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Bremer Kirche rückt nach links

■ Linksliberaler Präsident, friedensbewegter Schriftführer und zum ersten Mal eine Frau

Zum ersten Mal in ihrer über 60jährigen Geschichte hat die Bremische Evangelische Kirche (BEK) gestern eine Frau in ihren Vorstand gewählt. Mit 100 von 190 Stimmen wurde Inge Gurlitt, 52jährige Hausfrau mit drei Kindern, vom „Kirchentag“ als Vizepräsidentin bestimmt. Sie mußte sich als einzige Kandidatin für den neuen Kirchenausschuß -Vorstand in einer Kampfabstimmung durchsetzen.

Die Neuwahl der gesamten Kirchenleitung war erforderlich geworden, weil der bisherige Vorstand aus Altersgründen nicht wieder kandidierte. Für den Posten des hauptamtlichen „Schriftführers“ - in manchen Bereichen der Funktion des Bischofs in anderen Landeskirchen vergleichbar - wählten die Delegierten des Kirchentags den Lüssumer Pastor Ernst Uhl. Der Ehemann der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Sabine Uhl ist 1932 in Budapest geboren und gehört in Bremen zu den Gründern der Abrüstungsinitiative evangelischer Kirchengemeinden und der Lidice-Initiative. In beiden Initiativen hat er eng mit DKP-Mitgliedern zusammengearbeitet.

Ehrenamtlicher Präsident der BEK wurde mit 191 von 196 Stimmen der Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft, Heinz Hermann Brauer. Er war bereits von 1969 bis 77 Präsident. Im Gegensatz zu seinem konservativen Vorgänger Eckart Ranft gilt er als linksliberal. Neuer Schatzmeister wurde der bisherige Rechnungsprüfer Jürgen Albrecht. Er löst den Ex -Chef der Bremer Commerzbank, Ekkehard Scherz, ab. Scherz hatte sich heftig gegen Beschlüsse gewehrt, Kirchen-Konten bei Banken mit Südafrika-Geschäften zu kündigen. Diese Forderung betrifft auch die Commerzbank. Sein Nachfolger Albrecht ist Leiter der Kreditabteilung im Bankhaus Plump.

„Gegenwärtig ist bei uns nicht die Zeit für eine Massenbewegung zum christlichen Glauben hin“, hatte Schriftführer Wolf-Udo Smidt vor den Wahlen in seinem Jahresbericht resümiert. In Bremen gehören 30,4 Prozent der Bevölkerung keiner Kirche mehr an. In Hamburg gibt es allerdings mit 41,1 Prozent noch mehr Atheisten. Trotz sinkender Mitgliederzahl konnte die BEK gestern einen 80,5 Mio Mark umfassenden Haushalt für 1989 vorlegen. Über zwei Drittel davon werden für Personalkosten benötigt. Knappe vier Millionen Mark müssen zur Finanzierung des Defizits aus den gewaltigen Rücklagen der Bremer Kirche entnommen werden.

Ein Kandidat der fundamentalistisch frommen Hohentorsgemeinde fiel bei der Nachwahl zum Delegierten des Kirchentags durch, er bekam nur 56 Stimmen. Die restlichen zehn KandidatInnen wurden gewählt. Die Hohentorsgemeinde läßt ihre Mitgliedschaft in der BEK aus politischen Gründen ruhen.

Ase

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