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Rom war schon immer die unregierbare Stadt

Wieder muß ein Bürgermeister wegen Bestechungsverdacht zurücktreten / Diesmal die Kirche dicke mit drin / Neuwahlen, aber keine Lösung in Sicht / „Rom unverwaltbar wie eine Slumstadt in der Dritten Welt“ / Probleme gab's schon in der Antike  ■  Aus Rom Werner Raith

Rom, Piazza Venezia, zu Füßen des altehrwürdigen Kapitolhügels mit dem Bürgermeister-, dem Senatoren- und dem Konservatorenpalast. Rechts auf dem spärlichen Rasen mehrere hundert Menschen beim Hungerstreik: Obdachlose oder von Kündigung Bedrohte, Sprecher von mehr als 200.000 Menschen in ähnlicher Situation. Links, neben den Trajansmärkten, Abschleppwagen mit der Aufschrift „im Dienste der Kommune Rom“: Sie halten seit Wochen den einzigen innerstädtischen Parkplatz besetzt, weil ihnen die Stadt seit Monaten das Geld für ihre Arbeit schuldet.

Ein paar Schritte weiter an der Via Tulliana schauen gut zwei Dutzend Stadtpolizisten ungerührt der Einfahrt Hunderter von Autos ins gesperrte Altstadtgebiet zu: auch sie streiken, für Verstärkung, für neue Autos (die alten sind zu 70 Prozent in Reparatur), für Wechselsprechgeräte, die nicht nur Krächzlaute von sich geben.

Rom, „unregierbar und unverwaltbar wie eine Slumstadt der Dritten Welt“, sagt der Historiker Giulio Carlo Argan, 90. Er weiß, wovon er spricht: Von 1976 bis 1979 war er selbst Stadtoberhaupt als Leiter der ersten kommunistisch -sozialistischen Koalition in Rom. Die Allianz hielt fast ein Jahrzehnt und brachte der Stadt zweifellos allerlei Ruhm ein, etwa durch den vom quirligen Kulturdezernenten Renato Nicolini ersonnenen „römischen Sommer“, der die alljährliche Leerung der Stadt in den heißen Monaten durch Film- und Kleinkunstvorführungen, Stadtteilfeste und Tanzfeten auf dem Tiber stoppte.

Doch auch die Linken fanden keinerlei Abhilfe gegen den notorischen Wohnungsmangel bei gleichzeitig überbordender Bauspekulation, den Tag für Tag zusammenbrechenden Verkehr, Lärm, Smog, mangelhafte Abfallbeseitigung. So jagten die Römer die Linken bei den letzten Wahlen 1985 wieder aus dem Kapitol, in dem seither Christdemokraten an der Spitze einer der nationalen Regierung nachgebildeten Fünfparteienkoalition (mit Sozialisten, Sozialdemokraten, Republikanern und Liberalen) walten. Doch auch sie haben keinerlei Problemlösungen anzubieten, statt dessen eine dichtgestaffelte Folge von Skandalen.

Mal erweist sich der Dezernent für die Müllabfuhr als so gut geschmiert, daß für die Müllkutscher kein Lohngeld mehr übrig bleibt und diese den Abfall einfach neben die Straßen kippen, dann erwischen Staatsanwälte reihenweise Klinik -Chefärzte, die für die Bettenzuweisung „Beschleunigungs„ -Gelder von bis zu 10.000 Mark verlangen.

Der aktuelle Bürgermeister Pietro Giubilo mußte soeben zurücktreten, weil er seiner als Hausmacht und Pressure Group dienenden papstnahen katholischen Laienvereinigung „Comunione e liberazione“ in frommem Zusammenwirken mit dem Kardinal Ugo Poletti die gesamte Versorgung der städtischen Schulmensen zugeschanzt und dafür kräftig kassiert hatte.

Rein rechnerisch ließe sich nun zwar anstatt der bürgerlichen eine Linkskoalition nach früherem Muster bilden, doch derzeit streiten die Sozialisten mit den Kommunisten so laut um die Führung der linken Lager, daß diese Lösung eher unwahrscheinlich ist. Womit sich zwei Alternativen ergeben: Neuwahlen oder die Stadt, wie in der Verfassung vorgesehen, nach Ablauf von 60 Tagen unter Regierungskommissariat zu stellen.

Daß weder das eine noch das andere eine Lösung für Roms Probleme bietet, wissen alle. Zu lange haben die Verantwortlichen alles vor sich hergeschoben, die Finanzmittel und Posten der „Ewigen Stadt“ nur als Pfründe für sich und ihre Klientel betrachtet. Von knapp 1,4 Millionen Einwohnern nach dem Zweiten Weltkrieg ist Rom auf gut drei Millionen angewachsen, nahezu der gesamte Grüngürtel ist verschwunden. 1950 noch gab es nicht einmal 150.000 Autos in der Stadt, heute sind es zwei Millionen Abstellplätze dafür aber sind von etwa 80.000 auf 60.000 zurückgegangen, unterirdische Garagen gibt es kaum. Die U -Bahn stammt aus den 40er Jahren und ist keine 30 Kilometer lang, das Busnetz völlig undurchschaubar. Die Altstadt, knapp zwei Quadratkilometer groß, ist offiziell gesperrt, darf aber dennoch von 45.000 Autos mit Sondergenehmigung befahren werden - denn dort befindet sich das Parlament, das Amt des Ministerpräsidenten sowie die Zentralen aller wichtigen nationalen Banken.

Pläne für eine Auslagerung des Regierungsviertels scheitern mit schöner Regelmäßigkeit daran, daß die Herrscher auf keinen Fall weit hinaus wollen. So gingen bis jetzt sämtliche Projekte von einem Kahlschlag historisch gewachsener Viertel aus - was dann ebenso regelmäßig einen derartigen Protest ausgelöst hat, daß die Pläne wieder verschwanden. Altbürgermeister Argan sieht das alles unter historischem Blickwinkel: „Das war in Rom schon immer so“, sagt er, „bereits in der Antike kam keiner mit dieser Stadt zurecht.“

Mitunter sieht er darin aber auch etwas Positives: „Vielleicht hat sie gerade deshalb am Ende auch überlebt.“

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