„Der Staat befindet sich in einer unumkehrbaren Glaubwürdigkeitskrise“

Heute, an Christas (Eckes) und Karl-Heinz‘ (Dellwo) 29.Tag im Hungerstreik, nehme ich unseren unterbrochenen Hungerstreik wieder auf. '84 haben wir gesagt: „Gegen ihr terroristisches Programm gibt's allerdings nur eins: zu kämpfen und auch aus der äußersten Defensive der Isolation sie anzugreifen mit dem, was sie uns auch hier nicht nehmen können, ohne zu töten: (über) unser kollektives Bewußtsein und unseren Willen zu siegen.“

Jetzt, nachdem der Staatsschutz und seine Gehilfen sich mit dem kämpfenden Kollektiv konfrontiert sehen, ihre psychologische Kriegsführung seit Jahren gegen die Gefangenen aus der RAF und dem Widerstand in Trümmern liegt, versuchen sich die Insider-Wissen Vorgaukelnden einmal mehr an ihren staatstragenden Interpretationen.

Dabei gibt es nichts zu interpretieren, die Situation ist unzweideutig klar.

Wir fordern:

-die Zusammenlegung aller Gefangenen aus Guerilla und Widerstand in ein oder zwei große Gruppen, in die neue Gefangene integriert werden, mit Zugang zu den Gemeinschaftshöfen, Zusammenlegung aller Gefangenen, die dafür kämpfen;

-die Freilassung der Gefangenen, deren Wiederherstellung nach Krankheit, Verletzung oder Folter durch Isolation unter Gefängnisbedingungen ausgeschlossen ist;

-die Freilassung von Günter Sonnenberg, Claudia Wannersdorfer, Bernd Rößner und Angelika Goder;

-freie medizinische Versorgung ohne Staatsschutzkontrolle für alle Gefangenen;

-freie politische Information und Kommunikation der Gefangenen mit allen gesellschaftlichen Gruppen.

Während in Südafrika die Polizei noch prüft, ob sie wegen der Berichterstattung über die hungerstreikenden schwarzen Gefangenen gegen Zeitungen vorgeht, ist dies in der BRD und West-Berlin nicht notwendig. Die bürgerlichen Medien halten sich wie '77 an die vom Staat verordnete Selbstzensur, unterdrücken jede Information über die wachsende Solidaritätsfront mit unseren Zwischenzielen in den letzten Wochen und bringen nur die vom Staatsschutz freigegebenen Desinformationen. Während in Südafrika alle, auch von Anwälten organisierten Solidaritätsveranstaltungen mit den hungerstreikenden schwarzen Gefangenen verboten wurden, hält sich hier Rebmann mit dem Kriminalisierungsversuch unseres Hungerstreiks (Verfahren nach §129a, d.Red.) alle Optionen zur Verfolgung der Menschen offen, die die staatliche Vernichtungsstrategie gegen uns nicht stillschweigend hinnehmen, sondern mit uns bekämpfen.

Die Bundesanwaltschaft propagiert vom ersten Tag unseres Kampfes an - Ablehnung unserer Forderungen - offen die Ermordung aller politischen Gefangenen in der BRD und West -Berlin, Remmers setzt es, ein wenig geschminkt mit „Behandlung im Koma“, unverhohlen fort.

Mit der Ausdehnung der Anti-„Terrorimus„-Bekämpfung auf den Widerstand wie in alle fundamentaloppositionellen Teilbereiche hinein haben die Menschen in den letzten Jahren begriffen, daß nicht Distanzierung, Entsolidarisierung, Isolierung „Schutz“ vor den Angriffen des Staates gegen sie bedeutet, sondern das nur den Weg bereitet, selbst irgendwann zu Betroffenen werden zu können. Der 129a hat seine Einzigartigkeit, damit auch seine Wirkung verloren.

Die Menschen fühlen sich und sind von der Verschlechterung der Lebensbedingungen auf allen Ebenen existentiell betroffen. Der Staat befindet sich in einer unumkehrbaren Glaubwürdigkeitskrise und sieht keinen Weg, die Loyalität des Volkes zurückzugewinnen. Der Staat, das Kapital, die Parteien haben ihre Programme, Projekte, ihre Vorstellungen gegen das Volk durchzusetzen. Sie jammern über die Legitimations- und Motivationskrise, klagen über die fehlenden Bedrohungsgefühle und den fehlenden Verteidigungswillen im Volk. Das „neue“ Nato-Konzept, Steuer -, Gesundheits-, Renten-, Post„reform“, Ausländergesetzgebung, §218 usw. usw., die Menschen begreifen sehr genau, nicht an der „schlechten“ Selbstdarstellung der Parteien liegt es. Sie geraten immer mehr in Widerspruch zum Volk, und das wird sich mit der ökonomischen Umstrukturierung, dem Absterben der alten Industrien, Förderung der Hochtechnologien, Automatisierung, Binnenmarkt '92, der Zerstörung von Stadtvierteln usw. weiter zuspitzen.

Denn die Menschen beginnen aufzustehen und sich gegen die lebenszerstörenden Bedingungen in diesem System zu wehren, dessen Überlebensfähigkeit von der Vereinzelung der Menschen abhängig ist. Wo sie sich zusammenschließen, kollektive Strukturen entwickeln und der Staat die Kontrolle darüber verliert, setzt die staatliche Verfolgung und Bekämpfung mit allen Mitteln ein. Doch Folge ist nicht die erhoffte Abschreckung, sondern die Menschen gehen gemeinsam gegen die staatlichen Übergriffe vor.

In unserem Kampf gegen die Vereinzelung, Trennung, Isolation für ein selbstbestimmtes Leben trotz der Bedingungen erkennen die Menschen auch ihren Kampf wieder. Unser Kampf wird zu ihrem Kampf. Die staatlichen Rechtfertigungsversuche der Vernichtungsprogramme gegen uns treffen seit langem auf keinen Glauben im Volk wie in der internationalen Staatengemeinschaft mehr.

Isolationsfolter wie „Nvz“ (Normalvollzug, d.Red.) sind nur Varianten derselben Vernichtungsstrategie. Unter dem Deckmäntelchen der Feststellung seiner Haftunfähigkeit - es bedarf keiner „medizinischen“ Feststellung mehr, denn die Haftunfähigkeit ist seit Jahren für jeden zu sehen, der sehen will - wird die Psychiatrisierung gegen den Genossen Bernd Rößner vorangetrieben, um ihn für immer verschwinden lassen zu können. Seine Noch-Existenz ist der Beleg für die Bestialität und den Vernichtungswillen des Staates. Deswegen wird er weiter völlig sinn- und funktionslos gequält, deswegen soll seine überfällige Freilassung verhindert werden.

Zusammen mit draußen werden wir jetzt die staatliche Vernichtungsstrategie brechen und unsere Forderungen durchsetzen.

Der Kampf des palästinensischen Volkes ist das leuchtende Beispiel weltweit, wie durch langandauernden Kampf auf allen Ebenen staatliche Stärke dialektisch in politische Schwäche umschlägt. Trotz der staatsterroristischen Praktiken des Zionismus baut es aus der Illegalität heraus die befreiten Gebiete im besetzten Palästina auf, entsteht aus dem Alten das Neue.

Unser Kampf steht auch im Zusammenhang mit den Kämpfen der revolutionären Gefangenen in den imperialistischen Gefängnissen in Westeuropa wie in der Welt und wird seine Ausstrahlung zu den GenossInnen haben.

„Sieg oder Tod - sagen die Typen überall, und das ist die Sprache der Guerilla - auch in der winzigen Dimension hier: Mit dem Leben ist es nämlich wie mit dem Sterben: 'Menschen (also wir), die sich weigern, den Kampf zu beenden - sie gewinnen entweder oder sie sterben, anstatt zu verlieren und zu sterben'“, schrieb Holger in seinem letzten Brief.

Rolf Heißler, Gefangener aus der RAF, 1. März 1989