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Hannover-Messe-Industrie ohne Erinnerung

Ausstellung „Industrie, Behörden und Konzentrationslager 1938-45“ eröffnet / Plakate laden Messebesucher ein: „Häftlinge des KZs Neuengamme sind für ihren Betrieb tätig gewesen“ / Die für das Messegelände geplante Ausstellung bekam zuwenig Platz eingeräumt  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

„Es ist wohl keine Unterstellung, daß der Einsatz von KZ -Häftlingen in den Industrieunternehmen damals auch im privatwirtschaftlichen Interesse lag“, so sagte es der Schirmherr der Ausstellung Industrie, Behörden und Konzentrationslager 1938-45, Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, bei der Eröffnungsveranstaltung im DGB -Haus der niedersächsischen Landeshauptstadt. „Bestürzend“ nannte es der Oberbürgermeister, „wenn immer noch das, was damals geschah, geleugnet wird, wenn Verantwortung verneint oder abgeschoben und eine Verplichtung zu, wenn auch nur symbolischer, Wiedergutmachung nicht akzeptiert wird.“

Ursprünglich sollte die kleine Austellung der Hamburger Initiative „Über die Zukunft der Gedenkstätte Neuengamme“ auf dem hannoverschen Messegelände zu sehen sein. Nun ist sie nur noch kurz vor Beginn der Hannover-Messe-Industrie im DGB-Haus eröffnet worden und macht mit Plakaten die Messebesucher auf sich aufmerksam: „Häftlinge des KZ Neuengamme sind für ihren Betrieb tätig gewesen. Wir bitten Sie, sich am Ausbau der Gedenkstätte zu beteiligen“, fordern die großen Ausstellungsplakate mit weißer Schrift auf schwarzem Grund.

Mit eben jener Bitte hatte sich der Hamburger Millionenerbe und Mäzen Jan Phillip Reemtsma im vergangenen Jahr persönlich an 43 Industriebetriebe und Behörden gewandt und hatte um Unterstützung für sein Konzept einer Gedenkstätte gebeten, das Neuengamme „zu einem Ort der Dokumentation von Verantwortung“ machen soll und das Reemtsma zuvor schon dem Hamburger Kultursenator Ingo von Münch persönlich erläutert hatte.

Weiße Briefbogen auf schwarzen Stelltafeln, auf denen in grauer Schrift aus Dokumenten und Berichten von KZ -Häftlingen und Zwangsarbeiter der jeweiligen Firmen zitiert wird, so präsentierte die Austellung jetzt erstmals die Antwortschreiben, die Reemtsma auf seine Initiative erhalten haben.

Allein drei Außenlager des KZs Neuengamme, so kann man dort lesen, hatte der hannoversche Reifenhersteller Conti, jeweils rund 1.000 ZwangsarbeiterInnen wurden in den Lagern in den hannoverschen Stadtteilen Limmer, Stöcken und Ahlem gefangengehalten. Um Verständnis für seine Absage an Reemtsma bittet der „Leiter Öffentlichkeitsarbeit Continental Aktiengesellschaft“, Dieter von Herz, in dem darüber dokumentierten Schreiben: „Die von Ihnen angesprochenen Häftlinge sollen im Jahre 1944 direkt aus den Lagern Auschwitz bzw. Ravensbrück gekommen sein. Der Bezug zum Lager Neuengamme kann also allenfalls verwaltungstechnischer Natur gewesen sein“, schreibt der Reifenhersteller zynisch.

Jan Phillip Reemtsma hat nur auf 23 seiner 43 Schreiben überhaupt eine Antwort - fast alle abschlä gig - erhalten, obwohl alle Behörden und Betriebe mehrmals angeschrieben wurden. Keine Antwort kam etwa von der Philipp Holzmann AG, von der Firma Junghans, von der Hamburger Bau-, Finanz- und Justizbehörde. Ebensowenig reagierten die Fraktionen der FDP und der GAL in der Hamburger Bürgerschaft, wie auch alle Fraktionen - die Grünen eingeschlossen - der Ratsversammlung in Kiel, wo die Häftlinge des dortigen Außenlagers von Neuengamme in der Stadt Bomben suchen und entschärfen mußten. Für den Kruppkonzern mußten Häftlinge aus drei Bremer KZ-Außenlagern Zwangsarbeit leisten. Mit dem Hinweis „auf die heutige Situation der Stahlindustrie“ weigerte sich die Krupp Stahl AG, „dem Spendenantrag zu entsprechen“.

Als „geradezu infam“ hat Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg bei der Ausstellungseröffnung die Antwortschreiben bezeichnet, die mit dem „Hinweis, daß ja auch die Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie im öffentlichen Interesse gelegen habe, versuchen, sich von der eigenen Verantwortung freizusprechen“. Die Werte, die die Häftlinge schufen, hätten nicht selten die Grundlage für die wirtschaftliche Tätigkeit zahlreicher Betriebe nach dem Kriege gebildet. Zumindest die betroffenen hannoverschen Firmen Conti und der Batteriehersteller Varta sollen nach dem Willen des Oberbürgermeister ihre ablehnende Haltung „noch einmal überdenken.

Der Initiative Neuengamme wurden allerdings auch von solchen Betrieben Steine in den Weg gelegt, auf die der Oberbürgermeister direkt Einfluß hat. So weigerten sich die hannoverschen Verkehrsbetriebe, an Straßenbahnen für die Ausstellung zu werben, weil auf dieser Werbung die hannoverschen Firmen Varta und Conti kurz erwähnt wurden. Auch die Messe-AG, deren Aufsichtsratsvorsitzender zur Zeit Herbert Schmalstieg ist, hatte der Initiative auf der Hannover-Messe-Industrie für die dort geplante Austellung nur zwei winzig kleine Kojen angeboten, obwohl die Fläche für die Ausstellung ganz normal gemietet werden sollte. Die Vorgeschichte des deutschen Wirtschaftswunders hatte keinen Platz mehr auf der ausgebuchten diesjährigen Rekordmesse.

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