: „Hungerstreik ist eine furchtbare Qual“
Till Meyer wurde als Mitglied der Bewegung 2. Juni unter anderem wegen Geiselnahme zu 15 Jahren verurteilt Von 13 Jahren abgesessener Haft hat er über neun Jahre unter den verschiedensten Isolationshaftbedingungen gesessen ■ I N T E R V I E W
taz: Was hältst du vom Vorschlag der SPD-Länder, die Gefangenen aus der RAF in Fünfergruppen zusammenzufassen?
Till Meyer: Ich war nahezu drei Jahre im Berliner Hochsicherheitstrakt Moabit in einer Kleingruppe mit fünf weiteren Genossen untergebracht. Gegenüber den fünf Jahren zuvor, in denen wir einzeln und getrennt von allen anderen Gefangenen untergebracht waren, war das zunächst eine gravierende Veränderung. Schließlich kamen wir jetzt in die Lage, bei acht Stunden lang geöffneten Zellen gemeinsam zu essen, zu diskutieren, zusammenzusein. Das haben wir zuerst als große Erleichterung wahrgenommen.
Dennoch habt ihr im Hochsicherheitstrakt gesessen, also isoliert vom Rest der Anstalt. Welche Auswirkungen hatte das auf die Gruppe?
Der Mensch ist ein soziales Wesen und auf Austausch mit anderen Menschen angewiesen, sonst wird er krank. Die Kleinstgruppen in hermetisch vom anderen Knast abgeschotteten HS-Trakten, egal ob drei, vier, fünf oder sechs Gefangene, können den notwendigen sozialen Austausch nicht gewährleisten. Jeder kann sich vorstellen, was sich dort an gruppendynamischen Prozessen entwickeln kann.
Kannst du das genauer beschreiben?
Stell dir vor, du wärest auf Jahre mit deinen WG -Mitbewohnern ohne Ausweichmöglichkeit in die Küche gesperrt und von außen würde ständig an den Bedingungen gedreht, z.B. wird bei dem einen der Besuch abgebrochen, er wird zusammengeschlagen, weil er beim Besuch seine Freundin umarmen wollte. Dem anderen wird die Post angehalten, dem nächsten die Zeitungen zensiert, Bücher nicht ausgehändigt. Mit einer umfangreichen Palette solch repressiver Maßnahmen hat der Apparat ständig die gruppendynamischen Prozesse beeinflußt.
Es ist bekannt, daß es in dieser Gruppe heftige politische Auseinandersetzungen gegeben hat.
Natürlich, das war auch gut und gewünscht. Teilweise wurden diese Auseinandersetzungen aber mit zunehmender Schärfe geführt, die für den Einzelnen dann existenzielle Bedeutung bekamen. Jetzt stell dir vor, daß einer von dieser kleinen Gruppe ausgegrenzt wird oder sich selber zurückzieht. Zur Verschärfung dieser Prozesse kann der Apparat durch die beschriebenen Maßnahmen eingreifen und sie natürlich forcieren. So war das bei uns in Moabit, und so wird es auch bei den anderen sein.
Deine Erfahrung mit der Kleinstgruppe ist also negativ. Kannst du dir vorstellen, daß die Gefangenschaft in einer größeren Gruppe, selbst im Hochsicherheitstrakt erträglicher ist?
Davon gehe ich aus. Die gruppendynamischen Prozesse sind dann viel weniger zugespitzt. Je größer die Gruppe ist, um so größer sind die Möglichkeiten des sozialen Austauschs.
Die Bundesanwaltschaft behauptet, die RAF-Gefangenen würden die Isolation wählen, die Integration in den Normalvollzug ablehnen.
Kompletter Unfug. Für alle 129er gilt das Sonderhaftstatut der Bundesanwaltschaft. Das verhindert von vornherein einen normalen Vollzugsalltag. Um partiell mit anderen Gefangenen zusammenzukommen muß der Gefangene erneute, zusätzliche Kontrollen, zum Beispiel ein weiteres Mal ausziehen, abgrapschen lassen, vielleicht Klamottenwechsel über sich ergehen lassen, um dann kurzfristig mit Leuten zusammenzukommen, die er überhaupt nicht kennt. Das ist ein Propagandatrick der Bundesanwaltschaft. Selbst bei mir, nachdem ich mich Ende 1982 vom konzept des bewaffneten Kampfes gelöst hatte und in den Normalvollzug verlegt wurde, hielten bis zum Tag meiner Entlassung besondere Kontrollmaßnahmen an. Alle Außenkontakte, also Post, Besuch, Telefon wurden lückenlos von der Sicherheitsabteilung des Knastes überwacht, zudem unterlag ich auch schärfster Beobachtung innerhalb der Anstalt.
Du hast an sieben Hungerstreiks teilgenommen, was empfindet der Gefangene dabei?
Bestialischen, anhaltenden Hunger! Mein längster Hungerstreik währte 55 Tage, und an keinem dieser Tage hat das quälende Hungergefühl nachgelassen. Die Freßfantasien treiben ins unermeßliche, und mit fortschreitender Zeit siehst du natürlich auch den Tod auf dich zukommen. Hungerstreik ist eine furchtbare Qual.
Hast du während der Hungerstreiks absolut nichts zu dir genommen? Zum Beispiel Vitamintabletten oder Zuckerlösung?
Bei einem der Hungerstreiks haben wir alle zuckerhaltige Vitamintabletten gekaut. Die Nahrungsaufnahme durch diese Tabletten ist aber viel zu gering. Selbst in größeren Mengen genommen können diese Tabletten nur die Qual verlängern, den Hungertod aber nicht aufhalten. Die Gefangenen sind wehrlos. Hungerstreik ist ihre einzige Waffe. Das ist seit Jahrhunderten das einzige nicht vom Staat sanktionierte Mittel, im Gefängnis Widerstand zu leisten. Der freiste Staat, den es jeh auf deutschem Boden gab, hat es inzwischen geschafft, auch dieses letzte Mittel zu kriminalisieren. Die Gefangenen werden unverzüglich mit Zellenrazzien und neuen Ermittlungsverfahren überzogen, und jeder Bürger, der sich für menschenwürdige Haftbedingungen für die RAF-Gefangenen einsetzt muß ebenfalls mit Kriminalisierung rechnen.
Interview: Petra Groll
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