: Wenn der Generalbundesanwalt Buch führt...
In einer 21 Seiten umfassenden Dokumentation listet Kurt Rebmann minutiös in Zahlen-, Daten- und Faktenmanier die „persönlichen Verhältnisse und Haftbedingungen“ von 25 RAF-Gefangenen auf. Doch die Replik der Anwälte auf die Rebmann-Liste zeichnet ein anderes Bild vom Knastalltag ■ Von Maria Kniesburges
Generalbundesanwalt Rebmann hat die Dinge termingerecht zurechtgerückt: Neun Wochen nach Beginn des Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF und anderen militanten Gruppen, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die lebensbedrohliche Zuspitzung nicht mehr ausgeschlossen werden konnte, gab der oberste Ankläger und Anwalt der Republik eine 21 Seiten umfassende Dokumentation zu den Haftbedingungen der betreffenden Gefangen in den Presseverteiler. Am Beispiel von 25 Gefangenen zählt Rebmann unter dem Stichwort „Außenkontakte“ minutiös jeden im Jahre 1988 aus- und eingegangenen Brief, jeden Besuch von Freunden oder Angehörigen, jeden Verteidigerbesuch, jedes Radiogerät mit oder ohne Kassettenteil, jede Schreibmaschine, die Zahl der Bücher in den Zellen und die Zahl der abonnierten Zeitungen und Zeitschriften auf.
Das Ziel des fleißigen Unterfangens stellt Rebmann gleich vorweg in seinem Vorwort klar: Es gilt, den Vorwurf von Isolations- und Sonderhaftbedingungen als Propagandalüge zu entkräften. Der Generalbundesanwalt wörtlich: „In zahlreichen sogenannten 'Solidaritätserklärungen zum Hungerstreik‘ wird der Vorwurf von Sonderhaftbedingungen, Isolation, sogar von Isolationsfolter erhoben. Isolationshaft oder sogar -folter und unmenschliche Haftbedingungen gibt es in der Bundesrepublik nicht. Alle Inhaftierten werden vielmehr nach den gesetzlichen Vorschriften behandelt.“
Prinzip der Auslassung
Daß eben diese „gesetzlichen Vorschriften“, nämlich die Sonderhaftbedingungen, eigens als „Haftprogramme für die Gefangenen aus dem Terrorismusbereich“ geschaffen wurden, verschweigt der Generalbundesanwalt in seinem umfangreichen Werk ebenso geflissentlich'wie er die Existenz der Hochsicherheitsttrakte mit keinem Wort für erwähnenswert erachtet. Der Staatsräson erbittert verpflichtet, unternimmt Rebmann aufs Neue die „Beweisführung“, die Gefangenen isolierten sich selbst: „Sechzehn Strafgefangene sind in Einzelhafträumen untergebracht, wie es das Strafvollzugsgesetz grundsätzlich vorsieht. Acht Strafgefangene sind in Wohngruppen untergebracht; drei in Celle, drei in Lübeck, zwei in Berlin. Diese Gefangenen haben oder hatten zumindest bis zum Beginn des Hungerstreiks die Möglichkeit des Kontakts zu Mitgefangenen, die nicht dem Terrorismusbereich zuzuzählen sind. Von diesen Kontaktmöglichkeiten wird durchaus Gebrauch gemacht. Allerdings lehnen Gefangene aus dem terroristischen Bereich solche Kontakte auch ab und isolieren sich innerhalb der Haftanstalten selbst, indem sie jeden Umgang mit anderen Gefangenen verweigern und statt dessen auf einer Zusammenlegung mit ihren Gesinnungsgenossen bestehen. Auch eine Teilnahme am gemeinschaftlichen Aufenthalt im Freien bei Trennung von Gefangenen aus dem Terrorismusbereich wird von manchen Gefangenen nicht akzeptiert.“
Die sich anschließende Beweisführung, die der Generalbundesanwalt in „Zahlen-, Daten-, Fakten-Manier“ per Schilderung der „persönlichen Verhältnisse und Haftbedingungen“ von 25 Gefangenen unternimmt, liest sich flüssig und schlüssig vor allem aus einem Grund: Sie basiert auf dem Prinzip der Auslassung. Neben der peniblen Aufzählung der Dusch- und Bademöglichkeiten sowie der Ausstattung der Trakte mit Kochherd, Kühlschrank oder gar Fernsehapparat sowie der „umfangreichen Außenkontakte“ per Briefen oder Besuchen rückt Rebmann die Lockerungen ins rechte Licht, die in den vergangenen Jahren hinsichtlich der Aufschlußzeiten mit anderen Gefangenen sowie der Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen im Rahmen des sogenannten Normalvollzugs gegeben hat. In der Tat Bedingungen, die nicht mehr dem strikten Isolationshaftprogramm der 70er Jahre gleichzusetzen sind. Doch das Wahre ist immer noch das Ganze. Die Konfrontation des Rebmannschen Rechenschaftsberichts mit den Schilderungen der Anwälte, der „Angehörigen politischer Gefangener“ und der Gefangenen selbst ergibt folgendes Bild.
Briefkontrolle und -zensur
Hunderte von erhaltenen und versandten Briefen der Gefangenen zählt der Generalbundesanwalt zum Beleg der regen Außenkontakte der Inhaftierten auf. „Er erhielt 307 und verschickte 332 Briefe“, beziffert Rebmanns Dokumentation die „Außenkontakte“ des Gefangenen Karl-Heinz Dellwo, der heute seit 70 Tagen die Nahrung verweigert. Ebenso genau weiß Rebmann jede eingegangene Postkarte und jeden Brief an Christian Klar im Hochsicherheitstrakt Stuttgart-Stammheim für das Jahr 1988 aufzulisten: „Er erhielt 695 und verschickte 359 Briefe.“ Und wenn er wollte, könnte der oberste Fahnder der Republik nicht nur die Anzahl der Briefe an die 25 Gefangenen, die er aufführt, benennen, sondern auch deren Länge, deren Inhalt und deren Absender und Addressaten. Denn alles wird auf das genaueste kontrolliert, zensiert oder auch ganz zurückgehalten. „Mindestens zehnmal im Monat“ werde die Post in der bayrischen Haftanstalt Straubing angehalten, so Rainer Koch, Anwalt des dort inhaftierten Rolf Heißler. Der Genaralbundesanwalt seinerseits, so zerfleddert der Anwalt die Rebmannsche Legitimationsliste fast schon sarkastisch, zähle in seinen Belegen für die regen Außenkontakte auch die Beschwerden über die diversen Anhalteverfügungen der Post mit. In einer gemeinsamen Stellungnahme ziehen die Anwälte der betreffenden Gefangenen das Fazit: „Die Kommunikation über Briefe wird durch die Postzensur weitgehend verhindert. Briefe können bis zu fünf Wochen dauern.“ Und die Mutter des in Stuttgart-Stammheim inhaftierten Erik Prauss bestätigt: „Erst nach schriftlichem Protest bei der Bundesanwaltschaft habe ich den ersten Brief meines Sohnes nach Beginn des Hungerstreiks mit fünfwöchiger Verspätung erhalten. Auf diese Weise kann ja keine Kommunikation zustande kommen. Das zerstört doch jeden Kontakt.“ Die politische Zensur, so die Anwälte, richte sich quasi per Prinzip „gegen alle politischen Inhalte, die im Widerspruch zu der Politik stehen, wie sie von den Bundestagsparteien betrieben wird.“ Abgehakt und angehalten unter der Rubrik: „Werbung für die Sache des Terrorismus.“
Ebenso penibel und zahlengenau listet der Generalbundesanwalt die Besuche von Angehörigen und Freunden der Gefangenen wie auch die Verteidigerbesuche auf. Nahezu ein stetes Kommen und Gehen im Knast, möchte man meinen. Daß allerdings bis heute die Trennscheibe hochgefahren ist, wenn ein Verteidiger seinen Mandanten aufsucht, unterschlägt Rebmann als Selbstverständlichkeit genauso wie die Tatsache, daß auch heutzutage kein Angehöriger ohne Beisein und Kontrolle durch Vollzugs- und Staatsschutzbeamte auch nur eine Sekunde mit einem oder einer der Gefangenen in der Besucherzelle allein verbringen darf. „Nicht ein Wort über unsere privaten intimsten Dinge konnte ich in all den Jahren mit meiner Tochter reden“, sagt die 66jährige Mutter der in Köln-Ossendorf inhaftierten Adelheid Schulz. „Sie sitzen direkt nebendran, den Blick immer auf uns gerichtet, damit sie auch ja alles mitkriegen.“ Die Anwälte resümieren: „Die Besuchszeiten variieren von Bundesland zu Bundesland, meist sind es ein bis zwei Stunden im Monat. Besuche werden vom jeweiligen Landeskriminalamt und Gefängniswärtern überwacht, jede Äußerung wird mitgeschrieben und in der Datei Häftlingsüberwachung gespeichert.“
Da nimmt es nicht Wunder, daß selbstredend auch die Namen derer in einen Datenspeicher des Sicherheitsapparats wandern, die einen Besuch bei den nach 129a verurteilten Gefangenen wagen. Immer wieder wurden diese Besuche in 129a -Prozessen als Belastungsmaterial ins Feld geführt. Doch das stört Rebmanns harmonische Dokumentation der lebhaften Außenkontakte ebenso wenig wie etwa eine Erwähnung der den Besuchen vor- und nachgelagerten Körperkontrollen. „Ich werde jedesmal durchsucht, als wenn ich dieses Gebäude mit Waffen gespickt aufsuchen würde“, ärgert sich die Mutter von Erik Prauss. Die Gefangenen jedoch unterliegen in aller Regel noch weit radikaleren Kontrollen als die Besucher: Sie müssen sich im Sicherheitsinteresse vor und nach dem Besuch nackt ausziehen. „Ein durch und durch entwürdigender Vorgang“, so die ehemalige Gefangene.
„Freizeitvergnügen“
Und ebenso ergeht es den Gefangenen im Hochsicherheitstrakt Stammheim, wenn sie an den Gemeinschaftveranstaltungen in der Haftanstalt teilnehmen wollen, die der Generalbundesanwalt in der ihm eigenen Redlichkeit weiterhin aufführt. Diese Nacktkontrollen, so der Anwalt des im Hochsicherheitstrakt Stammheim inhaftierten Christian Klar, sei einer der Gründe, warum sein Mandat die Teilnahme an den Veranstaltungen ablehne. In der Dokumentation des Generalbundesanwalts liest sich dann auch der vier Punkte umfassende Bericht zu den Haftbedingungen Christian Klars im Hochsicherheitstrakt Stammheim ganz im Sinne der der Rebmannschen These von der „freien Entscheidung für die Selbstisolation“. Im Wortlaut heißt es da:
1. Klar verfügt in seinem Haftraum über ein Radiogerät, einen Kassettenrekorder, eine Schreibmaschine und zahlreiche Bücher. Er bezieht sieben Zeitungen und Zeitschriften.
2. Der Gefangene hat täglich Hofgang mit anderen Gefangenen. Umschluß mit anderen Gefangenen findet nicht statt.
3. Klar hatte im Jahr 1988 folgende Außenkontakte: 79 Besuche, davon 53 von Verteidigern. Er erhielt 695 und verschickte 359 Briefe.
4. Das Angebot, mit anderen Gefangenen zusammenzukommen, zum Beispiel bei Gemeinschaftsveranstaltungen wie Sport, Fernsehen, Gesprächsgruppen, Gottesdienst lehnt der Gefangene ab. An der Arbeit nimmt der Gefangene ebenfalls nicht teil. Möglichkeiten zur Fortbildung werden von ihm nicht wahrgenommen.“
Die Arbeit, an der der Gefangene, wie Rebmann es nennt, die „Teilnahme“ verweigert, sollte er laut Anwaltsauskunft in der Isolierzelle verrichten. Und auch wenn die 66jährige Mutter von Adelheid Schulz den Gefangenen Christian Klar, den sie seit seiner Jugend kennt, in Stammheim besucht, wird die Trennscheibe hochgefahren. Das findet bei Rebmann ebenso wenig Erwähnung wie die steten Zellenkontrollen, die den Takt des Lebens im Trakt bestimmen. Christian Klar schildert das so: „Tägliche kurze Sicherheitskontrolle der Zelle, zweimal wöchentlich genaue Durchsuchung der Zelle und aller Gegenstände und schriftlichen Sachen. Zensur der Post, Zeitungen und Bücher. Mal wird weniger, mal viel angehalten. (...) Vor und nach jedem Angehörigenbesuch Nacktkontrolle und Kleiderwechsel, während der zwei wöchentlichen Zellendurchsuchungen Nacktkontrolle und Kleiderwechsel, genauso vor und nach jedem Hofgang und vor und nach jedem Gang außerhalb vom siebten Stock, wo die Zelle ist.“ Die Zelle beschreibt er so: „Die Wände sind so gebaut: Beton, dann eine Lage Stahl, dann Putz. Die Gitter an den Fenstern von innen nach außen: erst ein enges Gitter, durch das ein Bleistift paßt, dann ein zweifaches massives Gitter, dann Fliegengitter.“
Doch Rebmann gibt sich genau, zählt auch die Unterschiede auf. So schreibt er zu den Haftbedingungen der ebenfalls in Stuttgart-Stammheim inhaftierten Manuela Happe: „Die Gefangene hat jeden dritten Tag gemeinsamen Hofgang, an den übrigen Tagen Einzelhof. Umschluß mit anderen Gefangenen findet nicht statt.“ „Stimmt“, so bestätigt es Anwalt Gerd Klusmeyer. „Allerdings“, so ergänzt er das, was Rebmann nicht der Rede wert hält, „die anderen Gefangenen, die Manuela Happe während des gemeinsamen Hofgangs alle drei Tage sehen kann, wechseln quasi wöchentlich, denn es handelt sich um eine Durchgangsstation für Unterrsuchungsgefangene.“
Hofgang auch
mit V-Leuten
Ein grundsätzliches Problem beim Zusammentreffen von 129a -Gefangenen und anderen Gefangenen, das von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich praktiziert wird, ist, daß derartige Kontakte auch x-fach mit Repression belegt oder auch gleich wieder unterbunden wurden. Die Gefangenen, die Kontakt zu den nach 129a Verurteilten aufnahmen, wurden ausgefragt oder selbst schärferer Kontrolle unterworfen oder aber gleich in ein anderes Haus verlegt, berichten Anwälte, Angehörige und Gefangene in ihren Briefen. Diskreditiert wurde das Angebot des Kontakts mit anderen Gefangenen und der Perspektive der „Integration in das normale Anstaltsleben“, wie es der nordrhein-westfälische Justizminister Krumsiek favorisiert, auch nachhaltig dadurch, daß ausgewählte Gefangene gezielt auch schon als V -Leute auf die 129a-Gefangenen angesetzt wurden.
Rebmanns Fazit: „Der Vorwurf der Isolationshaft ist unrichtig. Solange und soweit einzelne Gefangene aus dem Terrorismusbereich grundsätzlich mögliche Kommunikationskontakte der geschilderten Art nicht wahrnehmen, beruht dies auf ihrer freien Entscheidung. Soweit Vollstreckungs- und Vollzugsbehörden das Zusammenkommen bzw. -legen von Inhaftierten aus dem Terrorismusbereich nicht zulassen, liegt das daran, daß Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß ein solches Zusammenkommen bzw. -legen dazu benutzt würde, den Kampf aus der Zelle heraus fortzusetzen.“ Soweit der Generalbundesanwalt in seinem Plädoyer für die in Bonn eisern aufrecht erhaltene Replik auf die Forderung der Hungerstreikenden: „Der Staat ist nicht erpreßbar.“
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