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Demnächst Sondermüllhavarie in Berlin

■ Seit Monaten wird Sondermüll illegal auf die DDR-Mülldeponie Vorketzin transportiert / Altlast des CDU/FDP-Senates Ein AL-Umweltexperte: Es wird Jahre dauern, bis der Senat ein neues Abfallkonzept entwickeln und umsetzen kann

Die Staatsanwaltschaft bestätigte gestern einen Vorfall, der ein Schlaglicht auf die merkwürdigen Wege des West-Berliner Sondermülls wirft: Gegen Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung (BSR) wird ermittelt, weil sie zur Verbrennung bestimmte giftige Sonderabfälle annahmen, den Müll dann jedoch lediglich zur Deponie bringen ließen. Weil sie darin keinen Betrug sehen, wollen die Staatsanwälte die Ermittlungen einstellen. Ein Umweltschützer hat jetzt jedoch erneut Strafanzeige erstattet wegen des Verdachts der schweren Umweltgefährdung und der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung. Die Anzeige richtet sich gegen diejenigen in der Umweltbehörde und bei der BSR, die für fahrlässige Berliner Müllpraktiken verantwortlich sind.

Das Problem: Die BSR liefert in ständiger Praxis Sondermüll, zum Teil flüssige, wassergefährdende Stoffe wie ölhaltige Emulsionen, Tankreinigungsrückstände und Müllabscheider auf die DDR-Deponie Vorketzin, die für diese Stoffe eigentlich nicht ausgelegt ist. Unterabteilungsleiter Friese von der Umweltverwaltung hatte der BSR schon Ende letzten Jahres gedroht, ihr die Mülltransporte nach Vorketzin zu „untersagen“. So geht es aus Briefen und Vermerken hervor, die der taz vorliegen. Friese sah die Gefahr, daß der Giftmüll auf der Deponie Boden- und Wasserverseuchungen verursachen könnte. Das, so Frieses Sorge, könnte nicht nur ökologischen, sondern auch finanziellen Schaden anrichten - für den West-Berliner Senat. Denn die DDR hatte sich vertraglich zusichern lassen, daß sie die potentiellen Kosten nicht zu tragen hat. Die BSR, so Frieses Vorwurf, habe nicht ausreichend Möglichkeiten geprüft, den Giftmüll in West-Berlin oder in der Bundesrepublik zu entsorgen. Eine der BSR von seiner eigenen Verwaltung erteilte Genehmigung für den Müllexport sei auch deshalb rechtlich nicht haltbar.

Der Unterabteilungsleiter ist seit dem 16.Februar vom Dienst suspendiert. Auch BSR-Chef Fischer mag die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. In der BRD gebe es zuwenig Verbrennungskapazitäten, so Fischer. Den Firmen, die der Behördenmann zwecks Recycling in West-Berlin empfohlen habe, vertraut Fischer nicht - und ist sich da einig mit AL -Umweltexperten. Zur Deponie Vorketzin gebe es momentan keine Alternative.

Was aber auch Fischer nicht bestreiten will: Mit der neuen Abfallverbringungsverordnung, die am 1. Januar auch in Berlin in Kraft trat, läßt sich die Berliner Sondermüllpraxis auf keinen Fall mehr vereinbaren. Eine Reihe von Voraussetzungen für den Müllexport, die die Verordnung verlangt, kann die BSR vorerst nicht erfüllen. Schon seit Monaten entsorgt die Stadtreinigung ihre Sonderabfälle folglich auf nicht ganz legale Weise.

In West-Berlin fehlen nicht nur Kapazitäten für das nun stärker geforderte Recycling von Sondermüll, es fehlt auch eine Erklärung der DDR-Firma Intrac, daß der Giftmüll in Vorketzin oder künftig in der Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche tatsächlich ordnungsgemäß und nach dem letzten Stand der Technik entsorgt werde. Der West-Berliner Intrac -Vertragspartner, die Senatsfirma Berlin Consult (BC), wurde erst kurz vor Ostern vom Senat gebeten, diese Erklärungen überhaupt zum Verhandlungsgegenstand mit der DDR-Firma zu machen.

BSR-Chef Fischer kann sich vorerst nur auf eine Übergangsgenehmigung berufen. Würde gesetzeskonform verfahren, sagt Fischer, könnte der Müll nicht entsorgt werden. „Dann haben wir die Sondermüllhavarie“, warnt der BSR-Direktor. Firmen blieben auf ihrem Giftmüll sitzen und müßten die Produktion einstellen. Die Schuld liege bei der Behörde, meint Fischer. Erst auf Drängen der BSR habe die Umweltbehörde Ende letzten Jahres überhaupt die neue Gesetzeslage zur Kenntnis genommen. Er erinnert sich an „teilweise chaotische Besprechungen“ kurz vor Weihnachten. Mehrere hundert verschiedene Genehmigungen für die Ausfuhr unterschiedlicher Müllsorten habe die BSR ja eigens beantragt, rechtfertigt sich Fischer. Daß die Anträge bislang nicht beschieden wurden, liegt jedoch nicht nur am Personalmangel der Umweltbehörde. Um eine neue Bedingung des Gesetzgebers zum Beispiel - den Vorrang für Verwertung haben sich in der Vergangenheit weder BSR noch Senat gekümmert. Das Chaos ist auch eine Altlast des vormaligen FDP-Senators Starnick. Zurechtkommen muß damit nun jedoch die neue AL-Umweltsenatorin Schreyer. Monate, ja Jahre werde es dauern, schätzt ein AL-Umweltexperte, bis der neue Senat ein Konzept entwickeln und umsetzen kann. Potentiell wassergefährdender, flüssiger Giftmüll wird nun weiterhin auf der unsicheren DDR-Deponie Vorketzin abgeladen - oder demnächst in der umstrittenen SVA Schöneiche verbrannt.

Wolfgang Tietze/hmt

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