„Die Kopfbedeckung ist unsere Ehre“

Seit Tagen demonstrieren in den türkischen Universitätsstädten Studentinnen für das „Recht der Verschleierung“ / Islamische Fundamentalisten schüren die Proteste / Das türkische Programm von Radio Teheran fordert Waffen für die anatolischen Frauen  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der Kommentar der islamischen Zeitschrift 'Milli Gazeta‘ zeichnete ein düsteres Sittenbild der türkischen Gesellschaft: Studentinnen nehmen Abschied von der „Jungfräulichkeit“, gemischte Wohnheime würden gefordert. „Es fehlt bloß noch, daß sie einen Kindergarten für das Studentenwohnheim fordern. Ihre Bastarde wollen sie durch die Abtreibung loswerden und fordern die Legalisierung verbotener Beziehungen.“ Das Herz des Journalisten schlägt für die islamischen Schwestern, die an den Universitäten seit Tagen einen „heldenhaften Kampf für das natürliche Recht der Verschleierung führen“.

Nachdem das türkische Verfassungsgericht ein Gesetz, welches weiblichen Studentinnen „aus religiösen Beweggründen“ das Tragen des Turbans erlaubte, für verfassungswidrig erklärte, gärt es an den türkischen Universitäten. Es vergeht kein Tag ohne Protest: Demonstrationszüge durch die Großstädte, Sit-ins in den Universitäten, Flugblätter, Protesttelegramme. „Die Kopfbedeckung ist unsere Ehre“, verkünden die verschleierten Demonstrantinnen. Die Polizei ist in ständiger Alarmbereitschaft, mehrfach kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Mehrere Dutzend Personen - ausnahmslos Männer, die als Rädelsführer der Verschleierten ausgemacht wurden - sind festgenommen worden.

Dabei bedeutet das Urteil des Verfassungsgerichtes kein unmittelbares Verbot des Turbantragens an den Universitäten. Bemängelt wurde von den Verfassungsrichtern vielmehr, daß „religiöse Motivation“ als Gesetzesbegründung herhalten mußte. Dies sei mit dem laizistischen Charakter des Staates nicht vereinbar. Auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil haben turbantragende Kommilitoninnen Zugang zur Universität. Mit einer flexiblen Interpretation der Kleiderordnung - ein Konstrukt, das die Militärs den Unis bescherten - wird den gläubigen Studentinnen Rechnung getragen. Auch die Regierung und die überwältigende Mehrheit des türkischen Parlaments sind für die Freiheit des Turbantragens und versprechen alsbald neue gesetzliche Abhilfe.

Die Ursachen der Proteste liegen tiefer. „Die Ehre der Frau“ ist ein ideales Motiv für die islamisch -fundamentalistische Bewegung, Anhänger zu gewinnen. Die Staatsanwaltschaften ermitteln gegen militante Sektenmitglieder, die die Demonstrationen planen. Die größte Tageszeitung 'Hürriyet‘ berichtet über Agenten, die in Ghom, der Stadt Khomeinis, in Lagern der Hizbi Islami ausgebildet und zur ideologischen Aufstachelung in die Türkei geschickt werden. „Schluß mit dem Laizismus. Die Scharia, das islamische Recht, wird stets mit Blut geschrieben“, verkündet Radio Teheran in türkischsprachigen Programmen. Über Solidaritätsdemonstrationen islamischer Schwestern an der Teheraner Universität wird berichtet. „Waffen für die anatolischen Frauen“ sollen laut Radio Teheran dort die iranischen Studentinnen gefordert haben. Verärgert zitierten die Türken den iranischen Botschafter ins Außenministerium.

Auch die türkischen Militärs, die nach dem Putsch eine begrenzte, von oben gelenkte Islamisierung gegen die Todfeinde von links förderten, sind verärgert. Der Putschgeneral und jetzige Staatspräsident Kenan Evren war es, der vor dem Verfassungsgericht Klage gegen das Gesetz erhob. Die beamteten islamischen Vertreter - es existiert eine staatliche „Behörde für religiöse Angelegenheiten“ üben sich darin, die Gläubigen zu Ruhe und Ordnung zu rufen. Und von den bürgerlichen Blättern sind die Protestlerinnen zu Staatsfeinden erklärt worden: „Die schwarze Reaktion marschiert.“

Ruhe und Ordnung wollen alle - Militärs, konservative Politiker, staatstragende Journalisten. Der fromme Abgeordnete der Mutterlandspartei Murat Batur brachte es auf den Punkt: „Ehrenhafte Männer schicken ihre Weiber und Töchter nicht auf solche Demonstrationen. Wenn meine Frau mit der Polizei zu tun kriegt, würde ich mich von ihr scheiden lassen.“