: Hochhuth und das Präservativ
■ Rolf Hochhuths neues Stück „Unbefleckte Empfängnis“ im Berliner Schillertheater unter Regie von Heribert Sasse
Bevor es richtig losgeht, stottert Bernhard Minetti uns vor, was wir mit dem Text von Rolf Hochhuth alle tun sollten: ihn schleunigst vergessen. Minettis hilflose Versuche, wieder in den Text hineinzufinden, lösen bei den ZuschauerInnen das Gefühl aus, welches sie für den Rest des Abends nicht mehr verlassen wird: Es ist peinlich. So einfältig, wie der Stücke-Klempner darüber nachdenkt, ob Ärzten alles erlaubt ist, wenn sie ihren Patientinnen helfen wollen, kann kein Schauspieler empfinden.
ÄrztInnen leiden in dieser Republik offenbar unsagbare Qualen. Die Idee für den abschließenden Höhepunkt seiner Unbefleckten Empfängnis hatte Hochhuth, als er für die 'Welt am Sonntag‘ über ein standesrechtliches Verfahren gegen Doktor Hackethal schrieb; das verrät uns der Autor in seinem Buch. In dem ärzteständischen Verfahren gegen Dr.Günter Reinbek (Schreibweise Rowohlt-Verlag, schließlich sitzt er dort), dem Arzt, der den Frauen hilft, wird nichts entschieden. Wir lernen nur: Ärzte, die über Ärzte richten, sind bloß neidisch auf deren Erfolg; denn Ärzte, die vor Gericht kommen, sind Spitzenreiter ihrer Art. Wer also über Mengele zu Gericht sitzen will, ist neidisch auf dessen Experimente.
Doch der Gynäkologe Reinbeck (Schreibweise Schillertheater) ist kein Mengele. Thomas Schendel präsentiert ihn als ewig jungen, ewig aufstrebenden, aalglatten Erfolgsmenschen, der Handelsvertreter, Bankkaufmann oder eben auch Frauenarzt sein kann. Reinbeck, der seiner Patientin Leihmutter schon mal sachkundig über den Bauch streicht, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er seine unfruchtbaren Patientinnen nicht heilt, wenn er das künstlich befruchtete Ei in einer beliebigen Gebärmutter austragen läßt. Seine Antwort: „Leidet aber den Mangel nicht mehr, den sie als Krankheit empfunden hat: Kinderlosigkeit.“ Das Kind also als Prothese für den unerfüllten Wunsch.
Die Ursache für den Kinderwunsch ist das Erbe. Lehrerin Lisbeth Uhlig (Patricia Litten) leitet den Bauernhof ihres Mannes. Dr.Uhlig arbeitet für die Europa-Kommission und hat zwei Kinder aus erster Ehe. Die sollen nicht erben. Deshalb trägt die türkische Verwalterin ein Kind für Frau Uhlig aus, nicht wegen Geld, sondern aus Freundschaft. Dafür bekommt sie 20.000 Mark oder Dollar - Geld spielt keine Rolle und fließt über Brüssel auf ein Schweizer Nummernkonto. Warum die Uhligs nicht einfach ihrer türkischen Freundin den Betrieb schenken können, den sie ohnehin nicht brauchen, darüber denkt keiner nach.
Nun sollte man annehmen, daß sich die beiden Uhligs ein Kind wünschen, weil sie sich zum Beispiel lieben. Doch da läuft nichts. Nur einmal berührt Herr Uhlig seine Frau. Sanft klopft er ihr dreimal die krampfhaft geballte Faust auf die Schulter, will sagen: Die Geißel der Bürokratie bindet uns eng aneinander. Doch ansonsten ist dem Samenvater ein drittes Kind wurscht. Und als der Ei-gebenden Mutter deswegen die Tränen kommen, schimpft Vater Uhlig über die Regularien des demokratischen Staates.
Sema Engin erfüllt treu und ergeben die „Hauptrolle“, die ihr die beiden Männer Heribert Sasse und Rolf Hochhuth zumuten. Egal, ob Türkin Emine Demir (Sasse, Berlin) oder Jugoslawin Sonja Petrovic (Hochhuth, Basel), sie steht oben auf der Liste der Personen. Doch sie ist in jeder Hinsicht nur ein Werkzeug. Für den Frauenarzt ist sie ein Bauch, der Kinder tragen kann. Für den Autor ist sie eine Hauptfigur, in deren Bauch der Ruhm des Arztes ruht: das erste Baby in Europa, das genetisch vollständig den AuftraggeberInnen gehört.
Die Gunst des Publikums sahnt Heike Balzer als Studienrätin Esther Schneider ab. Sie trägt für ihre Tochter das eigene Enkel aus. In den Seminarrunden des Abends ist sie als Zeugin zuständig für die Pfaffen-Beschimpfungen. Mal als Ethik-Kommission, mal als ärztliches Standesgericht tagen einige Figuren, denen Sasse ein menschliches Antlitz zu geben versucht. Sie sollen lächerlich wirken und sie wirken lächerlich: Hochhuth hat sie genau so gezeichnet, wie Retorten-Befruchter sie gerne sehen möchten. Selbst juristische Texte haben mehr mit Leben zu tun als Hochhuths Sätze auf der Bühne - das belegen die Dokumente vom Juristentag im Programmheft.
Heribert Sasse erspart uns in seiner Inszenierung die schlimmsten Peinlichkeiten. So hat er den Aufritt zweier Mehl und Wasser verspritzenden Emanzen gestrichen. Gestrichen hat er aber auch die zumindest indirekt gestellte Frage: Was geschieht mit den Frauen, wenn Hormone gespritzt, Eier genommen, Embryonen gepflanzt werden? Das hatte FDP -Hochhuth in einer Prozentaussage einer Grünen-Soziologin versteckt. Auf der Bühne heißt es nur noch: „Welche armselige Rolle nötigte Lisbeth Uhlig bei der Zeugung ihres Sohnes ihrem Mann auf?“ Brav antwortet Lisbeth: „Er schlief mit mir wie immer - nur daß er nicht wie vor unserer Ehe in ein Präservativ, sondern jetzt in einen Samenbecher ejakuliert hat.“ Dabei skandiert sie das Wort Prä-ser-va -tiv, als sei dieser Viersilber die Ursache ihrer Unfruchtbarkeit.
Christian Sternberg
Christian Sternberg ist Mitarbeiter des Gen-Ethischen Informationsdienstes, Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen