Italiens Kommunisten pluralistische Musterpartei?

Der 18. Parteitag hat zumindest verbal eine Wende gebracht / Wichtigste Ergebnisse: Frauen im Vormarsch, innerparteiliche Demokratie garantiert / Schutz für abweichende Meinungen institutionalisiert / „Demokratischer Zentralismus“ abgeschafft  ■  Aus Rom Werner Raith

So recht wissen die Chronisten noch nicht, was sie in ihren Berichten über den soeben zu Ende gegangenen 18. Parteikongreß der italienischen Kommunisten in den Vordergrund rücken sollen: die geradezu aggressive Öffnung für neue, bisher vom PCI weitgehend verschlafene Themen wie Ökologie, Frauenfrage, Drogen und Europa usw.? Oder die Umarmung für „unsere Freunde in den USA“? Vielleicht die bewußte kontinuierliche Anrempelung des großen Konkurrenten, des Sozialistenchefs Bettino Craxi, der mit gewaltigem Getöse von seinem Thron eines Führers in „linkem Hause“ heruntergeholt wurde und dem nichts Besseres einfiel dagegen, als die elfmalige Zitierung Gorbatschows in der Rede von PCI-Chef Occhetto als „exzessiv“ zu bezeichnen? Oder den starken Einmarsch von Frauen in die Führung des PCI (30 Prozent Quotierung, bei den Wahlen sogar um mehrere Prozent überschritten)? Das Problem für die meisten Beobachter war auf diesem Parteitag zweifellos, daß so vieles neu war und daß sich, jedenfalls der Absicht nach, so ziemlich alles bisher Unveränderliche ändern soll.

Dies alles passierte noch dazu in einer völlig ungewohnten Kontroverselosigkeit der verschiedenen Flügel, von denen man sonst eher lauten Streit gewohnt war. Weder die Craxi-nahen Palladine um Giorgio Napolitano hatten größere Einwände noch die ökologieaufgeschlossenen Nicht-Ideologen um den Altlinken Pietro Ingrao. Selbst die wenigen kritischen Töne wurden von den Delegierten flugs als Zustimmung umgeklatscht. So etwa, als der neue Chefredakteur der 'Unita‘, Massimo D'Alema, vor unbesonnener Euphorie warnte und den Genossen noch einen „harten politischen Weg“ prophezeite, „bis dies alles auch Tat wird“, oder als Altstalinist Armando Cossutta die „Eliminierung der historischen Konzentration des PCI auf die Arbeiterschaft“ beklagte.

Bei soviel Harmonie gingen am Ende denn auch einige der wichtigsten und nachhaltigsten Entscheidungen fast völlig unter. So etwa die Abschaffung des „demokratischen Zentralismus“ und die Einführung der geheimen Abstimmung in allen Parteigliederungen. Beides scheint eher formal und gibt nur diesen Neuerungen eine Art Garantie für eine Fortschreibung des neuen Programms - und verlangt von den bisher eher ans Ausführen von „oben“ kommender Direktiven gewohnten Genossen ein totales Umdenken.

Mit der Eliminierung des „demokratischen Zentralismus“ setzt der PCI seit den 50er Jahren geheiligte Mechanismen außer Kraft, wonach Entscheidungen grundsätzlich „einmütig“ zu fällen sind - und zwar in der Regel von oben nach unten. Was in der Zeit des Kampfes der weitgehend rechtlosen Arbeiterschaft die Kompaktheit der Bewegung garantieren sollte, erwies sich immer mehr als „Garant“ der Unbeweglichkeit. Fabio Mussi, ZK-Mitglied: „Wir haben immer so lange diskutiert, bis der Widerstand der Kritiker erlahmt ist; ansonsten haben wir die Entscheidungen vertagt. In den letzten Jahren haben wir faktisch nur noch vertagt.“ Damit soll nun Schluß sein: Ausdrücklich stellt das neue Statut fest, daß künftig am Ende von Diskussionen „mehrheitlich“ entschieden wird. Flankierend dazu ist erstmals die Einführung geheimer Abstimmungen bei Entscheidungen wie etwa über die Führungsgremien absolut zwingend vorgeschrieben, in anderen Fällen auf Verlangen von nur 10 Prozent der Stimmberechtigten zu realisieren. „Damit“, freut sich Fraktionsvize Luciano Violante, der das Statut ausgearbeitet hat, „sind wir diejenige Partei, die abweichenden Meinungen mit Abstand den größten Schutz bietet.“

Schade nur, daß man das beim aktuellen Kongreß nicht gleich ausprobieren konnte - denn da gab es keine abweichenden Meinungen. Mit einer Ausnahme: Über das Rauchverbot bei PCI -Versammlungen gab es schwere Kontroversen. Doch ausgerechnet darüber (am Ende zugunsten des Verbots) wurde dann nicht geheim abgestimmt. Siehe auch Kommentar Seite 4