: Standbild: Pfau ohne Federn
■ Golo Mann im Gespräch mit Gero von Boehm
(Golo Mann im Gespräch mit Gero von Boehm, 26.März, ARD, 23.45 Uhr) Kein Wort über Golo Mann. Sondern 80 Zeilen über den Interviewer. Was heißt hier Interviewer? Am Ende hieß es im Abspann: „Golo Mann, porträtiert von Gero von Boehm.“ Unverfroren, aber nicht frech dabei, sondern nur gespreizt, ein Pfau ohne Federn. Bei einem Porträt sitzt einer still und der andere arbeitet. Hier war es - glücklicherweise umgekehrt: Der Porträtierte sprach und der Porträtierende stellte, wenn der Redefluß stockte, eine Frage. Dazwischen besinnliche Sekunden mit Weichzeichner, warmen Farben und leisen Streichern: die Kamera zeigt Pfeife, Buchwände und eine alte Schreibmaschine. Widerwärtig.
Gero von Boehm hat Golo Manns Autobiographie Erinnerungen und Gedanken - gelesen. Diesen Teil seiner Hausaufgaben hatte er gemacht. Aber für ihn hatte die kunstvolle Selbstdarstellung des 80jährigen keine Fragen aufgeworfen. Er wollte nicht da etwas genauer wissen, wies nicht dort auf einen Widerspruch hin. Golo Mann sollte dieselben Geschichten noch einmal erzählen. So kommt kein Gespräch zustande.
Der knotternde Golo Mann warf dem völlig überforderten Interviewer immer mal einen Knochen hin, der aber sah auf seine gelben Karteikarten und ging, wann immer sein hellwaches Gegenüber etwas sagte, was noch in keinem Buche stand, erschrocken zur nächsten Frage über. Golo Mann, der während der Auseinandersetzung um die Ostverträge Willy Brandt unterstützte, sogar bei einigen seiner Reden sich als Ghostwriter betätigte, erzählte von den zynischen Reden in dessen Umgebung, von der abgrundtiefen Dummheit eines Horst Ehmke. Da hätte ich gern mehr gehört. Nicht so Gero von Boehm. Ebenso unerfindlich, warum er Golo Mann nicht hat erzählen lassen, warum der von „diesen beiden Lumpen“ Adorno und Horkheimer redete. Jetzt steht das so da. Man wüßte gern mehr über die Auseinandersetzungen zwischen ihnen.
Gero von Boehm hatte an den 80jährigen, der die in den sechziger Jahren meistgelesene Deutsche Geschichte des 19. und 20.Jahrhunderts und ganz sicher die erfolgreichste Wallenstein-Biographie geschrieben hat, vor allem Fragen nach seiner Kindheit, nach dem Verhältnis zum Vater, noch ein wenig Politisches - kein Wort über Golo Manns zeitweilig enges Verhältnis zu Franz Josef Strauß - , dann war Schluß. Eine jämmerliche Veranstaltung. Wäre da nicht dieser wache, ganz und gar ungreisenhafte Greis mit dem glatten Gesicht gewesen, der so faszinierend zwischen Anpassung und Rebellion schwankte.
A.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen