: Gut und günstig: Rauschgift für alle
■ Bremen mit Drogen flächendeckend versorgt / Polizei nahezu machtlos / Personal, Abhörgeräte und Fremdsprachenkenntnisse fehlen / CDU-Abgeordneter: Innensenator beschönigt Kriminalitätsentwicklung
„Kokain ist in ausreichenden Mengen und von guter Qualität in der Bremer Szene vorhanden.“ Zu dieser - je nach Blickwinkel erfreulichen oder beunruhigenden - Erkenntnis sind jetzt gewöhnlich gut unterrichtete Kreise gelangt. So steht es nämlich im „Rauschgiftjahresbericht 1988“ des 5. Kriminalkommissariats der Bremer Polizei. An der vorbildlichen Versorgung Bremens mit Rauschgift wird sich nach Auffassung der Rauschgiftfahnder auf absehbare Zeit auch nichts ändern: „Hinweise auf die örtlichen Händlerstrukturen“ liegen den Bremer Beamten nach eigenem Bekunden nicht vor.
Nur in einem Punkt ist die Polizei sicher: Auf spezielle Szenetreffs im Ostertor ist der Rauschgift-Deal längst nicht mehr beschränkt. Rund 2.000 Rauschgiftabhängige werden in Bremen flächendeckend und quer durch alle Gesellschaftsschichten „bei sinkenden Preisen“ und „allgemein gestiegenem Reinheitsgrad“ mit Rauschgiften versorgt. Auch die einschlägigen Umschlagplätze sind der Polizei bestens bekannt. Sie reichen von der
zwielichten Spelunke über die Frittenbude bis zur Nobeldisko. Wer in Bremen Stoff braucht, kriegt es in standesgemäßer Umgebung, z.B. im Pegasus, im Fly in, im Klönschnack, in den Parkstuben, im Aladin, im U 2 am Hillmannplatz, im Scala, im Dallas und im Japan. Sechs weitere Kneipen sorgen in Bremen -Nord für Dealer-Umsätze.
Chancen, dem Drogenhandel in Bremen nachhaltig Einhalt zu gebieten, sehen die Polizeibeamten des Drogenkommissariats derzeit nicht. Und zwar aus drei Gründen. Erstens aus Personalmangel. Schon jetzt schieben die Beamten einen Überstundenberg von 2.809 Stunden vor sich her. Zweitens wegen mangelhafter technischer Ausstattung. Theoretisch können die Beamten auf Antrag zwar die Telefone mutmaßlicher Dealerkreise abhören lassen, das nötige technische Gerät fehlt allerdings an allen Ecken und Enden. Was aber drittens auch fast gar nichts macht: Denn falls trotzdem einmal Tonbandmitschnitte verdächtiger Gespräche zustandekommen, zeigen sie nur „die völlig fehlende Fremd
sprachenausbildung“ der Kriminalpolizei, wie es in dem Bericht resignierend heißt. Mit anderen Worten: Die Beamten verstehen kein Wort, solange internationale Ganovenkreise es auch mit dem Grundgesetz nicht so ernst nehmen und die Regelung „die Amtsssprache ist deutsch“ bei der Verabredung ihrer Coups sträflich mißachten. Grund zur Klage sehen die Beamten auch in den „zunehmend konspirativen Verhaltensmustern“ der Dealer.
Verständnis für die Sorgen der Polizisten zeigte gestern übrigens der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Ralf Borttscheller. Zu seinem Ärger hatte Borttscheller den „Rauschgiftjahresbericht“ kürzlich im Briefkasten des CDU -Parteibüros gefunden. Für Bortscheller wäre es eigentlich Aufgabe von Innensenator Peter Sakuth gewesen, die zuständige Deputation offiziell zu informieren. Gerade in der Rauschgiftkriminalität sieht der CDU-Abgeordnete auch das Herzstück der ansteigenden Gewaltkriminalität. Bortscheller: „Wenn man weiß, daß ein Drogenabhängiger pro Tag 300 bis 500 Mark zur Befriedigung seiner Sucht ausgeben muß, versteht man auch, warum im letzten Jahr fast 20.000 PKWs aufgebrochen worden sind.“
Für Bortscheller hat es deshalb auch Methode, daß Innensenator Peter Sakuth den „Rauschgiftjahresbericht“ bislang unterdrückt habe: „Der Innensenator versucht die Kriminalitätsentwicklung zu beschönigen.“ Der Sprecher des Innensenators, Volker
Backhaus, trat gestern dem Vorwurf entgegen, den Rauschgiftjahresbericht bewußt zurückgehalten zu haben: „Wir konnten den Bericht nicht zurückhalten,
weil wir ihn gar nicht haben.“ Das Papier sei lediglich eine polizeiinterne Teilstudie. Den offiziellen Rauschgiftlagebericht kündigte Backhaus für April an.
K.S.
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