: Argentinien: Rechtsruck nach Kasernenbesetzung
Am 23.begann der blutige um La Tablada / Heute steht in Buenos Aires zum allgemeinen Erstaunen fest, daß Mitglieder einer linken Organisation die Besetzung organisierten / Die Aktion sollte einen Volksaufstand auslösen / Das Militär ging gestärkt aus dem Massaker hervor, die Besetzer sind tot oder im Gefängnis ■ Aus Buenos Aires Gaby Weber
Nicht der argentinische Geheimdienst und auch nicht die CIA hatten zugeschlagen, wie viele anfangs glauben wollten. Vielmehr hatten am 23.Januar 46 vorwiegend junge Leute darunter sechs Frauen - die Kaserne „La Tablada“ in Buenos Aires besetzt und sich nach einer 36stündigen Schießerei ergeben. Nach der anfänglichen Konfusion ist inzwischen bekannt, was passiert ist - die (zivile) Justiz ermittelt, Verwandte und Anwälte haben die Gefangenen besucht, und die Geflüchteten haben sich in der uruguayischen Tageszeitung 'Republica‘ zu Wort gemeldet.
Der Plan der bis dahin völlig unbekannte „Front des Volkswiderstandes“ (FRP) offenbart Naivität: Sie stürmten ein Teil der Besetzer trug Uniformen - in die Kaserne und verteilten dabei Flugblätter, in denen die „Carapintadas“ gefeiert wurden - rechte Militärs, die wiederholt gegen die Regierung rebelliert hatten. In der Annahme, daß die Carapintadas wieder zugeschlagen hätten, würde das Volk - so die feste Überzeugung des Kommandos - vor der Kaserne demonstrieren, um die Demokratie zu verteidigen. In diesem Moment würden die Besetzer die verkleideten Carapintadas überwältigen, nach diesem Theater dem Volk die geglückte Befreiung verkünden und mit den Massen zum Regierungspalast stürmen, um die Macht zu übernehmen.
War die Planung schon haarsträubend, so war ihre militärische Realisierung noch katastrophaler: Um in die Kaserne einzudringen, hatten sie einen Lieferwagen von Coca -Cola entführt, den Fahrer aber nicht festgesetzt, sondern einfach an der nächsten Ecke herausgeworfen. Und der lief natürlich sofort zur Polizei. Als die Besetzer, den Personalausweis in der Tasche, in ihren Privatautos dem Coca -Cola-Laster in die Kaserne folgten, war die Polizei schon hinter ihnen her und begann eine Schießerei, die zu diesem Zeitpunkt nicht geplant war. Um sechs Uhr nachmittags rief eine Besetzerin bei der amtlichen Nachrichtenagentur 'dyn‘ an und schrie verzweifelt in den Hörer: „Wir sind in die Kaserne gegangen, um einen Militärputsch zu verhindern, und jetzt massakrieren sie uns. Bitte rufen Sie das Volk zusammen, damit es uns retten kommt!“
Distanzierungswelle
bei der Linken
Statt des Volkes kam zuerst die Polizei und dann das Militär mit schwerer Artillerie. Das mitgebrachte Regierungsprogramm für die ersten 120 Tage der „Volksregierung“, in dem sofortige Lohnerhöhungen und das Nicht-Bezahlen der Auslandsschulden verkündet wurde, blieb unbenutzt am Tatort zurück. Mehrere Verhaftete sollen, so haben die Überlebenden FRP-Leute ausgesagt, noch am Tatort von den Militärs erschossen worden sein, eine Version, die durch zahlreiche in der Presse veröffentlichten Fotos belegt wird.
Die argentinische Linke wurde von der Aktion völlig überrascht, und viele sind vorsorglich auf Tauchstation gegangen. Bisher wurden 200 Wohnungen durchsucht. Es wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt, die Angst sei ausgebrochen. Über die politischen Hintergründe dieser Kurzschlußreaktion wird nicht diskutiert.
Unter den Mitgliedern des Kommandos waren in der Tat frühere ERP-Guerilleros und Kinder der Verschwundenen, die meisten stammten aus den Reihen der links-pluralistischen „Bewegung alle für das Vaterland“ (Movimento Todos por la Patria, MTP). Viele Linke überbieten sich gegenseitig in Distanzierungserklärungen. In den ersten Tagen nach der Aktion lehnten alle bekannten Rechtsanwälte die Verteidigung der inhaftierten FRP-Leute ab, nicht nur aus Angst vor der Repression. Viele fühlten sich von den MTP-Mitgliedern mißbraucht. Denn nach den letzten Militärrebellionen hatte sich in Buenos Aires eine breite „Kommission des zivilen Widerstandes“ mit Personen aus dem öffentlichen Leben gegründet. Neben MTP-Leuten waren der Schriftsteller Ernesto Sabato, der Nobelpreisträger Perez Esquivel, der Journalist Horacio Verbitsky, Oberst Horacio Ballester von den „demokratischen Militärs“ und viele andere dabei. Sie sehen sich nun als Teil der Planung der Tablada-Besetzer, ohne daß man sie dazu befragt hätte.
Machtgewinn für die Militärs
Die ungeliebten Sicherheitskräfte haben sich reingewaschen, sie sind von der Demokratie zur „Verteidigung gegen die Subversion“ zu Hilfe gerufen worden. Präsident Alfonsin hat zusammen mit den Militärs den Nationalen Sicherheitsrat gegründet und ihnen damit die bisher verbotene Einmischung in innere Angelegenheiten aufgetragen. Das erst vor kurzem verabschiedete Militär-Gesetz soll zugunsten der Armee verändert werden. Die Aktion schloß auch die Reihen der Militärs, interne Streitereien gehören der Vergangenheit an. Statt von Menschenrechtsverletzungen wird in der Öffentlichkeit nun von der „Gefahr der Auferstehung der Subversion“ gesprochen, und die Carapintadas werden als Helden der Nation gefeiert.
Kritische Fragen über das militärische Vorgehen sind in der argentinischen Presse kaum zu finden, etwa die Frage, warum die Kaserne zwei Tage lang beschossen worden war. Die Polizei hatte beabsichtigt, die besetzte Kaserne mit Tränengas zu beschießen, um das Kommando herauszuzwingen und zu verhaften. Aber dann rückte die Armee an, schoß mit schwerer Artillerie gegen die besetzten Gebäude und verhinderte den unblutigen Plan der Polizei. Nachdem das FRP -Kommando bereits Montag nachmittag das Scheitern seines Planes erkannt hatte, wollte es sich ergeben und schickte zu den Verhandlungen einen Offizier namens Suarez heraus. Doch der wurde von seinen eigenen Leuten beschossen und mußte zurück in die Kaserne flüchten. Dreimal versuchte Suarez vergeblich den Weg nach draußen, um die Kapitulation zu überbringen.
Insgesamt dauerte die Besetzung anderthalb Tage, und während der ganzen Zeit war das Fernsehen live dabei. Diese Aufnahmen werden bis heute regelmäßig wiederholt: Action -Bilder von der Beschießung der Kaserne aus der Perspektive der Soldaten und in Großaufnahme verkohlte Leichen als Trophäe. „Der US-General Westmoreland verlor den Vietnam -Krieg an den Bildschirmen in New York, als den Familien der Tod ihrer Jungs vor Augen geführt wurde und sie begriffen, daß der Krieg kein Fest ist, der (argentinische) General Gassino gewann die Schlacht von La Tablada an den Bildschirmen in Buenos Aires“, schrieb der angesehene Journalist Horacio Verbitsky. Es sei nicht nur um den Ausbau der militärischen Machtposition gegangen. Nach der Live -Übertragung hatten die Zivilisten am Zaun der Kaserne gestanden und lautstark die Hinrichtung der Gefangenen gefordert. Im zivilen Krankenhaus waren die verwundeten FRP -Leute von den Ärzten und Krankenpflegern beschimpft und schlecht behandelt worden. Der zivile Richter hatte trotz der Isolierung der Gefangenen entgegen den gesetzlichen Bestimmungen dem Geheimdienst das Verhör erlaubt, und im Gefängnis waren die Familienangehörigen durch zivile Wächter erniedrigt worden.
Dies seien, so der Journalist, Ausdrücke einer Gesellschaft, in der während des Militärregimes jedesmal mit den Schultern gezuckt wurde, wenn Leute aus der Umgebung verschwanden: „Unschuldig war er sicher nicht“, so der damalige Standardkommentar des argentinischen Durchschnittsbürgers. Die Schrecken der Konzentrationslager entdeckten sie erst nach der Diktatur, durch die Zeugenaussagen der Gefolterten und Überlebenden und durch den Prozeß gegen die ehemaligen Juntakommandanten.
Plötzlich wurden Filme gezeigt wie Nunca mas (nie wieder) und Die Nacht der Bleistifte, in dem beschrieben wird, wie die Militärs eine Gruppe von Jugendlichen, die für verbilligte Schülerfahrscheine demonstriert hatte, entführten und ermordeten. Sie haben auf eine Gelegenheit gewartet, um ihr Schuldgefühl für ihr damaliges Nichts-Tun loszuwerden. Und dann passierte La Tablada, und während die Leichenbilder über den Bildschirm flimmerten, fühlte sich der Kleinbürger wieder im Recht. Er hatte es also schon immer geahnt, diese Leute sind selbst schuld gewesen!
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