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Der Machtpolitiker in den Kulissen

Klaus Kinkel, Staatssekretär im Justizministerium und Verhandlungsführer der Bundesregierung im Hungerstreik  ■ P O R T R A I T

Von Gerd Nowakowski

Im Hintergrund die Fäden zu ziehen, hat Klaus Kinkel nie gestört. Im Gegenteil, der Staatssekretär im Justizministerium hat diese Rolle geradezu zu seiner Philosophie gemacht. Offiziell nur der zweite Mann unter Minister Engelhard (FDP), genügt dem selbstbewußten Kinkel der unbestrittene Ruf, der starke Mann des Hauses zu sein. Der Verhandlungsführer der Bundesregierung in Sachen Hungerstreik hat das stille Wirken unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung in seiner zwanzigjährigen Karriere in Bonn zur Perfektion gebracht - mit allen Nachteilen eines pragmatischen Handelns, das vor allem der Aktenlage vertraut.

Als „einzig positive Erscheinung unter lauter Mördern“ ist Kinkel dem Berliner Anwalt Wolfgang Wieland in Erinnerung. Wieland vertrat 1984 den Asylbewerber Cemal Altun, der aus Verzweiflung über eine drohende Abschiebung aus dem Berliner Kammergericht in den Tod sprang. In der Affäre, die die Bundesrepublik in der Weltöffentlichkeit in den Geruch des Handlangers der türkischen Diktatur zu bringen drohte, habe Kinkel „die Brisanz des Falles als erster gerochen“. „Er war der erste, der überhaupt die Akten kannte“, erinnert sich Wieland. Kinkel habe sich trotz Drucks aus der Bundesregierung an einen mündlichen „deal“ gehalten, der Altuns Abschiebung verhindern sollte. Die Verzweiflung Altuns machte ihn obsolet.

Politische Motive aber leiten den parteilosen, doch der FDP nahestenden Kinkel dabei nicht, sagen alle Gesprächspartner übereinstimmend. Der Staatssekretär, der auf seine immense Arbeitswut stolz ist, will lediglich Konflikte beseitigen; „die Kuh vom Eis holen“, wie er es ausdrückt. Manche sagen deshalb, er betreibe eine „zynische Variante der Realpolitik“.

Der Ruf, sensibel auf Entwicklungen zu reagieren und ein „Mann für brenzlige Situationen“ zu sein, begleitete Kinkel durch alle Wirkungsfelder. Der schwäbische Jurist, inzwischen 53 Jahre alt, wurde 1970 persönlicher Referent des damaligen Innenministers Genscher. Einen „untrüglichen Sinn für das politisch machbare“ gestehen ihm Beobachter zu. Mit Genscher wechselte er ins Außenministerium und war über acht Jahre zweites Ich des Ministers; zugleich bestimmte Kinkel als Leiter des Planungsstabes wesentliche Teile der Außenpolitik. „Genschers Aufpasser“, titulierte ihn Kanzler Schmidt einmal doppeldeutig.

Dann wurde der joviale, aber in der Sache immer harte Kinkel als erster Zivilist Chef des Bundesnachrichtendienstes, was seine Neigung zum verschwiegenen Managemaent noch unterstützte. Bereits vorher sorgte er dafür, daß Genscher nicht in die Spionageaffäre Guillaume hineingezogen wurde, über die Kanzler Brandt stürzte. Kinkel war als BND-Chef daran beteiligt, bei der Terroristenfahndung mit Hilfe von Geldern der Industrie den Superagenten Mauss anzuheuern. Der 1981 im Streit der SPD -FDP-Interessen gescheiterte Wechsel ins Bundeskanzleramt als Koordinator aller Geheimdienste läutete schon die Agonie der sozialliberalen Koalition ein. Statt dessen wechselte er 1982 nach der Wende ins Justizministerium als Aufpasser für FDP-Minister Engelhard. Dort hat er sich besonders mit den liberalen Rechtspolitikern der FDP, Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, angelegt.

Befragt nach Kinkels Befähigung und Chancen für seine derzeitige Mission, wird die positive Bewertung Wielands von anderen Gesprächspartnern nicht geteilt. „Der kniet sich in die Materie rein und hält das dann für die Welt“, wird von Menschen gesagt, die mit ihm zu tun haben. Bei seinen Bemühungen, Lösungen im Hungerstreik zu finden, wird seine bevorzugte Ausgrenzung von Öffentlichkeit, die Ablehnung von Vorschlägen als Störung und das fehlende Vertrauen in demokratische Verkehrsformen mit Sorge gesehen. Eine solche Verhandlungstrategie kalkuliere auch die Eskalation mit ein, berücksichtige aber nicht die Menschen: nur die Hardliner auf beiden Seiten gewännen dabei. Zu solcher ausschließlich machtpolitischer Lösungssuche am totalen Risiko passe, so sagt ein sorgfältiger Beobachter, daß die RAF gerade mit Kinkel zu sprechen bereit ist.

Der Tod Altuns habe Kinkel sehr betroffen gemacht, erinnern Mitarbeiter aus seinem Ministerium, möglicherweise nicht ohne Hintersinn. Im Falle Altun hatte Kinkel den Handel ohne den Betroffenen gemacht; der konnte nach der langen Tortur der Ungewißheit über eine Auslieferung die Chance der in einer rechtlichen Grauzone angesiedelten und auf Handschlag gegründeten Lösung nicht glauben.

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