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BKA gesteht Wecker-Deal

Am 8.Verhandlungstag im Strobl-Prozeß steht „Wecker-Programm“ des BKA im Vordergrund / BKA ließ 7.000 Wecker an Uhrenfachgeschäfte verteilen, um potentielle Käufer zu ermitteln  ■  Aus Düsseldorf Gitti Hentschel

Klaus Arend, Vorsitzender des 5. Strafsenats am Düsseldorfer Oberlandesgericht hatte zum 8.Verhandlungstag im Prozeß gegen Ingrid Strobl einen Mini-Wecker „Emes Sonochron“ zur Anschauung mitgebracht. Ein solches Exemplar mit der Nummer 6457 ist zentrales Beweisstück im Verfahren. Ein Emes -Ziffernblatt mit dieser Nummer wurde beim Lufthansa -Anschlag der Revolutionären Zellen (RZ) am 28.10.86 gefunden.

Die beiden BKA-Hauptkommissare, der 41jährige Rolf Finkler und der 35jährige Bernd Deutesfeld, zeigten sich als Zeugen davon überzeugt, daß die 36jährige Journalistin Ingrid Strobl genau diesen Wecker im Kölner Uhrenfachgeschäft Wempe gekauft habe. Die Nummer hatten die Beamten im Rahmen eines „Wecker-Programms“ selbst in das Ziffernblatt eingestanzt. Insgesamt 7.000 Emes-Ziffernblätter wollen sie so numeriert haben, weil die RZ wiederholt Emes-Mini-Wecker als Zündverzögerer bei Anschlägen benutzt hatten. Der Plan des BKA war, über die registrierte Wecker-Nummer an die KäuferInnen und somit an die RZ zu kommen. 30 Uhrengeschäfte belieferte das BKA selbst mit präparierten Weckern. In die Geschäfte wurden Videokameras eingebaut, um die KäuferInnen aufzunehmen. Das Personal wurde angewiesen, Personenbeschreibungen anzufertigen und Kontrollnummern auf der Verpackung aufzubewahren. Die Firma Wempe übernahm jedoch nicht die BKA-Aufkleber zur Nummernkontrolle, sondern benutzte eigene Etiketten. Das Etikett des Strobl-Weckers existiert nicht mehr, sondern lediglich ein Zettel mit verschiedenen Handschriften des Verkaufspersonals, auf dem unter anderem auch besagte Nummer steht. Die Verkäuferin aber, die Ingrid Strobl bediente, hat diese Nummer nach eigenen Angaben nicht notiert. Um eine Verwechslung von Nummern zu vermeiden, wollen die BKA-Beamten nach ihrer Aussage von Anfang an „Gegenkontrollen“ durchgeführt haben. Richter wie Verteidigung äußerten gleichermaßen Unverständnis, daß die BKA-Beamten die VerkäuferInnen als ZeugInnen für den Weckerkauf von Ingrid Strobl, erst ein Jahr und vier Monate nach diesem Kauf und 15 Monate nach dem Anschlag, förmlich vernommen haben. Durch das beharrliche Nachfragen von Verteidiger Wächtler ergibt sich schließlich ein Bild: Die Beamten haben diesen Angaben keine Bedeutung beigemessen, weil das „Wecker-Programm“ geheim bleiben und daher nicht der Beweisführung dienen sollte. Unruhig wird Finkler auf den Vorhalt von Wächtler, daß nach Auskunft der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im März 1988 das BKA weder Wecker verkauft noch vertrieben habe. Doch der BKA -Mann bleibt dabei: „Wir haben Wecker aufgekauft.“ Hat also die Bundesregierung gelogen?

Die Erinnerung der jungen Verkäuferin an den konkreten Ablauf des Verkaufsgesprächs mit Ingrid Strobl vor fast 2 1/2 Jahren erweist sich als lückenhaft. Die Zeugin erkennt die Angeklagte nicht mehr eindeutig als Käuferin wieder. Dagegen hat sie etwa ein halbes Jahr nach dem Kauf Ingrid Strobl zweifelsfrei in einem WDR-Film identifiziert. Die Verkäuferin berichtet, Ingrid Strobl habe den Emes-Wecker für ihren „Mann“ kaufen wollen. Das und Strobls vermeintliches Desinteresse an der Farbe des Weckers hatte die Anklage als verdächtig gewertet. Doch auf Nachfragen der Angeklagten selbst hält die Verkäuferin es für durchaus möglich, daß Ingrid Strobl für „einen Mann“ gesagt hat. Denkbar sei auch, daß sie der Käuferin einen schwarzen Wecker gezeigt habe und Ingrid Strobl, weil sie schwarz wollte, unbestimmt sagte „Ich nehm‘ den“. Im Widerspruch zu allen BKA-Aussagen steht ihre Aussage - vom Richter völlig übergangen - ihr seien zwei Tage nach dem Weckerkauf von Ingrid Strobl Polizeifotos vorgelegt worden, auf denen sie sie eindeutig als Käuferin erkannt habe. Damit gibt sie Gerüchten auf den Gerichtsfluren neue Nahrung, daß Frau Strobl lange vor ihrer behaupteten Identifizierung durch einen WDR-Film dem BKA bekannt gewesen sei.

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