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LA VIE EN HOSE

■ Thorsten Schäfer ist Hertha Herrlich

Alles ein bißchen wie im tragbaren Fernseher: ein wenig Glitzern und Flimmern, ein Tusch, ein Trara, und dann steht sie da, voila un homme!, Hertha Herrlich, schleudert ihren türkisfarbenen Fladenhut ins Off und setzt sich dem nächsthäßlichsten Mann auf den Schoß...: „Sag mal Schätzchen, ist da ein Schlüsselbund in deiner Hose...?“ Hertha Herrlichs Körper ist ein biegsamer Kleiderständer, auf den alle Klischee-Konfektionen passen, ihr Kopf ein Perückenhalter ohne Gesicht aber mit viel typisierender Grimasse, unter Herthas großem Hut „Modell Westfalen“ sitzt eine enge Wickelhaube, Modell Ruhrpott; Hertha Herrlich ist Thorsten Schäfer aus Essen. Und Thorsten Schäfer versucht in ihrer Show zu zeigen, wer, wie und was jenes Alter ego Hertha Herrlich eigentlich ist.

Die Eingangsgags haben uns nun bereits das Vorwissen beschert, das Hertha weder erlesen geschmacklos noch überraschend ordinär ist, und dem wird eigentlich in den nächsten eineinhalb Stunden nichts Weiteres hinzugefügt. Höchstens vielleicht, daß Hertha Herrlich bisweilen doch ein bißchen mehr Thorsten Schäfer ist, als Thorsten Schäfer das von Hertha Herrlich annehmen würde. Und Thorsten Schäfer ist offensichtlich ein begnadeter Fernsehfan, der die große Show -Pose, das schmachtende „New York - New York“ daheim in Essen geradezu vom Bildschirm gesogen hat. Denn wenn Thorsten Schäfer Hertha Herrlich spielt, die Tina Turner spielt, dann sieht das genauso perfekt und einstudiert aus, als würde Tina Turner Hertha Herrlich spielen (macht sie ständig. sezza), die Thorsten Schäfer spielt. Das dazu so oder so mindestens ein Kilo Schminke notwendig ist, versteht sich von selbst. Showbusiness as usual.

Und wenn sich dann alle drei irgendwo hinter der Kulisse umziehen, dann raunt eine überbrückende Stimme vom Band etwas über das romantisch tragische Leben „on the road“, ein bißchen Backstage, ein bißchen Ramplight, und wir ahnen: Thorsten Schäfer hat möglicherweise doch noch alles vor sich, was Tina Turner längst hinter sich hat: there's no business like showbusiness (oder: there's no beschißness like showbusiness! d.korr-in.).

In der Pause dann wissen wir von Hertha Herrlich gerade so viel: sie ist eine theatralische Helferin in der Not, die mit ihrem Travestie-Zynismus immer wieder Thorsten Schäfers platte Witze auf die spitzen Stöckel rettet: schwarz und bös‘ karrikiert sie in den Conferencen Hetero-Szenarien, die vom grellen Blitz scharfer Pointen hämisch ausgelöscht werden. Aber in den Song-Einlagen bleibt das dreckige Mundwerk dann doch wieder am sauberen Lippen-Synchron kleben, Licht aus, Spot an - TV-Travestie, frei ab zwölf.

Und das geht unvermeidlich mit Vollgas in die Sackgasse: Gnadenlos und tuntentragisch schraubt sich die Dramarturgie in den schwulen Bekenntnis-Show-Down, wird mit der Verzweiflungsmimik eines schicken Flüchtlingsmädchens um Gnade fürs dritte Geschlecht gebettelt: I am what I am, and what I am needs no excuses... (Make up: Ellen Betrix). Hertha Herrlich will alles, und das ist zuviel. Mit ihren Bosheiten biedert sie sich an, denn sie sucht die feindliche Freundschaft mit dem Publikum, das sie braucht, um als Star dastehen zu können; sie will der Welt den Arsch zeigen, und wackelt dann kokett mit ihm, damit ihr niemand reintritt. Sie will als Schwuler anders sein als all die anderen, und will sich das gleichzeitig vom Beifall der Heteros absegnen lassen, und das alles auf einmal geht nicht. Da sehnt man sich denn entweder gleich nach der professionellen Fernsehshow zum Abschalten, oder aber nach den genialen Dilettunten von Ladies Neid, die mit ihrer radikalen Trümmershow bereits nach zehn Minuten praktisch beweisen können, daß sie für ihre Selbstdarstellung auf den Zuspruch des Publikums gar keinen Wert legen. Fazit: Alles oder nichts. Oder: lieber gleich zu Georgette Dee.

Rainer Maria Bilka

Hertha Herrlich - Ich bin keine Frau, ich bin ein Fräulein. Im Theater 70/30, Fidicinstr. 17, Di, Do 20.30 Uhr, Fr, Sa 23 Uhr.

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