: Wohin mit den vielen Mädchen...
■ ...die sexuell mißbraucht worden sind / In Pflegefamilien kommt die Angst vorm Vater wieder / Mädchenhaus nötig / Gesamte Arbeit für 52.000 Mädchen ruhte bisher auf zwei ABMs
Es ist nicht so, als würden unsere Ämter gar nichts tun: Das statistische Landesamt addiert die angezeigten sexuellen Mißbräuche jedes Jahr aufs neue, der Senat rechnete sie sogar einmal hoch und stellte fest: Innerhalb eines Jahres werde in der Freien Hansestadt Bremen jedes 10. Mädchen unter 14 Jahren sexuell mißbraucht. Auch an der Basis der sozialen Dienste geschieht etwas und sogar etwas mehr: Da lassen sich Mitarbeiterinnen aus Kindertagesheimen und Jugendfreizeitheimen, denen die Brisanz des Themas bewußt geworden ist, zunehmend fortbilden von Frauen aus der Beratungsstelle „Schattenriss“. Wenn sie dann auf betroffene Mädchen aufmerksam
werden, verweisen sie das Kind, die Jugendliche oder die betreffende Mutter oft wieder an den Verein „Schattenriss“. Mindestens bis zur Frauenrenferentin des Sozialsenators, Stoevesandt, hat sich deshalb herumgesprochen, daß die sieben „Schattenriss„-Frauen bisher noch „weitgehend allein“ mit ihrer Kompetenz und ihrem Angebot stehen. Und daß „wir zukünftig ein Netz an Prävention und Hilfsangeboten flächendeckend bereitstellen müssen.“ Mindestens bis zur Frauenreferentin hat sich auch herumgesprochen, daß auch die fortgebildeten, „sensibilisierten“ Mitarbeiterinnen der sozialen Dienste noch in einem anderen Punkt an Grenzen stoßen: Denn
selbst die Frauen von „Schattenriss“ wissen nicht, wohin derzeit eigentlich mit denjenigen Mädchen, die sie zunehmend ermuntern, die für sie beschämenden Erlebnisse mit ihren Vätern/Onkels/Nachbarn einer hilfreichen Außenstehenden anzuvertrauen und die dann zum Teil ihre Familien verlassen wollen: Diese Mädchen kommen entweder ins Frauenhaus, wo sie sich meist völlig fehl am Platz fühlen. Oder sie kommen in Pflegefamilien und in gemischte Wohngruppen, in denen sie wieder übergroße Ängste ausstehen müssen und aus denen sie wieder flüchten, weil jeder Mann im Nahbereich für sie eine immense Bedrohung darstellt.
Schließlich ist auch der Pflegevater oder der Sozialpädagoge zumindest ein potentieller Mißbraucher. In einer Projektgruppe „Mädchenhaus“ wird, unterstützt durch die Gleichstellungsstelle, derzeit die Konzeption eines unabhängigen Mädchenhauses erarbeitet. Die Frauen fürchten jedoch, daß - falls jemals auch der Finanzsenator die Notwendigkeit eines Mädchenhauses eingesehen hat - andere Träger den Zuschlag bekommen. Bis zur Frauenreferentin immerhin hat sich schon herumgesprochen, daß die sozialdemokratische „Arbeiterwohlfahrt“ als Träger da doch vielleicht bestens geeignet sein könnte.
Auf einer Pressekonferenz, zu der gestern über dreißig Mädchen und Frauen erschienen waren, machte die Vorsitzende des Vereins „Schattenriss“, Ulla Müller, klar, daß ihre Arbeit an einem Wendepunkt angelangt ist: „Wir können nicht mehr länger.“ Der Verein hatte 1987 ganz beschei
den nur eine ABM-Stelle beantragt und war dann von der Resonanz auf das Beratungs-Angebot „überrollt“ worden. Inzwischen wurde selbst die eine bescheidene ABM-Stelle nicht neu genehmigt, dafür hatte sich die ehrenamtliche Arbeit kontinuierlich ausgeweitet. Die Frauen fordern jetzt einen Haushaltstitel für ihre doch so vielgelobte Arbeit und mit Nachdruck: Die Verlängerung wenigstens dieser einen AB-Maßnahme. In einer ähnlichen Bredouillie steckt der „Mädchennotruf“ im Jugendfreizeitheim Burglesum. Auch hier ist das in „Freizis“ bisher einzigartige Angebot für sexuell mißbrauchte Mädchen abhängig von einer auslaufenden ABM -Stelle, auch hier beklagen die Mitarbeiterinnen zudem: „Es ist für uns kaum auszuhalten, daß es kein Mädchenhaus gibt. Daß wir mit unserer Arbeit stoppen müssen, wenn die Mädchen ihr Leben unabhängig von ihrer Familie organisieren wollen.“
Barbara Debus
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