„Die Besetzer sind nicht mehr das, was sie mal waren“

■ Der Initiativen-Beauftragte des Bausenats, Erich Jesse, kann nichts entscheiden, soll aber Vorschläge machen

taz: Beauftragter für Initiativen aus der Bevölkerung, heißt das, Sie sitzen am Schreibtisch und warten, bis das Telefon klingelt?

Erich Jesse: Also, im Prinzip ist es ja so, daß bekannt ist, wo es brennt, es gibt Grundstücke, wo man weiß, da fehlt den Selbsthilfegruppen immer noch der Erbbaurechtsvertrag. Wir wissen, daß es Grundstücke gibt, zum Beispiel Prinzenallee, wo es Rechtsstreite gibt, bei denen das Land Berlin ein Interesse daran hat, daß die Dinger friedlich gelöst werden, ohne daß die Leute dann auf der Straße stehen. Das sind Hausaufgaben der CDU; das, was die uns übrig gelassen haben. Das müssen wir jetzt aufarbeiten. Ein bißchen sind wir ja schon dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kinde.

Was zeichnet Sie denn für den Posten aus? Oder anders gefragt: Was haben Sie vorher gemacht?

Ich habe vorher Mieterberatung in Kreuzberg gemacht und habe dort auch über meine Tätigkeit in der BVV eine Menge mit Initiativen zu tun gehabt.

Wie weit gehen denn Ihre Befugnisse? Können Sie in bestehende Planungen eingreifen oder haben Sie lediglich ein Vorschlagsrecht?

Also es ist in jedem Fall so, daß ich nichts entscheiden kann. Ich kann Dinge vorschlagen, ich kann versuchen, Sachen, die irgendwo verschütt gegangen sind, wieder auszugraben und zu beschleunigen. Entscheiden kann natürlich nur der Senator selber.

Zur Zeit sind Sie mit der besetzten Nostizstraße beschäftigt. Welche Möglichkeiten gibt es denn, die Leute erst einmal woanders unterzubringen, wenn das Ersatzgebäude nicht rechtzeitig bezugsfertig ist?

Eigentlich ist es ja so, daß bei dem Projekt, das wir im Auge haben, die Besetzer vor acht Jahren einfach eingezogen wären. Das ist damals so passiert, z.B. in der Kohlfurtherstraße 40. Aber die Ansprüche sind mittlerweile ein bißchen gestiegen. So ein Hausbesetzer, der zieht auch nicht mehr ohne weiteres in ein Objekt ein wie die Leute damals. Für einen Übergangszeitraum, der nicht länger als ein, zwei Wochen sein darf, muß die Möglichkeit gegeben sein, daß der Eigentümer mit den Bauarbeiten beginnen kann, wenn er das will, und daß wir das andere Objekt soweit herrichten, daß man da reingeht. Vor '81 hätte da eigentlich keiner drüber nachgedacht, aber die Besetzung ist heute nicht mehr das, was sie früher einmal war, man will schon einen gewissen Standard.

Gerade die Selbsthilfeprojekte sind in der Vergangenheit oft daran gescheitert, daß die Arbeitsbelastung der einzelnen zu hoch war.

Eines ist klar: Die Förderung der Selbsthilfeprojekte soll verbessert werden. Ökologie in der Stadterneuerung soll auch für Selbsthilfeprojekte förderbar werden, das soll nicht weiter das Privatvergnügen der Leute bleiben, was sie mit Manpower und mit eigenem Geld abarbeiten. Man muß sich nur überlegen, was ganz konkret, vielleicht beim Erbbauzins, bei der Eigenleistung verbessert werden kann, damit die Selbsthilfe nicht diesen reinen mittelstandsorientierten Charakter behält, den sie jetzt hat. Für eine alleinerziehende Frau mit Kind, die arbeiten geht, für die ist Selbsthilfe so gut wie unmöglich. Solche Leute haben keine Chance, reinzugehen in solche Projekte. Aber alles in allem, jeder kommt und sagt, jetzt aber sofort; unser Projekt ist schon seit sieben Jahren unheimlich gut, keiner hat uns angehört, warum wird das jetzt nicht sofort realisiert, es gibt doch 'ne Regierung.

Interview: Dirk Ludigs