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Die „Koma-Lösung“

Im neunten Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF und anderen militanten Widerstandsgruppen 1984/85 wurde an dem Gefangenen Knut Folkerts erstmals statt der bis dahin üblichen Methode der Zwangsernährung die sogenannte „Koma -Lösung“, die „Behandlung im Koma“, angewandt. Dahingehend wurde 1985 der §101 des Strafvollzugsgesetzes geändert. Konkret heißt dies, daß der Eingriff mit den Mitteln der Intensivmedizin während des Hungerstreiks so lange nicht erfolgt, bis der Gefangene durch die langanhaltende Nahrungsverweigerung das Bewußtsein verliert, am Rand zwischen Leben und Tod steht. Erst in diesem Zustand der Willenlosigkeit werden ihm Nahrungslösungen per Infusion zugeführt.

Hintergrund für die Einführung dieser neuen Methode waren die zunehmenden öffentlichen Proteste gegen die Tortur der Zwangsernährung. Bereits während des Hungerstreiks 1981 hatten die Justizbehörden Mühe, überhaupt noch Ärzte für die Durchführung der Zwangsernährung zu finden. Organisationen wie der Marburger Bund, aber auch die Bundesärztekammer hatten heftige Bedenken gegen die Zwangsernährung geltend gemacht. In zahlreichen Stellungnahmen hatten Ärzte erklärt, die brutale Methode, die zudem zu lebensgefährlichen Verletzungen führen könne, sei mit der ärztlichen Ethik nicht vereinbar.

Aber auch die 1985 erstmals durchgeführte „Behandlung im Koma“ rief heftige Proteste hervor. Der Wille des Gefangenen wird nicht wie bei der Zwangsernährung durch physische Gewalt bei der Einführung der Infusionsschläuche gebrochen, sondern durch Abwarten des Komas umgangen. Zu Protesten war es 1985 vor allem auch gekommen, weil Knut Folkerts mit Beginn der „Behandlung im Koma“, die damals in der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt wurde, von allen Kontakten abgeschottet war. Die „Vereinigung Niedersächsischer Strafverteidiger e.V.“ wandte sich damals an die Öffentlichkeit und forderte die sofortige Aufhebung dieser faktischen Kontaktsperre. Die Tatsache, daß auch die Anwältin ihren Mandanten trotz mehrfacher Gesuche nicht aufsuchen konnte, werteten die Verteidiger als Außerkraftsetzung des Rechts auf Verteidigertätigkeit: „Seit Dienstag, 29.Januar, werden zur Begründung der Kontaktsperre medizinische Gründe vorgeschoben - dies kann prinzipiell nicht akzeptiert werden, das Recht auf jederzeitigen Verteidigerkontakt richtet sich als Minimalrecht auf Kontrolle staatlicher Gewalt auch gegen Gefängnisärzte oder sogenannte freie Ärzte, die wie Gefängnisärzte im Justizauftrag und keinesfalls im Auftrag des Gefangenen tätig werden. Diese entziehen sich mit dem medizinischen Vorwand nur ihrer eigenen Kontrolle.“

mai

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