: Der provozierte Mann
■ Wenn Männer grabschen, sind daran schuld die nackten Frauenbeine / Ein „Minirock-Urteil“ in Spanien
Als Mary Quant in den sechziger Jahren den Minirock erfand, konnte sie nicht ahnen, daß sie damit in die spanische Rechtsgeschichte eingehen würde. Das knappe Kleidungsstück hat sich nämlich in der Klage einer Angestellten gegen ihren Chef, den sie wegen sexueller Belästigung anzeigte, strafmildernd ausgewirkt. Dem Arbeitgeber, der die junge Frau mehrfach begrapscht und ihr Vertragsverlängerung zusagt hatte, wenn sie seinen amourösen Wünschen nachgebe, hielt ein Richter in Lerida (Katalonien) zugute, er sei provoziert worden. Der Minirock habe „eine solche Reaktion“ ausgelöst, hieß es im Urteil.
Daß eine Frau angeblich selbst schuld ist, wenn Männer sie belästigen oder Gewalt ausüben, fand auch ein Richter in Pontevedra (Galicien). Er sprach zwei der Vergewaltigung angeklagte junge Männer frei, weil das Opfer ein „lasterhaftes und unordentliches Leben“ führe.
Das „Minirock-Urteil“ und andere Beispiele aus der jüngsten Rechtsprechung werfen ein Schlaglicht darauf, wie ungebrochen der Machismo in seinem Stammland noch ist. Sie haben aber auch gezeigt, daß Spaniens Frauen immer weniger bereit sind, sich Diskriminierung und Aggression gefallen zu lassen. Denn wie selten zuvor gingen Frauen aufgrund dieser Gerichtsurteile auf die Barrikaden. Sie demonstrierten auf den Straßen, teilweise in Miniröcken, für einen „würdigen Arbeitsplatz“ oder fanden in den Medien mit ihrem Protest Gehör.
„Die Männer haben ihr Macho-Verhalten nicht geändert. Auf die Forderungen der Frauen reagieren sie mit Aggression“, meinte die Feministin und Anwältin Cristina Almeida. Sie kämpft unter anderem für eine Strafrechtsreform, die vergewaltigte Frauen besser schützt und beispielsweise von der Verpflichtung befreit, nachweisen zu müssen, daß sie „heftigen Widerstand“ geleistet habe.
Doch nicht nur die Gewalt macht deutlich, daß die in der Verfassung festgeschriebene Gleichheit der Geschlechter in Spanien noch lange nicht verwirklicht ist. Benachteiligt werden Frauen vor allem im Arbeitsleben. Obwohl inzwischen eine Reihe von Frauen in Führungspositionen aufgestiegen ist und zu vielen klassischen Männerberufen Zugang gefunden hat, geht es den meisten Frauen schlechter als ihren männlichen Kollegen. Frauengehälter liegen nach einer Untersuchung des Staatlichen Fraueninstituts bei gleicher Arbeit im Schnitt um 18 Prozent niedriger. Außerdem werden Frauen vorwiegend für untergeordnete Arbeiten und in der „Schattenwirtschaft“ eingesetzt. Und die Frauenarbeitslosenquote beträgt mit 28 Prozent weit mehr als die der Männer (15 Prozent).
Erst nach dem Tode Francos 1975 konnten sich Spaniens Frauen ungehindert organisieren und ihre Forderungen öffentlich vorbringen. Zuvor waren sie nicht einmal zum Führen eines Kontos berechtigt oder konnten bei Ehebruch zu Gefängnisstrafe verurteilt werden, während untreue Ehemänner nichts zu fürchten hatten.
Mut schöpfen die Frauen daraus, daß sich ihrer Empörung über die diskriminierenden Gerichtsurteile auch Männer öffentlich angeschlossen haben. Sogar die Parlamentskommission für Chancengleichheit der Frau appellierte in einer Resolution an die Justiz, keine moralischen Werturteile in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen. Und gegen den Freispruch der Vergewaltiger hat der Staatsanwalt Revision eingelegt.
Gisela Mackensen (dpa)
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