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AL-Regierungsbildung nach dem Zufallsprinzip

■ Die Alternative Liste konnte sich bei der Auswahl ihrer SenatorInnen nicht von den spezifisch alternativen Interessengruppen lösen

Berlin (taz) - Toll, die AL, drei Senatsressorts ausgehandelt und alle drei mit Frauen besetzt, noch dazu mit solchen, die alle drei nichtParteimitglieder sind. Echt souverän also, die Berliner Alternativen? Denkste. Was so aussieht wie ein wundervoller politischer Plan oder doch zumindest der cool kalkulierte Rat einer gewieften PR -Agentur dazu, ein Signal zum Feminat, zur „anderen“ politischen Kultur der Neu-Partei zu setzen, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Zufall. Nach aufgeregten Zackereien hinter und vor den Kulissen dokumentiert das Wahlergebnis der Mitgliederversammlung der AL vom Sonntag abend eher die nach wie vor hohe Bereitschaft der Parteiflügel, große politische Zielsetzungen und die Suche nach Persönlichkeiten zu ihrer Verkörperung dem Hickhack der diversen alternativspezifischen Interessen- und Aktivistengruppen nachzuordnen. Für die Senatorinnen in spe also schwierige Ausgangsbedingungen für den zu erwartenden Koalitionsalltag mit einer vor allem an eigener Profilierung interessierten Partnerin SPD.

geo

Anne Klein, Frauensenatorin

Das erste Mal erlebte ich Anne Klein als Sachverständige beim Bonner Hearing 1982, als es um die erneut aufgeworfene Frage eines Antidiskriminierungsgesetzes ging. Ihr Gesetzesvorschlag, den sie im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der damaligen Zeitung 'Courage‘ ausgearbeitet hatte, sah unter anderem eine Generalklausel und eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes vor. Ihr Vorschlag erschien pragmatischer und machbarer als z.B. der Vorschlag, der im Dunstkreis der 'Emma'-Chefin Alice Schwarzer entstanden war. Von Hause aus ist sie Rechtsanwältin. Sie verteidigte Petra Kelly gegen 'Penthouse‘, das eine Zeichnung von Petra Kelly als nacktes Cowboygirl veröffentlicht hatte. Sie ist klar, differenziert, schlagfertig, klug, und wer sie erlebt, kriegt schnell mit, daß sie gern lacht. Als feministische Rechtsanwältin schreibt sie 1987 zu Vergewaltigungsprozessen, die von Männern als Verteidiger begleitet werden, daß es niemals für das Opfer wirklich fair zugehen kann. Männer, so meint sie, können sich nicht mit dem Opfer identifizieren, weil sie nie selbst Opfer einer Vergewaltigung werden und somit auch nicht als Opfer einer Vergewaltigung denken können.

Anne Klein ist eher lebendig als starr. Sie ist in der Lage, Schattierungen zu sehen und in den Zwischenräumen zu denken. Sie ist Saarländerin, lebt schon seit langem in Berlin. Spezialisiert hat sie sich als Familienrechtlerin, seit Neuestem hat sie die Berechtigung zur Notarin. Sie sagt, daß es ihr schwerfällt, diese Existenz aufzugeben, hat sich aber entschieden, weil sie „Hoffnung auf die Koalition“ hat und glaubt, daß mit den Alternativen und der SPD feministische Politik möglich ist. „Nicht nur Frauen sind meine Adressaten, sondern auch Männer.“ Denn Männer, davon ist sie überzeugt, sind bereit, feministische Gedanken aufzunehmen und umzusetzen. Sie jedenfalls will das in Angriff nehmen, auch mit „gezielter feministischer Jugendarbeit.“

Maria Neef-Uthoff

Michaele Schreyer,

Umweltsenatorin

Während sie sich im Laufe ihrer Arbeit in der Bonner Bundestagsfraktion von 1983 bis 1987 an der Betriebs -Tischtennisplatte vom Stande Null „zu einer ganz passablen Spielerin“ entwickeln konnte (wie ein Sport- und Arbeitskreiskollege heute sagt), fühlte sie sich bei ihrer wissenschaftlichen Zuarbeit zum Finanzausschuß eher unterfordert. Kein Wunder, der Ausschuß gilt als der langweiligsten einer, und den Grünen wurde ohnedies jedwede Initiative bereits in diesem Fachgremium abgewürgt. Ganz abgesehen davon, daß „ihre“ Abgeordneten in den ersten Jahren auch nicht unbedingt die durchsetzungskräftigsten waren. Sie gehörte jedenfalls eher als die Abgeordneten, die es verkaufen mußten, zu den Hauptinitiatoren des auch über die grüne Partei hinaus beachteten „Grünen Umbauprogramms“. Aber nicht nur deshalb konnte sich die heute 37jährige mit der Aura der allseits anerkannten, äußerst kompetenten Fachreferentin umgeben, was die Bereiche ökologische Wirtschaft, Renten und Sozialpolitik angeht. Bei zahlreichen Fachveranstaltungen streitet Schreyer seit Jahren vom Podium für die Grünen - auch nach dem September 1987, als sie aus Arbeitsfrustration bei der Fraktion kündigte und zu einem der fünf offiziösen Wirtschaftsforschungsinstitute, dem Münchener ifo-Institut wechselte, um dort auf die Suche nach einer ökologischen Beschäftigungspolitik zu gehen.

Das Problem der mangelnden Auslastung dürfte sich für die designierte Senatorin von alleine lösen. Die zu Recht bestehende allseitige Achtung ihrer Fachkompetenz hat jedoch auch einen Hintergrund, der möglicherweise künftige Schwierigkeiten in ihrem neuen Amt vorprogrammiert. Ihre Bewährungsprobe auf dem parteipolitischen Parkett steht erst noch bevor - ebenso wie die politische Auseinandersetzung mit anderen Parteien, die außerhalb ihres Fachgebietes liegen. Obwohl ihre Sympathien stets im realpolitischen Lager sind, hat sie sich aus den großen Realo-Fundi -Grabenkämpfen herausgehalten, wenn sie auch seit ihrer Übersiedlung nach München die parteipolitische Basisarbeit aufgenommen und sich auch verstärkt um feministische Ökonomie gekümmert hat.

Ein Tip sei den parteipolitischen Weggefährten oder auch dem politischen Gegner in ihrer neuen Umgebung gegeben: Die neue Senatorin mag für ihr Leben gern gute Schokolade jeglicher Ausformung und Menge.

Ulli Kulke

Sibylle Volkholz,

Schulsenatorin

Weder ist sie Mitglied der AL, noch will sie es werden. Dafür ist Sibylle Volkholz, die künftige Berliner Schulsenatorin, altgediente Gewerkschafterin, zuletzt als Zweite Vorsitzende des GEW-Landesverbandes. „Die AL kann nicht in Anspruch nehmen: Das ist unsere Politikerin“, heißt es in ihrer Umgebung. Die bildungspolitischen Fachleute der AL hatten das ähnlich gesehen und ihrer Gegenkandidatin Jutta Schöler den Zuschlag gegeben. Sibylle Volkholz, die sich dennoch sowohl gegen Frau Schöler als auch gegen den AL -Politiker Ulf Preuß-Lausitz durchsetzte, beruft sich für ihre künftige Politik am liebsten auf die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD. Die Integration von behinderten und ausländischen Kindern will Frau Volkholz fördern, die Gesamtschule vor der Bedrohung durch Asbest in den Schulbauten retten. Differenzen zu AL-Vorstellungen werden der 44jährigen Gewerkschafterin dort nachgesagt, wo alternative pädagogische Neuerungen die Mitarbeit der Lehrer fordern, etwa bei der Einführung neuer, zum Beispiel ökologischer Lehrinhalte.

„Mit Ökologie hat sie nicht so viel am Hut“, bestätigt ein GEW-Lehrer, der sie dennoch vor dem Etikett der „Traditionslinken“ in Schutz nimmt. Ihr „sicherlich sozialdemokratischer Politikstil“, Reformen lieber im Konsens mit den Beteiligten umzusetzen, könnte ihr als Senatorin vielleicht gerade zugute kommen. Den Verdacht, nun als „Lehrersenatorin“ zu amtieren, weist Frau Volkholz von sich. Dennoch räumt sie ein, daß der Rollenwechsel von der Arbeitnehmer- auf die Arbeitgeberseite „sicher schwer“ werde.

Realistisch, durchsetzungsfähig, wenig visionär, „grundsolide“, wenn nicht „dröge“, das sind die Adjektive, mit denen die gebürtige Westfälin bedacht wird. Dennoch hatte die Gewerkschafterin zusammen mit dem Vorstand des linken GEW-Landesverbandes zweimal die Berliner Lehrer zu kurzen Streiks aufgerufen; die Nachrüstung war der erste Anlaß, den zweiten bot der novellierte Paragraph 116. Dafür mußte sie einmal den Entzug eines halben Monatsgehaltes in Kauf nehmen. Die Berliner Schülerstreiks der letzten Monate hat sie immerhin „verstanden“.

1967 kam Sibylle Volkholz aus Essen nach Berlin, schloß sich der 68er Bewegung an. Seit 1972 arbeitete die künftige Schulsenatorin als Lehrerin; zuletzt unterrichtete sie an einer Erzieherfachschule die Fächer Soziologie und Politik.

Hans-Martin Tillack

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