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Befreiung als Perspektive

■ Wie könnte eine feministische Theologie der Befreiung aussehen? / Eine Rezension

Ein Buchtitel, der täuscht. Ein Buch, das alles andere als enttäuscht: „Gemeinschaften des Widerstandes und der Solidarität. Eine feministische Theologie der Befreiung“ läßt eine Ansammlung von Erfahrungsberichten und Zustandsbeschreibungen erwarten. Was die Theologieprofessorin Sharon D. Welch (Harvard Divinity School) jedoch entfaltet, ist ein methodologisch reflektierter und Grundkategorien positionierender Entwurf zu einer feministischen Theorie befreiungstheologischen Handelns.

Sharon D. Welch nimmt Bezug auf Positionen der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, der schwarzen Theologie in den USA, der europäischen politischen Theologie und der feministischen Theologie (mit besonderer Verpflichtung gegenüber den Arbeiten Mary Dalys). Das ihnen allen gemeinsame Moment bestimmt sie über deren thematische Konzentration auf das „Partikuläre“, d.h. auf jene Inhalte, die in den Diskursen systematisch ausgeschlossen bleiben. Worum es geht, ist das, was Foucault den „Aufstand der unterworfenen Wissensarten“ genannt hat - das Erinnern der Konflikte, der Umbrüche, der Widerstandsformen.

Daß Sharon D. Welch die Arbeiten Foucaults zur theoretischen Grundlage für ihre eigene Konzeption macht, ist als ein genuin neuer Zugang im Rahmen feministisch -theologischer Theoriebildung hervorzuheben. Das Interesse gilt der Überwindung jenes Gut-und-Böse-Schematismus, der die meisten Versuche sowohl einer christlich als auch einer feministisch motivierten Machtkritik kennzeichnet. Macht wird hier nur unter dem Aspekt der Repression, Befreiung nur als das genau andere von Unterdrückung gedacht.

Demgegenüber reflektiert Welchs feministische Befreiungstheologie auf die komplexen und widersprüchlichen Funktionen von Macht. In ihrer entschiedenen Parteilichkeit für den Kampf gegen Unterdrückung bleibt sie sich der auch „repressiven Rolle von scheinbar befreienden Formen des Diskurses bewußt“. Sie verschließt sich gegenüber jedem Anspruch eines universalen Wahrheitswertes des Christentums, der jenseits von der konkreten Geschichte der christlichen Kirchen auszuloten wäre. Befreiungstheologie kann sich somit nicht auf ein unbeschadetes „Wesen des Christentums“ beziehen. Sie kann nicht davon ausgehen, daß der Teil der Geschichte des Christentums, wo es sich unterdrückerisch auswirkt, „bloß eine falsche Interpretation christlicher Symbole darstellt. In bezug auf die feministische Kritik gilt es zu erhellen, „was in der christlichen Tradition selbst dazu dient, den Sexismus zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten“.

Das konstitutive Moment einer so orientierten feministischen Befreiungstheologie bestimmt Welch über das Spannungsverhältnis zwischen einem „nihilistischen Relativismus“ und der „Bejahung des Widerstandes gegen Unterdrückung“. Der „Relativismus“ resultiert zum einen aus der Erkenntnis der sich (auch) unterdrückerisch auswirkenden „Wahrheitseffekte“ der christlichen Lehre, zum anderen aus dem Wissen um die Geschichtlichkeit und Partikularität konkreter Versuche befreienden Handelns: „Damit sie wirklich befreiend ist, darf meine feministische Theologie der Befreiung sich selbst nicht als endgültige Darstellung der Struktur von Freiheit und Gerechtigkeit betrachten.“ Die „Bejahung des Widerstandes“ gründet in der Weigerung , das Leiden von Menschen als unbedeutend und unveränderbar anzusehen. Sie hat ihren Bezugspunkt in „der gefährlichen Erinnerung des befreienden Glaubens“, dessen Wahrheit sich allein in der Praxis zeigt und dort immer neu zu bestimmen ist: „Eine feministische Theologie der Befreiung versteht das Christentum als eine Perspektive, die nicht bereits wahr ist, sondern dort Wahrheit gewinnt, wo Menschen befreit werden.“

Doris Brockmann

Sharon D. Welch: Gemeinschaften des Widerstandes und der Solidarität. Eine feministische Theologie der Befreiung. Edition Exodus. Freiburg/Schweiz 1988. 182 Seiten, DM 28,80.

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