: Standbild: Die Nostalgie der Nostalgie
■ Teenager-Melodie
(Teenager-Melodie, Sonntag, 26.März, 20.15 Uhr, N3) Die Erinnerung bringt alles durcheinander: die Krönung von Elisabeth II. mit dem ersten Petticoat, den Einsatz der Antibaby-Pille mit der Uraufführung der West Side Story. Und Lys Assia mit Ted Herold, Rocco Granata mit Margot Eskens. Die große Klammer hieß „fünfziger Jahre“. Auf die paar Jahre, die darüber hinausgehen, kommt es auch nicht an. Am Nierentisch wurde alles im rosa Milchshake zu einem Zeitgefühl gemixt. Das heißt heute Nostalgie, als Mode schon zehn Jahre passe, und das Öffentlich-Rechtliche tut so, als fängt es gerade erst an. Unter der Devise „more future“ versuppten zwei ModeratorInnen ein ganzes Jahrzehnt, ohne zu wissen, wovon sie reden. Wiederaufbau und Wirtschaftswunder wird zu Blue-Jeans und Coca-Cola, Hildegard Knef und Sonja Ziemann bekommen James Dean und Marlon Brando zugeschlagen.
Zu klingenden Zeitzeugen waren jene berufen, die damals den Ton angaben, die Schlagerstars der fünfziger Jahre. Die guten Stimmen, das waren jene sauberen, ausgebildeten Tonlagen, die der erwachsenen Nachkriegsgeneration mit Heimat- und Fernwehklängen den Schutt, die Vertreibung und die Verluste vergessen ließen. Sie werden vermischt mit den Kopisten der modernen, sprich amerikanischen Generation. Die mußten alles anders machen, auf keinen Fall richtig singen und den ersten Kids mit Taschengeld den Konsum erleichtern. Die jungen Leute an der Wende zu den sechziger Jahren wurden amerikanisch gehalten mit Vorbildern, die, schnell von der Schulbank gezogen, so tun mußten, als kämen sie aus der gleichen Klasse wie Elvis Presley und Bill Haley. Nur züchtiger, gebremster, deutsch. Ted Herold muß sich erinnern: „Eines Tages haben sie mir von der Bühne die Jacke geklaut, die Chaoten wurden immer schlimmer, das war nicht mehr mein Deal.“ Er hörte auf, wurde Radiomechaniker und ließ sich 1977 von Udo Lindenberg wiederentdecken, als Erinnerung an die Hüftschwung-Kopie von einst. „Ich lebe heute besser davon als damals bei meiner ersten Karriere.“ Auch Margot Eskens - „Ich bin das Cindy-Mädchen“ - läßt heute ihr Publikum wieder mehr „kochen“ denn je - trotz Karriereknick mit Zwangspause: „Wir deutschen Interpreten hatten es sehr schwer damals, als die Ausländer nach Europa kamen, und somit fing die ganze Misere eigentlich an.“
Damit die Misere ein Ende hat, steigen sie alle immer wieder in die Zeitmaschine, schreiben beständig das Jahr 1956 und playbacken die Sozialgeschichte der verlorenen Jahre: Hauptsache, das Gesicht erinnert noch daran wie der Tangoschritt und die Dauerwelle. So lassen sie sich immer wieder recyclen, bis die Geschichte keine mehr ist, sondern nur noch eine Kaffeefahrt-Gala als Nostalgie der Nostalgie.
Rocco Kraushaar
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