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BIBEL: Richard Elliott Friedmann "Wer schrieb die Bibel - So entstand das Alte Testament"

Daß die fünf Bücher Mose nicht von Moses stammen, weiß man seit langem. Schon im 11. Jahrhundert „wies Issak ibn Yashush, jüdischer Hofarzt eines Herrschers im maurischen Spanien darauf hin, daß eine in 1. Mose 36 erscheinende Liste edomitischer Herrscher die Namen von Königen enthalte, die erst lange nach Moses Tod gelebt hätten. Ibn Yashush kam zu dem Schluß, diese Liste stamme von jemandem, der nach Mose gelebt haben mußte - und das brachte ihm den Spitznamen 'Isaak der Tölpel‘ ein.“ Spätestens mit dem 1842 geborenen Julius Wellhausen und dessen Untersuchungen zur biblischen Textgeschichte hatte die kritische Bibelforschung gesiegt. Der protestantische Theologe gab seinen Lehrstuhl an der Universität Greifswald auf: „Ich wurde Theologe, weil mich die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel interessiert hat. Erst nach und nach ist mir klar geworden, daß ein Theologieprofessor gleichermaßen die praktische Aufgabe hat, Studenten auf den Dienst in der evangelischen Kirche vorzubereiten, und daß ich diese praktische Aufgabe nicht erfülle, sondern vielmehr trotz aller Zurückhaltung meinerseits meine Zuhörer für ihr Amt untauglich machte.“ Das war der historische Augenblick, zu dem spätestens mit dem Aberwitz der theologischen Fakultäten an wissenschaftlichen Hochschulen hätte Schluß gemacht werden müssen.

Aber, reden wir von dem Buch, aus dem ich diese Weisheiten habe: „Wer schrieb die Bibel“ heißt es; der Autor ist Richard Elliott Friedman. Sein Buch ist angenehm leicht zu lesen, spannend dazu. Es bietet gewagte Hypothesen und ist doch gleichzeitig fast eine Einführung in biblische Textkritik.

Friedman referiert die Erträge der bisherigen Forschung: Was wir als die fünf Bücher Mose kennen und für gewöhnlich als eine zusammenhängende Geschichte ansehen, ist in Wahrheit eine Zusammenstellung von im Wesentlichen fünf Quellen. Friedman zeichnet ihre Geschichte. Zeigt wie die Geschichtsschreiber eines geteilten Landes, jeder seine eigene Geschichte schrieb, wie später, nach der Wiedervereinigung, die Teilgeschichten zu einer Geschichte zusammengestückelt wurden. Friedman macht die politischen, gesellschaftlichen Kräfte deutlich, die hinter den Varianten einzelner Erzählungen stehen. Ein Schnellkurs in der Kunst des Lesens. Natürlich gehen einem die Augen über, wenn Friedman einem die Sintflutgeschichte vorliest und man merkt, daß sie aus zwei ganz und gar selbständig zu lesenden Texten besteht. Wie bei einem Vexierbild entdeckt man in einem Text einen anderen. Ein Zauber. Da ist es fast gleichgültig, ob der Prophet Jeremias tatsächlich der Autor des 5. Buch Moses und der sechs anschließenden Bücher ist, ob der Redaktor, dem wir die heutige Bibelgestalt verdanken, tatsächlich der Priester Esra war. Plausibel macht Friedman seine Thesen. Aber deutlich macht er auch, welche Kenntnisse nötig sind, um hier über wahr und falsch zu urteilen.

Legt man „Wer schrieb die Bibel“ aus der Hand, so weiß man, daß Gott damit nichts zu schaffen hatte, dafür aber kommt einem der detektivische Tüftlersinn der kritischen Bibelwissenschaftler jetzt fast übermenschlich vor.

Richard Elliott Friedman, Wer schrieb die Bibel - So entstand das Alte Testament, aus dem Ameriknaischen von Hartmut Pitschmann, Verlag Paul Zsolnay, 336 Seiten, 38 DM

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