: „Hinter sanften Worten der Schäferhund“
Im Konflikt um das besetzte Arbeitsschutzmuseum in Berlin-Charlottenburg sind die Fronten nicht mehr so starr / Senat: Freiwillige Räumung keine Vorbedingung, aber BesetzerInnen müssen Zeichen setzen / Seit heute hat der Bund das Wort ■ Aus Berlin Ursel Sieber
In Berlin ist seit dem Tage der Vereidigung des rot-grünen Senats ein Gebäude besetzt, das vor kurzem noch abgerissen werden sollte. Dabei ist dieser Bau aus der Jahrhundertwende, das ehemalige „Arbeitsschutzmuseum“, wirklich wunderschön: Einen kleinen Glaspalast haben sich die BesetzerInnen ausgeguckt, die, wie sie sagen, aus „autonomen und antiimperialistischen Zusammenhängen“ kommen und hier nun ein „Revolutionäres Zentrum“ aufbauen möchten. Das beschäftigt den rot-grünen Senat und die Alternative Liste (AL) seit Tagen mit Sitzungen rund um die Uhr, und in dieser Hektik sah es manchmal ganz danach aus, als würden die Fraktion der AL und ihre drei Senatorinnen den Kopf verlieren. Denn nicht nur die Berliner Presse betrachtet das besetzte Arbeitsschutzmuseum als Bewährungsprobe des rot -grünen Senats. Seit Donnerstag nacht ist immerhin soviel klar: Der Senat sucht weiter nach einer politischen Lösung, ein Räumungsbegehren wird er selbst nicht beantragen.
Das „Arbeitsschutzmuseum“ ist eines der wenigen sozial- und baupolitischen Denkmäler, die in West-Berlin erhalten sind eine einzigartige Mischung aus Fabrikhalle und Kirchenschiff, überdacht mit einer faszinierenden Stahl- und Glaskonstruktion. Im Jahre 1978 ging es in den Besitz der „Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt“ (PTB) über - einer Bundesbehörde, dem Bonner Wirtschaftsminister unterstellt. Doch die PTB ließ es verrotten, ja, sie wollte sogar den Abriß erzwingen. Diesen Rechtsstreit hat die Bundesanstalt verloren und will in das schöne Gebäude nun ausgerechnet Laboratorien einbauen. Die PTB ist die Genehmigungsbehörde für alle wesentlichen Atomtransporte und alle End- und Zwischenlager.
Der Berliner Senat durfte das Gebäude vorübergehend für eine Ausstellung nutzen. Doch das ist vorbei - seit heute hat die PTB wieder das Hausrecht und will sogleich mit „Messungen“ beginnen. Dem Bund könnte es gut gefallen, in Berlin mit einem Räumungsbegehren ein bißchen mitzumischen.
Die BesetzerInnen stört das alles wenig. Sie haben das ehemalige Museum „Leila Khaled-Zentrum“ getauft und basteln fleißig am Aufbau „ihres“ Zentrums herum. In einem „Seitenschiff“ sind die ersten Klos bereits schön getäfelt eingebaut. Auf der Empore ist eine Theke aufgebaut, daneben stehen Holztische, Stühle und Bänke. Für eine Mark gibt es Kaffee, Kakao und Säfte, aber keinen Alkohol. Auf kleinen Tischchen liegen Papiere zum Hungerstreik aus, an Stellwänden findet man Informationen zur Kampagne gegen den §129a. An der Wand hängt eine große Tafel, auf der, allem Räumungsgemunkel zum Trotz, für die nächsten Tage alle möglichen Veranstaltungen angekündigt werden. Auf die Frage nach ihren Zielen verweisen sie auf ihre „Besetzungserklärung“: „Wir werden in diesem Haus ein revolutionäres Zentrum aufbauen. In diesem Freiraum werden sich antikapitalistische und internationalistische Gruppen organisieren.“
Ihre „Verhandlungsgrundlage“ haben sie vor ein paar Tagen vor der Presse verlesen, Fragen waren nicht zugelassen. Die Forderungen: Das Haus ist Eigentum der BesetzerInnen, die inhaltliche Konzeption ist unantastbar, mit Senatsgeldern soll das Haus saniert werden, und der Senat soll auch Gelder für kulturelle und politische Veranstaltungen bereitstellen. Die Vorbedingung des Senats für Verhandlungen, das Gebäude „freiwillig“ zu verlassen, sei „inakzeptabel“, sagen sie, um dann die Politik des rot-grünen Senats so zu kritisieren: „Hinter den bislang sanften Worten des SPD-AL-Senats lauert der knurrende deutsche Schäferhund.“ Und weiter: „Rot-Grün scheut die Konfrontation mit der CDU-Regierung in Bonn und räumt lieber gleich ab.“
Das geschieht nun - zumindest vorerst - nicht. Die „freiwillige Räumung“ sei keine Vorbedingung für Verhandlungen, stellte gestern der AL-Abgeordnete Haberkorn klar. Allerdings müßten die BesetzerInnen auch „Zeichen“ setzen, daß sie sich auch über einen anderen Standort unterhalten würden und nicht darauf beharren, daß das Gebäude ihnen gehöre. „Wenn sich da nichts rührt, dann wird es noch einmal eine harte Diskussion in der AL geben“, meint der Abgeordnete.
Damit dürfte er recht behalten. In der Fraktion machte sich in den letzten Tagen die Stimmung breit, wonach man sich die Politik nicht von 30 Leuten diktieren lassen wolle und der rot-grüne Senat das Gebäude räumen müsse, wenn die BesetzerInnen nicht freiwillig gingen. Der Parteivorstand hat sich einstimmig gegen eine polizeiliche Räumung ausgesprochen. Jetzt hoffen alle auf Bewegung bei den BesetzerInnen - und die haben bis Redaktionsschluß auf das neuerliche Senatsangebot noch nicht geantwortet.
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