: Glück im Unglück
■ „Sehnsucht nach Sodom“, eine Hommage an einen Schauspieler, heute, 22.40 Uhr im ZDF
Kurt Raab ist am 28.6.88 in Hamburg an Aids gestorben. Und dabei hat er noch Glück gehabt. Nicht allein deshalb, weil er, wie er in der Video-Dokumentation seines Sterbens von Hanno Baethe sagt, “...Und so denk ich mir, wenn mich meine Krankheit wieder mit Depressionen belastet, schau, du hast ein schönes Leben gehabt, wer hat schon das Glück mit einem Fassbinder ... elf Jahre zu arbeiten?“ Er hat Glück gehabt, weil Hans Hirschmüller, sein Kollege seit Händler der vier Jahreszeiten nach langem Zögern zu ihm gegangen ist: „Ich wußte, ein Krankenbesuch und ein Rückzug wäre undenkbar geworden.“
Und weil Hanno Baethe vor dreieinhalb Jahren mit Kurt Raab begonnen hatte, für ein Buch über den Neuen Deutschen Film Videoskizzen aufzuzeichnen, realisierten diese drei Männer unter Mitarbeit von Anke Oehme und Conni More die Sehnsucht nach Sodom.
Sie sind an Wochenenden nach Hamburg ins Krankenhaus gefahren und haben dort beziehungsweise im Hamburger Schauspielhaus, Kurt Raab Kurt Raab sein lassen. Sie haben ihn schauspielern lassen, wie der Arzt das Drehverbot im Krankenhaus erklärte. Sie haben ihn geschminkt. Sie haben ihn als Schauspieler leben lassen. Sie haben ihn ungeschminkt beim Wort genommen, wenn er über seine Lieben beiderlei Geschlechts erzählt. Und dabei wird die Kamera nie voyeuristisch. Vielmehr begleitet sie ihn in seinen Erinnerungen, wie es einmal gewesen ist.
Und es sind eben diese Gedächtnisprotokolle von Hanno Baethe, die Videoskizzen, die er nun zusammenmontiert hat mit den Bildern des sterbenden Kurt Raab, die dieser Dokumentation eines aushauchenden Lebens ihren Stellenwert als gefilmtes Mosaik gibt. Es fügt sich fast alles unglaublich dicht und nahe aneinander.
Spricht Kurt Raab von seiner Erfahrung mit seiner Schwester, die letzten Endes wegen der Leute, der Nachbarn, es abgelehnt hat, ihren Bruder zu Hause sterben zu lassen, und die über den Tod hinaus es abgelehnt hat, ihn wenigstens in der oberpfälzischen Familiengrabstätte beerdigen zu lassen, kommentiert Hanno Baethe das mit Kurt Raabs Skizzen, in denen er singt: „Schwesterlein, Schwesterlein, wann gehen wir nach Haus. Brüderlein, Brüderlein, bald gehen wir nach Haus. Früh wann die Hähne krähn, wolln wir nach Hause gehn. Brüderlein, Brüderlein, dann gehn wir nach Haus.“
Und das wirkt nicht platt oder aufgesetzt und hat auch nicht den trostlosen Effekt einer Holzhammermethode, damit auch nur ja jedem klar wird, was gemeint ist. Es zeigt sich hier wie anderswo im Film, wie sensibel Hanno Baethe das vielstündige Material bearbeitet und aufeinander abgestimmt hat. Wenn Hans Hirschmüller erzählt, wie er ihn wie ein Baby gepflegt, in der Badewanne gewaschen hat und über die Überwindung der Ängste redet, die bei solch intensivem Körperkontakt bestehen, dann sagt er: „Irgendwie dachte ich, nee, das ist kein Grund, das ist kein Grund, ihm jetzt als normalem Pfleger zu begegnen, steril oder sowas, verstehst du?“ Und die anschließenden Bilder zeigen ihn mit einer Gazemaske vor dem Mund, und diese Irritation von eben noch steril und jetzt doch ein Schutz, wirkt wie das anschließende befreiende Lachen, weil das Schutz für diesen kranken Menschen ist.
Kurt Raab hat Glück im Unglück gehabt, weil sich für ihn Menschen gefunden haben, die seine letzte Zeit mit ihm in Würde verbracht haben, Menschen, die jenseits der Mitleidschiene für ihn da waren, die Kontakt mit ihm haben wollten und die es ihm gezeigt haben. Und nebenbei hat er uns noch einen Film geschenkt, der mehr ist als eine Dokumentation über den Tod eines Aids-Kranken. Es ist eine Studie über und auf Leben und Tod, wie sie jeden von uns treffen kann, wenn Menschen zu Tode erkranken. Und wenn man dann noch Freunde hat, hat man bei allem Unglück Glück.
Qpferdach
Im Abspann blendet das ZDF die Telefonnummer der Deutschen Aids-Hilfe ein. Mit entsprechender Vorwahl ist es bundesweit: 19 411
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