: Frenzy - Hitchcock-Film
Für Frenzy kehrte Hitchcock 1972 aus Hollywood nach London zurück, um in seiner Heimatstadt den persönlichsten, „typischen“ Hitchcock-Film zu drehen. Hitch, Sohn eines römisch-katholischen Gemüsehändlers, inszenierte die bestialische Mordserie eines psychopathischen Gemüsehändlers. Dabei ließ er die Orte seiner Kindheit und Jugend wiederauferstehen - und gab seinen Obsessionen vom Essen und von der Gewalt auf einer Weise nach, wie er sie bisher auf der Leinwand nicht gewagt hatte.
„Der Akt des Mordens war in Alfred Hitchcocks Filmen immer mit den Mitteln des Schnitts und der kunstvollen Fotografie stilisiert worden; dadurch wurde ein Gefühl der Schrecklichkeit und des Schocks ohne langes Verweilen auf Einzelheiten vermittelt. Frenzy aber war anders geplant; Frenzy war von vornherein ein Zugeständnis an die Erwartungen des zeitgenössischen Publikums und eine persönlichere Enthüllung der zornigsten und gewalttätigsten Begierden des Regisseurs. Der Gemüsehändler aus Covent Garden, der gleichzeitig von Frauen angezogen und abgestoßen wird, der voller Begierde ist und voller Verachtung für diese Begierde, begeht in diesem Film den endgültigen Hitchcock-Mord - versuchte Vergewaltigung und Strangulieren; darauf war die Lebensarbeit des Regisseurs bereits seit The Lodger hinausgelaufen. Hitchcock bestand auf der ganzen häßlichen Deutlichkeit dieses Films; trotz seines filmischen Erfindungsreichtums enthält er eines der abstoßendsten Beispiele der Filmgeschichte für eine detaillierte Mordszene.“
„Essen-Szenen sind in Hitchcocks Filmen immer wichtig; seine Filme suggerieren oft Anziehung und Abstoßung, wenn es um Essen geht (oder um unersättlichen sexuellen Hunger), wie es seinem eigenen Leben entsprach. (Als Antwort auf die Frage: 'Wie würden Sie gern ermordet werden?‘ antwortete Hitchcock: 'Nun, es gibt viele nette Möglichkeiten. Essen ist eine gute.‘) Die drei Teile von Sabotage werden von Mahlzeiten markiert; Essen-Szenen sind entscheidend für die Enthüllung der Charaktere in Im Schatten des Zweifels, Berüchtigt, Psycho, Die Vögel und Marnie, und sie werden mit Bildern von Seekrankheit und Erbrechen in Endlich sind wir reich über Lifeboat bis Die Vögel in Verbindung gebracht. In Frenzy wurde Essen schließlich zum Hauptdarsteller, was für den Zuschauer zu ständigen Unterbrechungen der Handlung und der Beziehungen zwischen den Figuren führt. Außerdem stochert der Killer nach dem Mord mit der Krawattennadel in seinen Zähnen herum - ein Detail, das Hitchcock ganz spät noch hinzufügte. Die Dialoge in Frenzy sind mit Verweisen auf die (physisch) hungernden Menschen der Welt und die (emotional) hungernden Figuren der Geschichte des Films durchsetzt; und der Inspektor spricht vom 'angeregten Appetit‘ des Killers, als er sich mit ungenießbarem Essen herumschlägt.“
Aus: Donald Spoto, Alfred Hitchcock - Die dunkle Seite des Genies, Kabel Verlag, Hamburg 1984.
Frenzy, WDR III, 22.45 Uhr.
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