: „Nur noch fünf Sekunden Arbeit?“
■ Gummi sträubt sich gegen Industrie-Roboter: Auf der Industrie-Messe in Hannover sind noch immer keine Verfahren zur Montage von biege-schlaffen Teilen in Sicht / Laser-Scanner sind noch zu teuer
Gar nicht recht war es dem Vertreter der Firma Leuze, auf den neuen Laser-Scanner angesprochen zu werden, an dem derzeit im schwäbischen Owen-Teck gearbeitet wird. Nein, Schwierigkeiten oder Hindernisse gebe es keine, lautet die dümmliche Antwort, und außerdem wolle man das neue Produkt erst der eigenen Kundschaft vorstellen und dann auf Messen gehen; ein Jahr werde es noch dauern, und ob der Scanner auf der nächsten Messe in Hannover gezeigt werde, müsse man dann sehen.
An preiswerten und hochleistungsfähigen Scannern, die per Laserstrahl die Lage eines verformbaren Objektes dreidimensional vermessen können und anschließend einem Industrie-Roboter Befehle für die Montage geben können, scheiterte bisher ein weiterer der vielen kleinen Automatisierungsschritte in der industriellen Montage: die computergesteuerte Handhabung von sogenannten „biege -schlaffen“ Teilen, also etwa Gummirahmen um Autofenster, Schläuche in Waschmaschinen oder Steckverbindungen mit Kabeln. Denn die weichen Kunststoff- oder Natur-Bauteile entziehen sich nach Kräften dem stählernen Griff: Mal verändern sie ihre Lage im Raum, mal spreizen, dehnen oder beugen sie sich, erweisen sich als quetschbar oder hängen einfach durch - mit ihren „wahnsinnigen Toleranzen“, so ein Techniker, sind sie tatsächlich noch zu unberechenbar für einen handelsüblichen Computer der Rationalisierungsbranche und die an den Rechner angeschlossenen Automaten.
Vor zwei Jahren glaubte BMW, einen Durchbruch geschafft zu haben. Zusammen mit MBB entwickelte der Autokonzern ein Verfahren, mit dem Gummidichtungen an den Türen der bayerischen Nobelkarossen vollständig durch Roboter montiert werden sollten. Computergestützt konnte die Lage einer Dichtung in der angelieferten Kiste noch vermessen und dem Industrie-Roboter ein Befehl gegeben werden, das Teil zu ergreifen. Aber heftige Probleme bereitete es dem Robot beziehungsweise dem Programmierer seines Software-Hauses, das Gummi gleichmäßig zu spannen - von einer auch nur 99prozentigen Montagesicherheit konnte keine Rede sein. Und so, berichtet ein MBBler, der damals in der Projektgruppe mitgearbeitet hat, sei BMW ganz schnell wieder darauf zurückgekommen, die Gummis von Menschen auf Rahmen spannen zu lassen.
Wer nun in Hannover danach schaut, wie weit die Branche mit den „Problemlösungen“ für die Montage dieser biege-schlaffen Teile sucht, wird nahezu vergeblich in den „MHI„-Hallen 19 und 23 suchen, in denen die Systeme aus den Bereichen „Montage, Handhabung, Industrieroboter“ untergebracht sind. Und das liegt eben nicht daran, daß die Probleme inzwischen gelöst sind, sondern am genauen Gegenteil.
Für die Hersteller der ebenso vielseitigen wie vielachsigen Industrie-Roboter ist das Ganze kein Markt, weil die Anwendungen sehr speziell sind und praktisch ein maßgeschneidertes System verlangen - die Nachfrage müßte schon aus der Automobil-Industrie, von den Haushaltsgeräte -Herstellern oder auch von Möbelbauern kommen, die ihre Schaumstoffkissen automatisch in die edle Sitzgelegenheit stopfen wollen müßten. Dann dürften die Aufträge aber auch eher an höchstspezialisierte Kleinfirmen gehen, die auch die zueinander passenden Scanner, Rechner, Roboter und Sensoren anbieten müßte.
Nur ein einziger Aussteller demonstriert eine Möglichkeit, und nicht zufällig ist es kein Unternehmen, sondern das Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), das bislang am allermeisten von der Reduzierung der konzerneigenen Entwicklungsabteilungen für Spezialprobleme profitiert - und einen entsprechend guten Ruf in der auftraggebenden Industrie hat. Auf dem IPA-Stand, Halle 23, wird am Modell demonstriert, wie Schläuche zwischen Autokühler und Motorblock befestigt werden können. Zur „Verkürzung von Nebenzeiten“, wie das IPA in seinem Werbematerial verkündet, wurde gleich noch ein System zum fliegenden Greiferwechsel entwickelt.
Den jungen Ingenieuren liegt dabei die Gesundheit der Werktätigen am Herzen: Schließlich geht die Montage von Schläuchen, die über einen Stutzen geschoben werden müssen, nicht so sehr an die Muskeln wie auf die Gelenke. Die IPA -Schläuche sind eher halbstarr, „ein bestimmtes Steifigkeits -Verhältnis“ wollten sich die Forscher denn doch gönnen. Zudem liegen die Schläuche schon auf einem Gestell bereit, aber das Problem liegt nicht mehr im Ergreifen der Bauteile: Ist das eine Ende erst einmal auf den Stutzen gesteckt, muß der Schlauch mit Laser gescannt werden, damit der Greifer weiß, wo er das andere Ende findet und Schellen oder Klemmen befestigen muß.
Nun ist die 3-D-Erkennung noch einmal genauso teuer wie der gesamte Industrie-Roboter, schätzt der Stand-Mann eines gleichfalls schwäbischen Unternehmens, das Komponenten für Handhabungseinrichtungen herstellt - sogar ein Dreischichtenbetrieb mit Menschen ist einstweilen billiger als der Ersatz durch die Maschine. Bei neuen Scannern dürften die Preise allerdings bald purzeln. Die Rede ist von einem Preissturz von bisher 75.000 auf 25.000 Mark für diese Vermessungsgeräte; damit kommt der Preis für einen Industrie -Roboter mit angebautem Scanner bereits in die Preislage eines Zweischicht-Arbeitsplatzes
Der Vertreter des schwäbischen Peripheriegeräte-Vertreters hat aber noch ein anderes Problem: Die Taktzeiten geraten völlig durcheinander. Braucht beispielsweise ein Arbeiter bislang zwanzig Sekunden, um die Befestigung von Gummischläuchen an einer Waschmaschine zu prüfen, bräuchte er in Zukunft nur noch fünf für den Blick auf den Monitor, während die Maschinen weiter im Zwanzig-Sekunden-Takt auf den Prüfstand rollen. „Und die anderen fünfzehn Sekunden was macht der Mann dann?“ Das ließe sich schnell umorganisieren, steht zu vermuten.
An einem ganz anderen Problem gescheitert ist allerdings Airbus im niedersächsischen Werk Stade. Dort sollte ein Industrie-Roboter mit harzbeschichteten Kohlefaser -Verbundstücken für das Leitwerk hantieren. Die Techniker, überfordert, gingen schnell wieder zur Teilautomatisierung zurück. Denn die Stücke waren nicht nur flexibel, sondern auch, dank Harzbeschichtung, klebrig.
Dietmar Bartz
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