung gefordert hatten, sind mundtot gemacht. Die Mobilisierung der Bevölkerung ist gebrochen. Schon gehen serbische und montenegrinische Bürokraten und Polizisten daran, die Verwaltung in der Provinz in ihre Hände zu nehmen. Mitte März soll dann der Kosovo wieder vollständig der serbischen Oberhoheit unterstehen. Niemand weiß, wie die angekündigte Verfassungsreform aussehen wird. Fest steht nur, daß Serbisch in Zukunft die einzige Amtssprache sein wird. „Es geht nicht darum, ob die Slowenen die Albaner lieben“, resümiert der Slowene Ervin Hladnik-Milharcic. „Slowenien und Kroatien haben eine mitteleuropäische Tradition, der Süden Jugoslawiens eine osmanische. Auch hier bei uns gibt es nationalistische Vorurteile. Doch hängt an der Behandlung des Kosovoproblems auch die demokratische Perspektive für das gesamte Jugoslawien. Wenn dort Menschen zweiter Klasse geschaffen werden, geht das an die Substanz. Es ist Zeit, gegen Milosevic offensiv aufzutreten.“

In der Tat: Schon wird der slowenische Parteichef Milan Kucan in der Belgrader Propaganda als „Konterrevolutionär“ gebrandmarkt.

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