piwik no script img

Kanada-Strom nach Bremen

■ Bremer Professor legte Studie vor: statt Öl und Gas Waserstoff zu Wasser verbrennen / Bremen als Trittbrett-Fahrer beim Hamburger „Hydrocan„-Projekt

XCree-Indianer und Eskimos siedeln in den weiten subarktischen Gebieten des kanadischen Bundesstaates Quebec, fast unberührt vom Wahnsinn des weißen Man

nes. Bis internationale Konzerne vor zehn Jahren die Flüsse des Landes strangulierten, ihnen mit Dämmen neue Richtungen wiesen und sie zu riesigen Stauseen auflaufen ließen. Seitdem ist das subarktische Ökosystem gestört. Zentausende von Rentieren sind auf ihren alljährlichen Wanderungen in den Fluten ertrunken. Der wirtschaftliche Nutzen: Strom aus Wasserkraft für den Export in die USA. Doch die Turbinen in den Staudämmen produzieren riesige Überschüsse. Jetzt soll der kanadische Billigstrom in Form von Wasserstoff an die norddeutsche Küste geschickt werden. Hamburg will mit diesem Energieträger in eine neue, umweltverträgliche Energiepolitik aufbrechen. Und Bremen soll zusteigen, quasi als Trittbrettfahrer. Das jedenfalls schlägt der Bremer Chemieprofessor Dieter Wöhrle vor. Im Auftrag des Senats haben er und seine Mitarbeiter eine 200seitige Studie erstellt, über die es gestern erste Gespräche in den senatorischen Behörden gab.

Eigentlich ist Wasserstoff noch zu teuer als Brennstoff für Heizung oder Automotoren. Außer eben in Kanada. Weniger als einen halben Pfennig kostet dort die Kilowattstunde Strom, also ist es auch billig, damit auf dem Wege der elektrolytischen Aufspaltung Wasserstoff aus Wasser zu gewinnen. Per Tankschiff soll

er dann an die bundesdeutsche Küste gebracht und hier verheizt werden, als Ersatzstoff für Öl, Kohle und Erdgas, deren Verbrennungsprodukte die Atmosphäre aufheizen und die Ozonschicht bedrohen. Wasserstoff dagegen verbrennt zu dem Produkt, aus dem er gewonnen worden ist: zu Wasser.

Soweit die Grundidee des „Hydrocan„- Projekts. Gesamtkosten für Hamburg: eine Milliarde Mark. Die Europäische Gemeinschaft, der kanadische Bundesstaat Quebec und eine Reihe von Firmen beteiligen sich. 1995 soll der erste Tanker seine Fracht in Hamburg löschen.

Nach den Vorstellungen des Professors Wöhrle soll der Tanker auch Bremerhaven anlaufen, oder Bremen soll sogar ein eigenes Schiff in Dienst stellen. Die Bremerhavener Stadtwerke, bisher auf Atomstromlieferungen der Peußen -Elektra angewiesen, könnten sich dann unabhängig machen: Mit neuen Blockheizkraftwerken, die Strom und Fernwärme gleichzeitig erzeugen. Oder mit Gasturbinen, die speziell für den Einsatz von Wasserstoff ausgelegt sind. Und: Die Stadbusse brauchen künftig nicht mehr mit stinkendem Diesel zu fahren, sondern mit Wasserstoff, der in einem großen Tank auf dem Dach gespeichert wird. Die Technik für die Anwendung des sauberen Energieträgers sei weitge

hend erprobt, so Dieter Wöhrle. Ihm geht es nicht nur darum, wissenschaftliche Erfahrungen mit der Anwendung von Wasserstoff zu machen. Zugleich soll auch ein Teil der fossilen und atomaren Energie ersetzt werden.

Insgesamt zehn Prozent des jetzigen Bremer Stromverbrauchs seien in den nächsten Jahren gegen „regenerative Energien“ auszutauschen, heißt es in Wöhrles Studie, also durch Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie. Rund ein Drittel davon könne mit kanadischem Wasserstoff bestritten werden. Für den Rest sollen ein neues Kraftwerk an der Weser - das alte wurde 1987 abgerissen - gebaut werden und Windgeneratoren.

Was nun aus all diesen Ideen wird, ist noch völlig offen. Im September des vergangenen Jahres hat die Bürgerschaft den Senat aufgefordert, sich über Wasserstofftechnologie Gedanken zu machen. Die Senatoren haben den Auftrag an Dieter Wöhrle weitergereicht, auf der Grundlage seiner Studie wird der Senat im Mai einen Bericht vorlegen.

Die Wasserstoff-Diskussion immer wieder angeschoben haben die Bremer Grünen. Im Sommer 1988 haben sie ein Hearing in der Bürgerschaft organisiert. Ihr Wasserstoff-Promoter Walter Ruffler ist jetzt zuversichtlich, daß endlich etwas Praktisches geschieht. m

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen