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Marokko als Drehscheibe zwischen EG und Maghreb

Hannover: Bundesdeutsche Unternehmer loben die politische Stabilität des Hassan-Regimes / „In den nächsten zehn Jahren deutlich größere Bedeutung“  ■  Aus Hannover Dietmar Bartz

Eigentlich hätte Marokko ja in diesem Jahr das internationale „Partnerland“ auf der Industrie-Messe werden wollen. Der Antrag war schon vor Jahren gestellt, doch Marokko wurde das Opfer der neuen Hannoveraner „Messephilosophie“, als Partnerländer zunächst einmal nur noch europäische Industriestaaten zu präsentieren - so ging der Zuschlag an Österreich (siehe taz vom 8.4.). Einen anderen Antrag hat Marokko der Konkurrenz aus Wien zwei Jahre voraus: den Antrag auf Mitgliedschaft in der EG nämlich, den der machthabende König Hassan schon im Sommer 1987 stellen ließ.

Der stieß in Brüssel seinerzeit auf überhaupt keine Gegenliebe - er wurde abgelehnt. Bei allen himmelweiten Unterschieden zwischen Marokko und Österreich soll den beiden Staaten aus Brüsseler Sicht dennoch eine ähnliche Funktion zukommen: als Drehscheibe für das jeweils weitere „Hinterland“ zu dienen. Da steht Marokko plötzlich in einer besonders günstigen Situation, seit die maghrebinischen Regierungen (außer Marokko noch Algerien, Libyen, Tunesien und Mauretanien) eine Wirtschaftsunion beschlossen haben. Im Gegensatz zu ihren Wiener Kollegen hören Wirtschaftspolitiker aus Rabat von der Drehscheibenfunktion nicht ungern. Ob es denn bundesdeutsche Kreditexporte für Waren gebe, die von deutschen Unternehmen in Marokko hergestellt und nach Algerien exportiert werden sollen, wollte denn auch Mohamed Belkhayat wissen, der Generaldirektor des Büros für industrielle Entwicklung. Dazu konnte ihm beim eintägigen „Business Forum Marokko“ auf der Industriemesse allerdings keiner eine Auskunft geben; wahrscheinlich aber eher nicht.

„Eine weite Öffnung unserer Wirtschaft nach außen“, konstantierte Industrieminister Azmani vor rund drei Dutzend interessierten bundesdeutschen Unternehmern - die marokkanische Regierung habe die Privatinitiative schon immer unterstützt, und das Land befände sich nun im Übergang vom Rohstoff-Exporteur zum Lieferanten von Halb- und Fertigprodukten. Das mochte Günther Behrens, Geschäftsführer der Essener Exportfirma Paas, zumindest für die Zukunft bestätigen: „Als führendes Maghreb-Land wird Marokko in den nächsten zehn Jahren erheblich an Bedeutung zunehmen.“

Wesentlich an der Rohstofforientierung lag auch, daß Marokko in den achtziger Jahren in die Reihe der hochverschuldeten Länder geriet und die rund 25 Millionen EinwohnerInnen nach offiziellen Schätzungen eine Schuldenlast von 18,5 Milliarden Dollar zu tragen haben davon weit über eine Milliarde Dollar für Waffenkäufe. Quantitativ wichtiger bleibt aber der Preisverfall für den Düngemittelgrundstoff Phosphat, dessen Export für Marokko einst eine Rolle spielen sollte wie für die Nachbarstaaten Algerien und Libyen das Erdöl und -gas. Hinzu kamen auch noch der gestiegene Preis für das überwiegend importierte Erdöl und, bei hohem Bevölkerungswachstum, ständig steigende Lebensmittelimporte.

Ein hartes Austerity-Programm des IWF sorgte für deutliche Schritte hin zur Sanierung des defizitären Staatshaushaltes, zum Abbau von Subventionen und zur Senkung der Inflationsrate - und für wiederholte Hungeraufstände. Eine politische Chance hat in Marokko nur, wer sich zu Königstreue, Islam und der Westsahara als marokkanischem Territorium bekennt - und der Unterdrückungsapparat funktioniert. Der Leiter des Arabien-Referats im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, Hörth, lobte die „Politik König Hassans II. Für Freiheit und Liberalismus“, und ein bundesdeutscher Investor, der südlich von Tanger Damen-Oberbekleidung herstellen läßt, freute sich über „die politische Stabilität und die straffe Staatsführung, die ein hohes Maß an innerer Sicherheit gewährleistet“ - die soziale Ruhe lasse allerdings zu wünschen übrig.

Industrieminister Azmani indes strahlt professionellen Optimismus aus. Die Wirtschaft sei im letzten Jahr um zehn Prozent gewachsen, die Inflation auf drei Prozent gefallen; die Unterdeckung des Budgets ist auf etwa zehn Prozent gefallen, und auch das Defizit in der Handelsbilanz fällt seit 1985.

Mehr als ein Fünftel seines Außenhandels wickelt Marokko nach wie vor mit der früheren Kolonialmacht Frankreich ab; die BRD steht bei den Lieferländern mit sieben Prozent auf Platz drei in der marokkanischen Statistik, als Kunde mit 6,25 Prozent auf Platz fünf. Umgekehrt, typischer Fall eines Drittweltlandes, rangiert Marokko in der bundesdeutschen Außenhandelsstatistik wesentlich niedriger auf Rang 51 (bei den Exporten) und 52 (bei den Importen). Rund sechs Prozent aller Auslandsinvestitionen in Marokko kommen aus der BRD 67 Millionen Mark war der Stand im vergangenen Jahr. Die Süderweiterung der EG um Spanien und Portugal hat allerdings nicht zu einer Verdrängungen marokkanischer Tomaten, Zitrusfrüchte oder Fische geführt; im entscheidenden Jahr 1987 konnte Marokko seine Exporte in die EG um satte 20 Prozent steigern, in die BRD immer noch um vier und im letzten Jahr um mehr als zehn Prozent.

„Enorme Fortschritte“ attestiert denn auch Martin Krämer, Mitglied des deutsch-marokkanischen Wirtschaftsausschusses und Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins, dem Königreich, dessen Herrscher auch von deutschen Unternehmern selten ohne ein vorgestelltes „Seine Hoheit“ genannt wird. Der Afrika -Verein hatte Marokko schon Ende der vierziger Jahre zu einem seiner drei Hauptbetätigungsfelder - neben Nigeria und Südafrika - gemacht. Grund: In einem antikolonialen Akt gegen Frankreich waren sehr schnell nach dem Krieg die beschlagnahmten deutschen Vermögen zurückgegeben worden.

Die zuendegehende Unterstützung Algeriens für die sahaurische Befreiungsbewegung Polisario, die gegen die Besetzung ihres Landes durch Marokko kämpft, beschreibt Krämer - am Randes der Tagung - als wirtschaftliches Problem: Zwar seien die unmittelbaren militärischen Kosten des Westsahara-Konfliktes, die Krämer auf etwa eine Million Dollar täglich beziffert, nicht zu unterschätzen (andere Schätzungen gehen von bis zu drei Millionen Dollar täglich für die 120.000 marokkanischen Soldaten aus, die das Regime im Süden stationiert hat). Viel gewichtiger sei jedoch eine mittelfristige Perspektive. Algerien habe die Polisario zunächst auch unterstützt, weil es für das eigene Erz einen Zugang zum Atlantik brauchte. Mit dem Preisverfall für mineralische Produkte einerseits und den wieder gestiegenen Erlösmöglichkeiten vor allem für Erdgas andererseits haben sich die algerischen Prioritäten verschoben: Jetzt ist, auch wegen des westeuropäischen Binnenmarktes, eine Gasleitung über marokkanisches Gebiet nach Spanien wirtschaftlich interessant geworden. Krämer: „Im Grunde genommen haben die Algerier die Option Küste/Erzexport zugunsten des Gastransports geopfert. Und die Polisario hängt jetzt dazwischen.“

Daß Marokko durch die Orientierung auf die EG einerseits und die Maghreb-Staaten andererseits in einen Zielkonflikt geraten würde, glaubt Krämer nicht - Marokko werde eher einen generellen Exportboom bei Gütern mit höherer Wertschöpfung erleben. Politische Unterschiede gerade zum Nachbarn Algerien kämen dem Land dabei sehr zupaß: eine flexible private Wirtschaft gegen eine algerische Bürokratie und Wirtschaft, die auch nach den angestrebten Reformen noch zentralisiert und schwerfällig bleibe. Vor allem aber die schwer vernachlässigte und kaum noch existente algerische Landwirtschaft biete dem marokkanischen Export die Möglichkeit, Energieträger aus dem Nachbarland zu bezahlen.

„Die Vorteile sind ungleich verteilt“, analysiert Krämer die Bedeutung der Maghrebinischen Union im Hinblick auf 1992. Am meisten profitiere Marokko, an zweiter Stelle liege Algerien - „nur, wenn es die Reformen auch verwirklicht“ -, und an dritter Stelle Tunesien, weil dieses Land schon jetzt praktisch alle Vorteile gegenüber der EG ausgeschöpft habe. „Aber die Länder haben keine andere Wahl, sich auf diesen Riesenmarkt einzustellen.“

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