: Halbherzige Solidarität der IG Metall
Zwei türkische IG-Metall-Vertrauensleute der Frankfurter VDO-Werke seit dem 1.März im Hungerstreik / Kompromißvorschlag der Betriebsleitung von den beiden Gewerkschaftern abgelehnt / Werksverlagerung bedroht Arbeitsplätze / IG Metall bleibt untätig ■ Von Esther Dischereit
Frankfurt (taz) - Der Hungerstreik der beiden türkischen Gewerkschafter, die von der Frankfurter Meßinstrumentefirma Vereinigte Deuta-Ota (VDO) entlassen wurden, hat nach zwei Wochen zu einer ersten Wende geführt: Die Firmenleitung hat als Kompromiß angeboten, Zafer Taskin und Mevlüt Pek bis zur Einigung beim Arbeitsgericht wiedereinzustellen. Auf dieses Angebot wollen die Hungerstreikenden aber nicht eingehen. Sie fordern die bedingungslose Rücknahme der Kündigung.
Das Zelt, in dem die beiden türkischen Vertrauensleute der IG Metall seit dem 1.März hungerstreiken, steht in einer windgeschützten Ecke auf der Bockenheimer Warte, in Sichtweite des VDO-Werks. Es gibt ein ständiges Kommen und Gehen, Menschen bringen Solidaritätserklärungen und heißen Tee.
Der Aufsichtsrat des Autozulieferers VDO - weltweit der dominierende Branchenriese - stimmte Anfang März einer Werksverlagerung aus der Frankfurter City zu. Rund 2.500 Beschäftigte sehen durch diese Entscheidung ihre Arbeitsplätze bedroht. Die IG Metall tat wenig, um die Ängste der Belegschaft aufzugreifen. Erst die verzweifelte Hungerstreikaktion der beiden türkischen Vertrauensleute hat Bewegung in den Konflikt gebracht.
Wohin die Produktion verlagert werden soll, ist bis heute nicht klar. Sicher ist nur, daß der VDO-Konzern aus der Grundstücksspekulation mit der jetzigen Betriebsstätte einen Zusatzerlös von 105 Millionen Mark erzielt. Die Produktion soll, so ist es mit dem Frankfurter Magistrat und dem Käufer, einem schwedischen Konsortium, abgesprochen, bis 1993 fortgesetzt werden. Ein neuer Standort wurde bisher nicht genannt. Von einem Beschäftigungsplan ist keine Rede.
1.800 der 2.500 VDO-Arbeitsplätze sind gewerblich. Zu 80 Prozent sind hier Frauen, überwiegend türkischer Nationalität, beschäftigt. Die Vorarbeiter und Meister sind in der Regel Männer und Deutsche. Die Arbeit der Frauen ist schwer, monoton, harter Akkord, 1.300 bis 1.500 Mark netto bis zu einem Akkord-Maximum von 1.800 Mark, das selten zu erreichen ist. Seit Beginn des Hungerstreiks hängt am Tor I eine Tafel aus: Wir suchen Montagehelferinnen. Die Jobs ohnehin kaum auf Dauer ausgelegt - sind so übel, daß sie gleich für Frauen ausgeschrieben werden.
Die industriellen Arbeitsplätze sind in der Banken- und Versicherungsmetropole Frankfurt in den letzten Jahren knapp geworden. Die Frauen haben nicht viel Auswahl. Im Zelt der Hungerstreikenden sitzen Frauen aus der Spätschicht. Es ist spät, 23 Uhr: „Jede zweite Ausländerin in Bockenheim hat schon mal bei VDO gearbeitet“, heißt es. „Aber sie sind so schnell draußen, wie sie reingekommen sind. Wegen der befristeten Verträge - drei Monate, dann eine Verlängerung und dann kannst du gehen“. Andere reden über die Krankenkontrollen. Ärzte sollen Auskunft geben, Krankschreibungen korrigieren. Neuerdings gibt es Werksarztkontrollen mit außerordentlichem Aufwand, demütigender Intensität. Dann heißt es bei Erkrankung: „Wir hatten Sie doch gründlich untersucht. Ohne Anhaltspunkt.“ Ältere Arbeiterinnen werden mit ständigen Umsetzungen auf schlechtere Akkordplätze und mit Abmahnungen wegen Fehlern schikaniert und mürbe gemacht. „Jeden Tag kommen Leute mit diesen Problemen zu mir, jeden Tag“, erzählt ein Betriebsratsmitglied. Es hagelt förmlich Kündigungen aus jedwedem Anlaß. Inzwischen ist außer den beiden Hungerstreikenden noch ein dritter Vertrauensmann der IG Metall betroffen.
So schafft sich VDO das Umstrukturierungsklima für den neuen, bisher ungenannten Werksstandort. Mehrere hundert ArbeiterInnen sollen „beim Umzug nicht im neuen Werk ankommen“, heißt es. Aber die IG Metall hat bisher kaum reagiert. Auf die Kündigung der beiden jetzt hungerstreikenden Vertrauensleute reagierte sie mit bürokratischer Routine und gewährte Rechtsschutz. Der Beschluß zur Standortverlagerung entlockte ihr eine Protesterklärung. Die Betriebsratsmehrheit sah keinen weiteren Handlungsbedarf. Der sich zur Gewerkschaftslinken zählende Vorsitzende des Vertrauenskörpers verhielt sich nicht anders und hat inzwischen das Vertrauen der ArbeiterInnen verloren. Als die beiden türkischen Vertrauensleute in ihrer Verzweiflung den Hungerstreik begannen, ließ man verlauten, daß dies kein Arbeitskampfmittel der Arbeiterklasse sei. Der Betriebsrat hatte nicht einmal einen Tagesordnungspunkt für den Hungerstreik übrig. Und der erste Bevollmächtigte der Frankfurter IGM ließ sich nach acht Tagen zum ersten Mal beim Zelt auf der Bockenheimer Warte sehen.
Trotzdem gibt es jetzt erste Aktionen. An einem Tag wurde die Kantine aus Solidarität mit den Hungerstreikenden boykottiert. Außer den Angestellten sind nur eine Handvoll ArbeiterInnen hingegangen. In der Mittagspause kommen die Frauen in ihren weißen Arbeitskitteln zu den Hungerstreikenden ans Zelt. Eine Abteilung bringt Blumen. Nach der Frühschicht gibt es eine Demonstration - ohne IG -Metall-Flugblatt. Lediglich ein IGM-Sekretär überbringt die „solidarischen Grüße“ der Frankfurter IGM-Betriebsräte und Vertrauensleute, des Ausländer- und Jugendausschusses. „Ihr könnt sicher sein, daß euch eure Gewerkschaft nicht im Stich läßt“, sagt der Sekretär. Aber die Grüße der IG Metall kann er nicht überbringen. Inzwischen haben Vertreter der evangelischen Kirche ihre Besorgnis darüber geäußert, daß Menschen zum Mittel des Hungerstreiks greifen müssen, um auf sich aufmerksam zu machen.
In welchem Zustand, so fragten sich BesucherInnen beim Zelt, müssen sich die Hungerstreikenden befinden, bis auch die VDO-Betriebsräte ihre Besorgnis äußern. Bisher haben sie nicht einmal eine außerordentliche Betriebsversammlung einberufen.
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