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LUSTLOS GENIAL

■ Phillip Boa & the Voodooclub aus Dortmund am Mittwoch im Quartier Latin

Vier Ellbogen drücken sich nach vorne, zwei uninteressante Männerköpfe hinterher. „Hoffentlich steht die Wasserstoff -Blondine bei uns an der Ecke“, sabbert der eine den Nachbarn voll. Das muß wohl der Traum eines jeden latenten Beschützerinstinkts-Inhaber sein - endlich das Gesicht von Frontsängerin und Keyboarderin Pia Lund mit der lieblichen Sandkasten-Stimme in das richtige Klischee einordnen zu können. Doch darauf muß man vorerst 45 Minuten warten.

Phillip Boa, Chef des Dortmunder Independent Labels „Constrictor“ und seit seinen letzten zwei LPs von „Polydor“ eingekauft, weiß sich und The Voodooclub in Szene zu setzen. Mit seiner eigenen komponierten Coverversion von Ravels „Bolero“ und einer gehörigen Portion Bühnennebel bevölkert sich die Bühne. Hinter allen nur erdenklichen Formen und Größen von Trommeln erledigen Der Rabe und The Voodoo ihr rhythmisches Handwerk und erreichen mehr Beachtung als jeder übliche Band-Drummer. Mit kabellosem Mikro steigt Boa hinter die erhöhten Drums, mimt mit schlaksigen Körperbewegungen den Junior-Sinatra und hat des öfteren die obskure Art, bei aufgerissenen Augen den Oberkörper nach links und rechts zu biegen. Sein Pony schwankt, durch eine Kinderspange hochgeclipst, hin und her. „Mach doch 'mal die Spange raus“, schreit einer sauer. „Ich bin ein freier Mensch.“ Pause. Boa macht keine Anstalten, sich beliebt zu machen. Ein „Danke“, die Ansage des nächsten Titels und in pompös dichtem Sound stellen die einzelnen Mitspieler ihr Können unter Beweis. Theoretisch dürfte man sich nicht langweilen, denn Boas Stücke haben keine Gewöhnungs-Struktur. Klassik-Violinen- und Flöten-Melodien aus der Sample-Maschine müssen mit rabiaten Noise- und Fuzz -Stakkato-Riffs klarkommen. Hardrockgitarre und Reggae -Rhythmus, Pias elfengleiche Stimme, im Poplied verpackt, contra Boas Vokal-Aggressivität. Im Gegensatz zur Band vertragen sich alle ungleichen Elemente in einem Lied. Kein Blickkontakt, nichts. Jeder für sich spielt seine Rolle, bekommt Raum für den Einzelauftritt. Der Gig scheint keine Freude, eher eine lustlos glatte Notwendigkeit zu sein. „Komisch, ihr bezahlt 20 Mark, um mich zu beschimpfen“, sagt Boa zu den Pfeifern die Tonleiter hoch und runter.

Im vollen Saal ist Boa der Herr im Haus, kann bestimmen, nicht umgekehrt. „Das nächste Stück heißt 'Tragic Mastery of Stock Hausen‘, und wem's nicht gefällt, muß trotzdem zuhören.“ Er sagt nicht viel, und wenn schon, denn schon.

Die Stücke werden live härter und schneller gespielt, und den Stehenden bleibt nur noch der Pogo. Apropos Pia: Wie ein Barbie-Püppchen steht sie hinter ihren Tasten, zierlich mit langem gelbblondem Haar, schlenkert beim Singen schlaff die Arme hin und her oder steht wie ein braves Kind mit nach hinten verschränkten Armen vor dem Mikro. Die Jungs vom Anfang kommen auf ihre Kosten. Sie haben auch den richtigen Platz erwischt. Denjenigen, die aus musikalischen Gründen erschienen waren, dürfte die Karte nicht zu teuer gewesen sein. Vor allem Voodoos Percussion, der Hände und Muskeln spielen läßt, klingt nach Live-Beschwörung aus dem Urwald. Dann ist die Pflichtkür vorüber. Das Material der „Copperfield„- und „Hair„-LP wurde unter die Masse verteilt.

Connie Kolb

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