Asylbewerber erwürgt - Freispruch?

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil gegen zwei Angestellte eines Supermarktes auf, die einen iranischen Ladendieb zu Tode gewürgt hatten / Rücküberweisung zum Landgericht, und zwar zur Prüfung auf Freispruch  ■  Aus Karlsruhe Petra Seitz

Der Fall des zu Tode gewürgten iranischen Asylbewerbers Kiomars Javadi muß erneut vor Gericht aufgerollt werden - so entschied gestern der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe. Er hob damit das Urteil des Landgerichts Tübingen auf. Es sei nicht ausreichend geklärt, ob sich die beiden für den Tod des Iraners verantwortlichen Angestellten eines Supermarktes wirklich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hätten oder ob sie freizusprechen seien.

Der Lehrling, der Javadi über eine Viertelstunde im Würgegriff gehalten hatte, sei von der Situation - vorausgegangen waren leichte Rangeleien, der andere Angeklagte war in den Finger gebissen worden - möglicherweise so überfordert worden, daß er die Folgen seines Verhaltens gar nicht hätte absehen können.

Gleiches sei auch für den Filialleiter zu rügen, dessen Revisionsantrag die fünf Richter mit dieser Entscheidung stattgaben. Er hatte den Iraner während des Würgegriffs durch Verdrehen des Beines „ruhiggestellt“.

Den Revisionsanstrag der Witwe des Erwürgten, die beiden Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen, lehnte das Gericht dagegen als „unbegründet“ ab.

Zur Klärung der Frage, ob die beiden freigesprochen werden oder nicht, überwies der Bundesgerichtshof den Fall ans Stuttgarter Landgericht.

Wie Kiomars Javadi starb, ist unstrittig. Am 19. August 1987 war der 20jährige iranische Flüchtling in einem Tübinger Supermarkt beim Versuch beobachtet worden, einen Ladendiebstahl zu begehen - Waren im Wert von 54,50 Mark, wie im Prozeß Ende Juni 1988 immer wieder betont wurde. Als man ihn festhalten wollte, hatte er versucht zu fliehen.

Nach einem Handgemenge bekamen ihn der damals 27jährige Filialleiter und der 18jährige Lehrling vor dem Hinterausgang zu fassen. 15 bis 18 Minuten lang hielt der Lehrling den auf dem Bauch liegenden Mann im Würgegriff, während der Filialleiter ein Bein Javadis so nach oben verdreht hielt, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Passanten schauten zu, einige riefen sogar: „Du bringst ihn ja um!“ Als dann die Polizei kam und die Supermarktangestellten den Iraner endlich losließen, war er tot, erdrosselt.

Im Prozeß vor dem Tübinger Landgericht war von Ausländerfeindlichkeit nichts zu hören gewesen, dafür viel über Javadis Mitschuld an seinem Tod und über den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn des Lehrlings und seinen Eifer beim Aufspüren von Ladendieben - wobei sein besonderes Augenmerk meist Ausländern galt. Es sei rechtens gewesen, entschied Richter Dippon, Javadi festzuhalten - auch auf diese brutale Art -, denn „es lag ein Diebstahl vor“. Das Opfer habe außerdem durch seine Gegenwehr - er hatte den Filialleiter in den Finger gebissen - zur Rabiatheit der beiden selbst beigetragen.

Entgegen der Meinung des medizinischen Gutachtens war der Richter nicht der Ansicht, daß vor allem der Lehrling hätte merken müssen, daß der Mensch, dessen Hals er umklammert hielt, bereits nach einigen Minuten blau anlief, bewußtlos wurde und nach zehn Minuten tot war. Die beiden Angeklagten hätten nicht vorsätzlich gehandelt, sie seien sich der Gefährlichkeit ihres Tuns nicht bewußt gewesen. Allerdings, räumte der Richter ein, war Javadis Tod vorhersehbar; er verurteilte die Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung.

Der Anwalt der Witwe Javadis, die als Nebenklägerin auftrat, hatte in seinem Revisionsantrag gefordert, das Urteil aufzuheben, da das Zu-Tode-Würgen des jungen Iraners mindestens als vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge zu werten sei.

Der Verteidiger des Filialleiters hingegen hatte Freispruch für seinen Mandanten verlangt. Dieser habe Javadi ja nur am Bein festgehalten - ein rechtmäßiges und angemessenes Verhalten, um einen Ladendieb festzuhalten.