piwik no script img

Der verdrängte Bürgerkrieg

■ Am Jahrestag der republikanischen Kapitulation schweigt das offizielle Spanien / Eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Verlauf und Ende der Zweiten Republik hat bis heute nicht stattgefunden

Spanien hält Kurs auf 1992. Ein geschichtsträchtiges Jahr soll es werden - neben dem Vollzug der EG-Integration steht die 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas auf dem Programm, ein Ereignis, das mit Zustimmung der kreditabhängigen Lateinamerikaner als „friedliche Begegnung der Kulturen“ vom penetranten Blutgeruch bereinigt und damit in gleicher Weise konsumierbar wird wie die zur selben Zeit stattfindende Olympiade. Ob am Austragungsort dieser Spiele dann auch an die für das Jahr 1936 geplante Anti-Olympiade der Arbeitersportler (gegen die Propagandafestspiele 1936 in Berlin) erinnert werden wird, bleibt abzuwarten. Die Anti -Olympiade fand nicht statt - wenige Tage vor der Eröffnung platzte die Bombe des Generalputsches vom 18.Juli 1936 viele Arbeitersportler zogen statt ins Stadion mit einer der anarchistischen oder kommunistischen Milizen in den Kampf.

Wer in diesen Tagen, in denen sich die Liquidierung der spanischen Republik und die Etablierung eines neofeudalen faschistischen Ständestaates zum 50. Mal jährt, die spanische Presse auf eine Resonanz durchforstet, wird enttäuscht. Auch das offizielle Spanien verdrängt das Ereignis und huldigt weiter einer Versöhnungsideologie, obwohl nicht erst seit Oberst Tejeros Putschversuch im Februar 1981 klar ist, daß dieser Vergangenheit noch immer beträchtliche Sprengkraft innewohnt.

Traumatisches Ende

Nur der neue spanische Kulturminister, der Schriftsteller Semprun durchbrach das Tabu. Auf dem Friedhof des südfranzösischen Küstenstädtchens Collioure, in dessen Umgebung vor 50 Jahren eine halbe Million spanischer Flüchtiger einem ungewissen Schicksal entgegensah, fand am 22.Februar 1989 ein bescheidenes Totengedenken statt. Dort starb vor einem halben Jahrhundert der spanische Dichter Antonio Machado. Sein Tod repräsentierte ein Kollektivschicksal - den Todeskampf der geschlagenen Republik, die ihn nur um wenige Wochen überdauern sollte und die folgende Exilierung der gesamten republikanischen Führungsschicht, die für viele mit dem Tod endete.

Vor diesem Hintergrund ist die Trauerfeier auch als eine Huldigung an die Republik zu verstehen. In Ermangelung weiterer Staatsakte ist der Besuch des ehemaligen Exilanten und Buchwald-Häftlings Semprun am Grab des exilierten Dichters Ausdruck des Dissens mit der offiziellen Linie aller heutigen spanischen Parteien, eine allzu deutliche Identifikation mit einer der kämpfenden Parteien im Bürgerkrieg zu vermeiden.

Das offizielle Schweigen ist die Antwort auf die vielfältige Entstellung der Geschehnisse im Zeichen wechselnder Ideologien. Tatsächlich dürfte nichts in der neueren Geschichte des Landes von annähernd nachhaltiger Wirkung gewesen sein wie die bedingungslose Kapitulation der Republik nach drei Jahren Krieg. 1936 hatte sie sich, getragen von einer Massenbewegung und unter internationaler Anteilnahme, gegen die reaktionären Generäle verteidigt, lieferte Stoff für Romane und Geschichten und wurde zum Symbol verklärt, Symbol einer geglückten Umsetzung anarchistischer Utopien für die einen, für die anderen Symbol uneigennütziger internationalistischer Völkerfreundschaft, Symbol hinterhältigen Taktierens der stalinistisch gesteuerten kommunistischen Partei für viele, die dieser daraufhin bald den Rücken kehrten, für viele Emigranten schließlich Symbol eines endlich sich formierenden Widerstandswillens gegen die faschistischen Mächte Italien und Deutschland.

Bereits zu Beginn des Kampfes setzte mit voller Härte der Kampf der Propagandabatterien auf beiden Seiten der Front und zugleich zwischen den einander zunehmend verfeindeten Fraktionen der republikanischen Linken ein. So wie Nazi -Deutschland sich über die Gelegenheit freute, neue Waffen und Truppeneinsätze auf fremdem Territorium zu trainieren, so fand die Sowjetführung Gefallen daran, offene Rechnungen mit abtrünnigen Kommunisten zu begleichen. Auch nach Kriegsende wurde noch viel Tinte vergossen in der Frage, wem die Schuld an der Niederlage der Republik zuzuschreiben sei

-der mangelnden Disziplin der Anarchisten oder der Machtgier der Kommunisten. Eine ernsthafte, unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den Ereignissen wurde von den Siegern systematisch unterbunden. In vielerlei Beziehung dauerte der Bürgerkriegszustand bis 1975, dem Todesjahr des greisen Generalissimo, fort.

Alte Hoffnungen auf Europa

Vor diesem Hintergrund wird es nicht erstaunen, wenn die leidenschaftliche Epoche des Bürgerkrieges heute in Spanien leidenschaftslos, allen Symbolen zutiefst mißtrauend, vergegenwärtigt wird. Es klafft ein Abgrund zwischen den aufs Jahr 1936 gerichteten Projektionen vieler vorwiegend ausländischer Autoren und den traumatischen Erfahrungen der Bewohner eines Landes, die ihre Hoffnungen auf erträglichere Lebensbedingungen jäh enttäuscht und im Blut ertränkt und sich von der Welt verlassen, wenn nicht betrogen fühlten. Die Tür, die damals von den nicht intervenierenden Mächten Großbritannien und Frankreich ins Schloß geworfen und von Franco verriegelt wurde, bedeutete einen entscheidenden Rückschlag im Ringen des Landes um eine Europäisierung.

Wen die Entschlossenheit wundert, mit der das heutige Spanien seinen Platz in Europa sucht und dabei das strittige Nato-Engagement in Kauf nimmt, findet hier eine Erklärung. Ob das Europa nördlich der Pyrenäen diesmal den von Spanien in es gesetzten Hoffnungen entsprechen kann, muß sich erst noch zeigen - allzu lange wurde dieses Land an der Peripherie Europas als Lieferant von Edelmetallen, billigen Arbeitskräften und Agrarprodukten, Mythen und Symbolen benutzt. In den oft von Sendungsbewußtsein durchtränkten Bürgerkriegsromanen klingt bisweilen etwas Herablassung an ob der Naivität spanischer Anarchisten. Auch die spanischen Politiker der Republik werden in diesen Berichten allzu oft als bloße Anhängsel einer symbolischen Auseinandersetzung dargestellt. Dabei bewiesen diese Politiker weitaus mehr Mut und Entschlossenheit als die Regierungen Englands und Frankreichs und eine erstaunliche Unabhängigkeit von den Direktiven Moskaus. Als sich die Sowjetunion 1938 auf eine Verständigung mit Nazi-Deutschland einzustellen begann und die Spanier zu einer Verständigung mit Franco nötigte, beschlossen die republikanischen Politiker unter Einschluß der Kommunisten, trotz der kritischen militärischen Situation nicht aufzugeben.

„Der Zweite Weltkrieg begann am 19.Juli 1936 mit dem offenen Überfall von Hitler und Mussolini auf die Spanische Demokratische Republik“, heißt es in der Einleitung zu Kantorowics Spanisches Tagebuch von 1948. Nur wenige glaubten noch an das Märchen von der Nicht-Intervention, als die Elite der Nazi-Armee in Zusammenarbeit mit italienischen Bombenflugzeugen am 26.April 1937 das baskische Städtchen Guernika dem Erdboden gleichmachte. Das erste Flächenbombardement der Geschichte sollte die Moral der verzweifelt kämpfenden Verteidiger der vom übrigen republikanischen Territorium getrennten Nordprovinzen untergraben. Nach weiteren Repressalien erwog die republikanische Regierung allen Ernstes, Deutschland den Krieg zu erklären. Doch das unterblieb auf Drängen der Regierungen in London und Paris, die nicht bereit waren, die Konfrontation mit Italien und Deutschland vom Zaun zu brechen. So blieb die spanische Republik, abgesehen von einigen russischen Beratern und den Interbrigaden, auf sich alleine gestellt - abhängig von sowjetischen Waffenlieferungen und den Wechselbädern der französischen Innenpolitik unterworfen. Mal wurde die Pyrenäengrenze für Nachschublieferungen geöffnet, mal blieb sie monatelang geschlossen.

Demgegenüber lief die Versorgung Nationalspaniens über Portugal und die nordspanischen Atlantikhäfen vergleichsweise problemlos; im Kräftemessen gewannen die Putschisten zunehmend die Oberhand. Als Franco während der Sudetenkrise im September 1938 Engländer und Franzosen seiner Neutralität im Falle eines Krieges gegen Deutschland versicherte, verlor die Republik zunehmend die diplomatische Unterstützung beider Länder.

Vorspiel für den

Zweiten Weltkrieg

Zum letzten mal richtete der Außenminister der Republik Spanien vor dem Völkerbund in Genf am 16.Januar 1939 beschwörende Worte an seine englischen und französischen Kollegen: „Schwer angeschlagen, verlassen und verraten wird das spanische Volk an seinem Widerstand festhalten. Ein gerechter Friedensschluß war nicht zu erreichen, und so bleibt keine andere Möglichkeit, als bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Aber der Tag wird kommen, an welchem Sie sich an unsere Warnungen erinnern und verstehen werden, daß Spanien das erste Schlachtfeld des Zweiten Weltkrieges war, der von Tag zu Tag unvermeidbarer wird.“ Als Antwort auf die spanische Offerte verließ der britische Botschafter demonstrativ den Saal.

Die Anfang Februar über die Grenze nach Frankreich flüchtenden republikanischen Verbände wurden entwaffnet, interniert und alles Kriegsmaterial vor der Verschiffung ins republikanische Restgebiet beschlagnahmt. Am 18.Februar wurde die Regierung Francos als rechtmäßig anerkannt. Am 27.Februar schließlich wurde das Spanien der Putschgeneräle von London und Paris voll diplomatisch anerkannt, die Sowjetunion hatte sich seit Mitte 1938 allmählich vom spanischen Kriegsschauplatz zurückgezogen.

Somit war die nun folgende Liquidierung der Zweiten Republik eine Angelegenheit unter Spaniern geworden. Der Krieg endete durch Auszehrung - während man noch die Evakuierung Tausender von Francos Repression bedrohter Republikaner vorbereitete, löste sich die Republik entlang ihrer ideologischen Bruchstellen auf. Die letzten Tage bestimmten erbitterte Machtkämpfe und Putschversuche das Geschehen auf dem untergehenden republikanischen Staatsschiff; die Regierung hatte sich am 6.März ins Exil begeben, um einer Verständigung zwischen den Militärs beider Seiten nicht im Wege zu stehen. Nur wenigen gelang es schließlich noch zu entkommen. Am 1.April wurde die Kapitulation der republikanischen Verbände offiziell unterzeichnet.

Viele exilierte Spanier gaben auch nach der offiziellen Kapitulation nicht auf. Um der Auslieferung an Franco zu entgehen und gegen die Nazi-Truppen zu kämpfen, traten sie in die französische Kolonialarmee ein; viele gingen in den Untergrund und schlossen sich wie Semprun der Resistance an. Aus dem Machtvakuum heraus, das der Rückzug der deutschen Armeen an Frankreichs Südgrenze hinterlassen hatte, versuchten rund 5.000 republikanische Veteranen und Resistance-Kämpfer im Herbst 1944 das Val d'Aran, ein von Spanien aus schwer zugängliches, mit Frankreich verbundenes katalanisches Pyrenäental, zu besetzen, um dort eine Gegenregierung zu etablieren. Die Kämpfe dauerten vier Wochen, bevor sich das dezimierte Expeditionskorps nach Frankreich zurückzog - der Versuch, den noch nicht beendeten Zweiten Weltkrieg nach Spanien zu tragen, war wieder mißlungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen