: „Wir sind mindestens die dritte Kraft“
Guillermo Ungo (57), Präsidentschaftskandidat des Linksbündnisses „Convergencia Democratica“ ■ I N T E R V I E W
Der 57jährige Jurist und Universitätsprofessor ist außerdem Präsident der Demokratisch-Revolutionären Front (FDR) und deren sozialdemokratischer Mitgliedspartei MNR sowie Vizepräsident der Sozialistischen Internationale.
taz: Die „Convergencia“ hat immer gesagt, in diesem Wahlkampf gehe es ihr nicht um den Sieg, sondern um politischen Spielraum, Mobilisierung und Aufklärung. Hat sie das erreicht?
Guillermo Ungo: Wir wußten, unter welchen Bedingungen wir uns auf diese Wahlen einließen. Daß keine Demokratie herrscht, daß wir in einem Klima der Repression und Angst antreten. Letzes Jahr waren wir bereits im Land präsent, aber an den Parlaments- und Kommunalwahlen 1988 teilzunehmen schien uns weder möglich noch richtig. Diesmal ist das anders, obwohl wir wissen, daß in diesem Land die Stimmen nicht nur schlecht gezählt werden, sondern auch wenig zählen. Sie sind nicht die wahre Quelle der Macht. Aber wir wollten mehr Präsenz und Kraft gewinnen, zu einem nationalen politischen Faktor werden, unsere Mobilisierungs- und Organisationskapazität entwickeln, wollten erreichen, daß unser Standpunkt bekannt wird, wir wollten Bedingungen für den Frieden und eine politische Lösung schaffen. Daß wir diese Wahlen nicht gewinnen können, wußten wir vorher.
Wir haben unsere Organisationskapazität überschätzt, einige haben auch geglaubt, daß wir mehr Leute mobilisieren könnten - ich nicht. Das Volk hat Angst, sich zu exponieren oder sich gar zu organisieren - vor allem dort, wo die lokalen zivilen und militärischen Machthaber steinzeitliche Mörder sind. Überhaupt jetzt, wo „Arena“ die lokalen Kräfte kontrolliert. In einem Land, in dem 60.000 Menschen ermordet worden sind, reicht es, wenn man aus Demonstrationszwecken einen pro Woche umbringt.
In kurzer Zeit sind wir zum Zentrum der politischen Debatte geworden, haben uns in Radio und TV durchgesetzt. Keiner bezweifelt heute mehr, daß wir mindestens die dritte Kraft sind, einige glauben sogar, daß wir die Christdemokraten als zweite Kraft überflügeln können.
Das wichtigste ist vielleicht, daß es uns gelungen ist, einer friedlichen Konfliktlösung Gehör zu verschaffen, teils aus eigener Kraft - selbst Arena gibt zu, daß wir ein wichtiger Faktor für eine politische Lösung sind -, und der Vorschlag der FMLN hat schließlich eine ganze Menge dazu beigetragen. Den hier zu diskutieren, wäre wiederum ohne uns gar nicht möglich gewesen.
Warum hat sich die Convergencia nicht zurückgezogen, als klar war, daß der FMLN-Vorschlag nicht durchkommt?
Weil die Bedingungen für unsere Beteiligung sich nicht geändert haben. Wir wußten von Anfang an, daß die Wahlen mitten im Krieg stattfinden und daß wir Probleme und Beschränkungen in Kauf nehmen müssen. Der FMLN-Vorschlag hätte Wahlen in Frieden und für den Frieden ermöglicht, aber davon sind wir ursprünglich nicht ausgegangen. Wir glauben, daß es eine zweite Runde geben wird und daß es beim Wahlkampf wieder um Frieden und Verhandlungen gehen wird.
Man munkelt über einen Geheimpakt der Convergencia mit Chavez Mena für die zweite Runde.
Er kann uns fast nichts anbieten, und selbst wenn er es täte, könnte er nicht Wort halten. Uns geht es nicht um den Präsidenten, denn der muß in jedem Fall nach der Pfeife der Armee und der USA tanzen, auch wenn er Cristiani heißt. Wir werden versuchen, einen Friedensvorschlag zu reaktivieren. Uns interessiert weder Cristiani noch Chavez Mena.
Vor kurzem habt ihr hier mit aller Kraft den FMLN-Vorschlag unterstützt, und die FMLN wollte für euch mobilisieren. Jetzt ruft die FMLN zum Boykott auf, und praktisch alle Volksorganisationen unterstützen den Boykott. Wie verträgt sich das?
Diese Situation ist voller Widersprüche. Es gibt eine Dynamik für den Frieden, der sich nicht einmal die Rechte entziehen kann. Die politischen Spielräume werden weiter, trotzdem herrscht Repression. Wahlen und Krieg vertragen sich nicht. Die FMLN und wir sind in verschiedenen Positionen, haben taktische Unterschiede, aber gemeinsame Ziele. Die Verwirrung beschränkt sich auf die Wahlphase, anschließend werden wir wieder gemeinsam für die politische Lösung kämpfen. Bei vielen Leuten, die jetzt den Boykott unterstützen, bin ich nicht sicher, ob sie ungültig wählen oder für uns stimmen.
Sind die Aussichten auf einen ernsthaften Dialog mit Chavez Mena besser als mit Cristiani?
Chavez Mena hat vielleicht mehr Willen zum Dialog, aber er hat fast nichts anzubieten. Arena hätte mehr zu bieten, aber wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Macht nach wie vor bei der Armee und in Washington liegt. Arena steht der militärischen Macht näher, aber sie ist nicht die militärische Macht.
Das Interview führte in San Salvador Ralf Leonhar
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