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Endlos-Prozeß

■ Der Schmücker-Prozeß wird zum vierten Mal aufgerollt

Berlin (taz) - Im Morgengrauen des 5. Juni 1974 wird der 22jährige Student Ulrich Schmücker erschossen im Berliner Grunewald aufgefunden. Schmücker agierte zeitweise am Rande der „Bewegung 2.Juni“ und war kurz vor seinem Tod als Verfassungsschutzinformant enttarnt worden. Wenige Tage nach dem Tod Schmückers bekennt sich eine Gruppe „Schwarzer Juni“ zum Mord an dem „Verräter“. Drei Monate später werden in Darmstadt sieben Tatverdächtige verhaftet, darunter auch Ilse Schwipper und vier damals noch Jugendliche, deren Verurteilung der BGH jetzt aufgehoben hat.

Im Februar 1976 beginnt der erste Schmücker-Prozeß. Er endet nach 73 Verhandlungstagen mit bis zu 5jährigen Haftstrafen für die fünf Jugendlichen und lebenslänglich für die Hauptangeklagte Ilse Schwipper wegen gemeinschaftlichen Mordes. Einer der Verurteilten, Jürgen Bodeux, hatte ein Geständnis abgelegt und seine politischen Weggefährten schwer belastet. Bodeux wird nach zweieinhalb Jahren Haft vorzeitig entlassen und wird zum schillernden Kronzeugen der Anklage.

Wegen der ungeklärten Rolle des Kronzeugen Bodeux gibt der BGH 1977 der Revision der Angeklagten statt und hebt das Urteil erstmals auf. Im April beginnt der zweite Durchgang des Prozesses. Diesmal benötigen die Richter schon 109 Verhandlungstage, um - nach immer offenkundiger werdenden Verstrickungen von BKA und Verfassungsschutz - wieder zu einer Verurteilung wegen Mordes zu kommen. Doch auch diess Urteil hat keinen Bestand und wird wegen offenkundiger Verfahrensmängel vom BGH aufgehoben. Während vier der Angeklagten die gegen sie verhängten und dann aufgehobenen Strafen längst abgesessen haben, wird die Hauptangeklagte Ilse Schwipper sieben Jahre in Untersuchungshaft gehalten. Erst unter öffentlichem Druck nimmt die Justiz zur Kenntnis, daß diese bisher längste U-Haft in deutschen Gefängnissen bei der Gefangenen schwere physische und psychische Schäden verursacht hat. Ilse Schwipper bekommt Haftverschonung, muß sich aber bis heute ständig bei der Staatsanwaltschaft melden. 1981 startet der dritte Durchgang. Er endet fünf Jahre später nach 391 Verhandlungstagen völlig überraschend am 3.Juli 1986. Auch jetzt heißt das Urteil: schuldig und lebenslänglich für Ilse Schwipper. Im März 1989 hebt der BGH nach Studium der 2000seitigen Revisionsbegründung der Verteidigung den Schuldspruch erneut auf. Irgendwann im Herbst 1989 beginnt der vierte Durchgang des Verfahrens. Er dauert...

Ve.

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