: „Es geht uns um ein neues Verhältnis zur Linken“
Ich habe mich heute zusammen mit Rolf (Heißler), Christa (Eckes) und Karl-Heinz (Dellwo) angeschlossen und nach zweiwöchiger Unterbrechung unseren kollektiven Hungerstreik wieder aufgenommen. Ich werde jetzt nicht mehr aufhören, bis unsere Forderungen erfüllt sind.
Was ich jetzt sage, entstand hauptsächlich aus dem Bedürfnis, allen, die die Zusammenlegung/unsere Forderungen zu ihrer Sache gemacht haben, wenigstens ansatzweise zu vermitteln, wie ich die Situation jetzt sehe, woran ich überlege. Aber diese Momentaufnahme meines eigenen Prozesses ist natürlich nicht von unserem kollektiven Prozeß zu trennen, ist Teil davon, fließt in ihn ein. Ich hab also nix Fertiges zu sagen, und ich denke auch, daß sowas an der Realität des laufenden Kampfes, die dauernd in der Veränderung begriffen ist, nur vorbeigehen könnte. Außerdem geht unser Kampf ja auch genau darum, die notwendigen Bedingungen endlich herzustellen, um aus der Erstickung durch die Isolation, der Begrenztheit und Bruchstückhaftigkeit aller Gedanken, Regungen und Anstrengungen und der Trennung von den Prozessen draußen, herauszukommen. Noch stecken wir dadrin - ob wir uns in diesem Kampf um unser Leben und gegen den Vernichtungsapparat, gegen die Irrationalität und Gewalttätigkeit der sturen Machtbehauptung von politischer Justiz, Staatsschutz und Geheimdiensten durchsetzen können, ohne daß eine/r von uns oder mehrere sterben, hängt davon ab - jedenfalls sehe ich das so - ob wir zusammen mit Euch schon während des Kampfes die Haltung zueinander und gegen den Staat herstellen, die die Defensive umkehrt und die notwendige Einheit der Linken, zu der wir als Gefangenenkollektiv beitragen und von der wir Teil sein wollen, vorwegnimmt. Es sind in allen Bereichen der Linken Initiativen zu unserem HS (Hungerstreik) entstanden. Um politische Durchschlagskraft zu bekommen, müssen sie sich verbinden, eine gemeinsame Kraft entwickeln und zum Ausdruck bringen. Es gibt seit längerem in den verschiedenen Gruppen, Kollektiven, Organisationen der Linken das Bedürfnis bei denen, die revolutionäre, umwälzende Politik wollen, sich neu zu orientieren, und ihre Kräfte, unterschiedlichen Erfahrungen und Einsichten zusammenzubringen und so Wirkung und Stärke zu entfalten, die in der bisherigen Zersplitterung nicht zu erreichen war. Es gibt damit, daß im Zusammen-Kämpfen Durchsetzungskraft entwickelt werden kann, ja auch schon praktische Erfahrungen: die Verteidigung der Hafenstraße; starke Demonstrationen, die von einem Bündnis verschiedener Kräfte getragen wurden, die Anti-IWF-Kampagne und jetzt zeigt es sich ansatzweise wieder im Kampf um die Durchsetzung unserer Forderungen. Es ist überall 'ne neue Offenheit gegenüber den Ansätzen der anderen und ihren besonderen Erfahrungen zu spüren. Wir merken es uns gegenüber, und umgekehrt geht es uns genauso um ein neues Verhältnis zur gesamten Linken. Jetzt im Kampf wollen wir es schon entwickeln, denn die Chancen und neuen Möglichkeiten als gesamte Linke zur Einheit und in die Offensive zu kommen, müssen von Anfang an durchgesetzt werden, gegen die Apparate des Staates, deren Zweck genau in der Verhinderung einer solchen Kraft liegt und die mit den Angriffsmitteln der politischen Justiz, BAW, BKA und BNDs schon weit im Vorfeld das Zustandekommen eine radikalen Linken bekämpfen, d.h. hier liegt auch die „Herausforderung für die Linke“, als die der 'Arbeiterkampf‘ den Hungerstreik begreift: Die Umkehrung der Defensive und den Sprung zur Einheit der Linken, in die alle Ebenen und Bereiche integriert sind, und in der die politischen und kämpfenden Gefangenen ein Teil sind, jetzt in dem praktischen Prozeß der Durchsetzung eines gemeinsamen Ziels und in der realen Konfrontation zu machen. Unsere Vorstellung dazu ist eine Linke, die ihre unterschiedlichen Erfahrungen, ihre unterschiedliche Identität nicht gleichschalten will, bzw. auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einebnen, sondern die spezifischen Möglichkeiten der verschiedenen Politiken bewußt rausbilden und miteinander in Beziehung bringen will.
Wir haben mitgekriegt, daß es trotz der neuen Offenheit untereinander schwer ist, zu 'ner kontinuierlichen, gemeinsamen Vorwärtsentwicklung zu kommen, daß es noch Mißtrauen gibt, Gräben und auch einfach Fragen. Wir haben dazu überlegt, daß die einzelnen Initiativen, Gruppen usw., die Fragen haben, Vorschläge oder Erfahrungen vermitteln wollen, „offene Briefe“ schreiben, wie es hier in West -Berlin von einigen schon angefangen wird, auf die welche von uns oder von anderen Gruppen wieder antworten können. So könnten sich ganze Kollektive, Zusammenhänge, Initiativen vermitteln, Fragen, die jetzt noch hemmen, in so 'ner Kommunikation schon geklärt werden, und für den Kampf könnte das einen Schub in Richtung auf Einheit und Offensive geben. Die Zeitung/Zeitschrift, die diese offenen Briefe kontinuierlich veröffentlichen würde, müßte sich finden lassen. Wie gesagt, das soll nicht vom aktuellen Kampf ablenken, sondern sein Zusammenkommen beschleunigen.
Gabriele Rollnik, März 1989.
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