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Der Kuß im Rollstuhl

■ Mutige Fotoausstellung der „Bremer Krüppelfrauen“ auf der Frauenwoche

Mutig, witzig, provokant - das ist der erste Eindruck von den Fotografien der Bremer Krüppelfrauen, zur Zeit begleitend zur Frauenwoche im Foyer von GW 2 an der Universität. Da zeigt eine Gruppe von Frauen ihre Zusammengehörigkeit, ihre Offenheit für einander, Freude an der Begegnung und den Spaß beim Ausprobieren verschiedener Ver- und Entkleidungen. Auf den zweiten Blick kommt dann doch, wenn es so etwas gibt: ein schleichendes Erschrecken. Die Bilder beschönigen nichts: Narben, Verletzungen, ungewohnte Körperformen. Im Kapitel „Verständigungen Berührungen“ werden die Behinderungen durch Rollstühle und anderes medizinisches Gerät schmerzhaft deutlich - wenn zwei im Rollstuhl sich küssen, dann wird daraus ein „Kußversuch“.

Im zweiten Teil „Ewig weiblich - immer verkrüppelt“ führen die Frauen Normvorstellungen von weiblicher Schönheit ad absurdum. Die Coole mit der Krücke heißt dann: „Frau geht nicht mehr ohne“, der Akt im Rollstuhl mit pompösem Theaterhut „unbeschreiblich weiblich“.

Überhaupt: Die Bildunterschriften haben es in sich. Sie geben der Ausstellung, die viel von der Kraft und Schönheit behinderter Frauen zeigt, einen sarkastischen Nebenton. Kostprobe: „Der diskrete Charme der Orthopädie“ - zwei perfekt fotografierte Korsetts auf schwarzem Hintergrund „im Dialog“.

Im dritten Teil „Überschreitungen“ wird der Versuch, aus der (behinderten) Rolle auszubrechen, am stärksten, am freisten. Parodien auf die künstlichen Posen von Aktmodellen, die Rollstuhlfahrerin mit der Knarre, der „Tango zu Dritt“ und zum Abschluß der mutige „Akt auf Sofa mit Banane“, kein bißchen voyeristisch, schon deshalb, weil die Frauen ganz aufeinander bezogen sind.

Für die Bremer Krüppelfrauen ist die Ausstellung eine Etappe ihrer Arbeit. Seit etwa zwei Jahren arbeiten die Frauen zusammen, zunächst als Gesprächsgruppe, seit einem Jahr mit dem Medium Fotografie, das sie, zusammen mit der Bremer Fotografin Renate Rochner, für sich als künstlerisches Ausdrucksmittel erproben. Für die nächste Zukunft planen sie Ausstellungen in Bremen und Hannover und eine noch radikalere fotografische Auseinandersetzung mit Blicken: den eigenen auf sich selbst und den anderen. Für die Frauenwoche ist die Fotoausstellung ein starkes Element, in besonders brisantem Zusammenhang mit dem Thema „Gen- und Repruduktionstechnologie“, einer Forschung, die sich die „Vermeidung“ von Behinderung als Legitimation auf die Fahnen schreibt.

Kontaktadresse der Bremer Krüppelfrauen: Monika, Tel. 0421/78214. Andrea Schweer

Am Donnerstag bieten die Krüppelfrauen ein Gespräch über die Ausstellung an: GW2, Raum B 2180.

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