: Lesben auf der Suche nach Sämännern
In den USA kommen immer mehr lesbische Paare per Samenspende zu einem Kind / Kürzlich wurden einer Lesbe „Vaterschaftsrechte“ zugestanden / Hierzulande sind schärfere Gesetze geplant: Nur bei Heterosexuellen soll künstliche Befruchtung erlaubt sein ■ Von Ursula Reinhart-Döring
Erstmals in den Vereinigten Staaten hat ein Gericht in Los Angeles einer lesbischen Frau „Vaterschaftsrechte“ zugestanden. Danach darf die 32jährige Terri Sabol die Tochter ihrer früheren Lbensgefährtin weiterhin besuchen. Das dreijährige Kind war nach künstlicher Befruchtung zur Welt gekommen. Die beiden Frauen hatten es gemeinsam betreut, sich dann aber zerstritten und schließlich getrennt.
Dieser Prozeß, der Ende Januar dieses Jahres entschieden wurde, wird zweifellos Weichen stellen für eine Reihe von Gerichtsverhandlungen, die in absehbarer Zeit in den USA geführt werden könnten. Denn allein an der amerikanischen Ostküste im Einzugsgebiet von Boston und Cambridge gibt es etwa 500 bis 600 lesbische Paare mit Kindern, die nach künstlicher Befruchtung zur Welt kamen.
Hatte man zu Anfang befreundete Männer aus der Schwulenszene um Samenspenden gebeten, so stellte sich diese Praxis allmählich als problematisch heraus: Manche der biologischen Väter übten nicht die verabredete Zurückhaltung. Die Männer wollten ihre Sprößlinge sehen und an der Erziehung mitbeteiligt sein, kurz, sie forderten Elternrechte. Ein weiterer Faktor für die Zurückhaltung der Amerikanerinnen wurde die Angst vor der Ansteckung mit der Immunschwäche Aids.
Die Universitäten haben inzwischen begonnen, ihre meist studentischen Spender auf Aids zu untersuchen. Besonders begehrt als Samenspender ist die Universität von Iowa, denn im US-amerikanischen Durchschnitt hat der Staat im mittleren Westen vergleichsweise wenig Aidsinfizierte zu beklagen. Die Universität fragte inzwischen bei der „Food und Drug Administration“ um Erlaubnis, auf nationaler Ebene Samen liefern zu dürfen. Das begehrte „Produkt“, an das die Frauen auf natürlichem Wege nicht herankommen (wollen), wird so mit viel Aufwand und Geld herangeschafft.
Zum Beispiel Shirley L. aus Boston: Zuerst hatte Shirley eine Ärztin finden müssen, die bereit war, ihren Wunsch nach Nachwuchs zu unterstützen. Über die Medizinerin bekam sie Einblick in eine Spenderliste mit Daten wie Rasse, Hautfarbe, Blutgruppe, Körpergröße und Alter. Shirley wählte einen mexikanischen Studenten der Universität von Nebraska als potentiellen Vater ihres Kindes. Eine spätere, zufällige Begegnung zwischen Vater und Sprößling sollte durch die räumliche Ferne zwischen Nebraska und Boston ausgeschlossen werden; die mexikanischen Gene versprachen ein dunkelhaariges, braunäugiges Kind. Es könnte so eine gewisse Ähnlichkeit mit Shirleys Lebensgefährtin bekommen.
Das Sperma wurde später tiefgefroren in einer Eisbox per Greyhound-Bus geliefert. Der Zeitpunkt war vorher sorgfältig arrangiert und berechnet worden: Über Monate hinweg waren mit Hilfe von elektronischen Temperaturmessungen, Hormonmessungen und Ultraschall Zyklusverlauf und Eisprung beobachtet worden, um das Ei im genau richtigen Moment abpassen zu können.
Preiswert ist diese Methode jedoch nicht. Die Universität von Nebraska schickte für jede monatliche Lieferung bis zur Befruchtung eine Rechnung über 150 Dollar. Die Kosten für Ärztin und spezielle Untersuchungen mußten zusätzlich aus eigener Tasche bezahlt werden. Risiken werden
in Kauf genommen
So sind der Geduld auch finanzielle Grenzen gesetzt. Verrinnt die Zeit im Vierwochenrhythmus, ohne daß sich der gewünschte Erfolg einstellt, so sind manche der Frauen bald zermürbt und zunehmend bereit, sich Hormone verabreichen zu lassen. Diese hemmen die Produktion von Östrogenen und sollen die Eireifung fördern. Dafür werden tapfer gesundheitliche Belastungen wie Übelkeit, Sehstörungen, Depressionen und das Risiko der erhöhten Krebsgefahr in Kauf genommen. Eines der Medikamente, das die Hyperstimulation der Eierstöcke bewirken soll, ist strukturell dem DES-Hormon ähnlich. Diesem wurde nachgewiesen, daß es bei den Töchtern der damit behandelten Frauen zu einem vermehrten Auftreten von Vaginalkrebs geführt hat. Ist die Entscheidung für Hormongaben einmal gefallen - im äußersten Fall werden diese bis zu zwei Mal täglich gespritzt -, so geht es nicht mehr nur um eine gewünschte Schwangerschaft. Denn nun kann es zu sogenannten „kumulativen Graviditäten“ kommen. Spektakuläre Fünf- und Sechslingsgeburten, über die die Medien häufiger berichten, sind nämlich keine Naturwunder, sondern meist auf die Hormonbehandlung von Patientinnen zurückzuführen. Als „Lösung“ wird von der Medizin hier die Praxis der „intrauterinen Reduzierung“ von Mehrlingsschwangerschaften zu Einlings- oder Zwilligsgeburten angeboten, das heißt die überzähligen befruchteten Eier werden abgetrieben. Ohne Zweifel ein Eingriff mit schwerwiegenden physischen und psychischen Folgen. Lesben und Kinderwunsch
Viele lesbische Frauen haben ihren Kinderwunsch lange zurückgestellt und sind gegen 40 - nicht mehr in einem Alter, um „wie die Jungfrau zum Kinde“ zu kommen. Denn über Jahre hinweg war Mutterschaft in der lesbischen Szene kaum ein Thema. Lesbisch sein wurde so auch eher als Befreiung von lästigen Mutterpflichten begriffen. Kinder aus gescheiterten heterosexuellen Verbindungen können relativ problemlos in neue Verhältnisse integriert werden. Ganz andere Aspekte eröffneten sich jedoch, als Lesben anfingen, sich über eine gemeinsame Mutterschaft Gedanken zu machen.
Diese neue Entwicklung führte dann auch zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Partnerinnen, die sich in puncto Kind nicht einigen konnten. So z.B. Sara und Julie. Sara hatte sich schon mit sehr jungen Jahren für ein Leben mit und für Frauen entschieden. Eine erfreuliche Konsequenz dieser Lebensführung war für sie auch die Kinderlosigkeit. Statt dessen konnte sie sich ganz ihrer Partnerin, ihrem Beruf und ihrer politischen Arbeit widmen, ohne zusätzlich Zeit am Bett des kranken Kindes zu opfern, Schularbeiten zu betreuen oder Windeln zu wechseln. Saras Freundin Julie indessen sieht das ganz anders: Männer sind in ihrem Leben ebenfalls nur eine Nebensache, auf Familienleben und Kinder will sie jedoch keinesfalls verzichten. Noch diskutieren die beiden Frauen. Julie droht Sara mit Trennung. Diskutierten sie zu lange, dann kann es für Julie zu spät sein.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die gesetzlichen und sozialen Bedingungen der Lesben in den Vereinigten Staaten entwickeln werden. Der Prozeßausgang in Los Angeles hat sicherlich schlafende Hunde geweckt, und eine Reaktion von konservativ-reaktionären Gruppen, die Sitte und Anstand in den USA wieder einmal in Gefahr sehen, wird nicht lange auf sich warten lassen. Situation in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik werden es Lesben schwerer haben, auf künstlichem Wege legal zu Nachwuchs zu kommen. Das jedenfalls sieht eine Initiative der Bundesregierung zur Gesetzgebung vor. Der Abschlußbericht der Bund-Länder -Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ empfiehlt ausdrücklich, die künstliche Befruchtung bei alleinstehenden Frauen zu verbieten. Eine weitere Regelung wird sich als zusätzliches Hindernis erweisen: Samenspender sollen keine finanzielle Entschädigung erhalten. Um jedoch eine einheitliche Regelung schaffen zu können, muß zuerst das Grundgesetz geändert werden. Denn Gesundheitspolitik ist bisher Ländersache. Ministerpräsident Albrecht hat deshalb vor einiger Zeit eine Bundesratsinitiative ins Leben gerufen mit dem Ziel, Einheit zu schaffen. Konkrete Gesetze werden so wohl noch etwas auf sich warten lassen. Das „Berliner Modell“ der Ärztekammer erlaubt zur Zeit noch die künstliche Befruchtung bei stabiler Partnerschaft. Zweifellos sind hier ausschließlich heterosexuelle Paare gemeint. Berliner Lesben sind so auch schon zur Eigeninitiative geschritten: Unter der Chiffre „Sämann“ suchten sie kürzlich im Anzeigenteil der taz nach „Samenspendern“.
Ein noch deutlicheres Signal hat das Bundesverfassungsgericht Anfang Februar gesetzt. Die Richter entschieden, daß das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehöre und damit ein Menschenrecht sei. Kindern müsse die rechtlich -verbindliche Klärung der eigenen Abstammung möglich sein. Folgen wird dieses Urteil aus Karlsruhe auch für Kinder haben, die durch künstliche Befruchtung das Licht der Welt erblicken: Die anonyme Samenspende und die künstliche Befruchtung einer Frau mit dem Sperma eines nicht mehr zu identifizierenden Mannes sind demnach verfassungswidrig. Als weitere Konsequenz läßt sich folgern, daß Kinder mit Hilfe des Gesetzes ihren genetischen Vater aufspüren dürfen. Nach dem heute geltenden Recht hätte die Klärung der Vaterschaft auch empfindliche finanzielle Konsequenzen, denn ein Kind kann Unterhaltsansprüche wie auch Erbrechte geltend machen. Und welch selbstloser Spender möchte sich wohl nach Jahren mit einem erbberechtigten Sproß auseinandersetzen, von dessen Existenz er bis dahin höchstens ahnen konnte?
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