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HEIMATABEND

■ „Band of Holy Joy“ im Loft

Eine Horde, losgelassen aus einem nordenglischen Dorf, nah an der Grenze zu Schottland. Es ist traurig da und sehr, sehr einsam. Der Sänger ist der Dorfdebile, der im Pub immer die halbleeren Pints ausschlürft und sich hie und da mal nützlich macht, ansonsten bei den Fußballspielen des Dorfclubs immer hinter dem Tor der gegnerischen Mannschaft steht und den Keeper anpöbelt, damit der Posaunist, Mittelstürmer und unangefochtener Star der Mannschaft, schön und von den Frauen begehrt, seine Tore schießen kann. Der Junge am Kontrabaß sieht aus wie 15, einer von den kleinen Rabauken, die auf wehrlose Hühner mit Steinen werfen und dem vom Schifferklavierspieler, der, weil leicht abgedreht, von allen nur belächelt, eine Anstellung beim Küster im Pfarrhaus hat und dort vornehmlich Unkraut jätet, öfter mit zur Seite geneigtem Kopf ins Gewissen geredet wird. An der Gitarre und den Keyboards haben wir den Klassenclown der Dorfschule, wo noch alle sechs Grundschulklassen gemeinsam unterrichet werden und er schon seit Jahr und Tag wegen seiner abstehenden Ohren gehänselt wird. Der Geiger ist jemand, der in keinem Dorf fehlen darf, einer der schon ein paar Mal in London war, wo sowieso alles besser ist, den es aber immer wieder zurück in den Norden verschlägt und in der Band spielt er nur mit, weil man da wenigstens rauskommt, aber eigentlich kann er mit soviel Volksmusik nichts anfangen.

Da drehen sich die Paare wild im Kreis auf der Tanzfläche, während auf den groben Tischen am Rand die Mütter argwöhnisch linsen, ob keine Hand am falschen Ort bei ihrer Tochter liegt, und die Väter Ausschau nach wehenden Röcken halten, aber alle amüsieren sich ganz prächtig, denn heute ist Sonntag, die „Band of Holy Joy“ spielt am Dorfplatz zum Tanz auf, das Lager fließt in Strömen, und langsam sind auch die Erwachsenen so betrunken, daß sie nur noch begeistert schunkeln und ihre Aufsichtspflichten vernachlässigen. Als es dann endlich dunkel ist, wird es in den Büschen rund um den Dorfplatz lebendig, die Alten erzählen sich Geschichten, die noch älter sind als sie selbst, und kriegen nicht mehr mit, daß die Jugend sich längst verzogen hat, um anderen Beschäftigungen zu frönen.

Die „Band of Holy Joy“ spielt auch nur noch langsame und noch traurigere Lieder, von verlorener Liebe, „I need you“ und „I love you“, und die letzten einsamen Herzen klammern sich an ihren Biergläsern fest, drücken ein paar Tränen raus und gehen dann irgendwann nach Hause oder werden von ihren Kumpels an der Eingangstür abgestellt.

Die Band hat längst aufgehört zu spielen, alle sind schon weg, nur noch ein paar ganz schrecklich frisch verliebte Päarchen sitzen am Kanalufer, halten Händchen und gucken in den Mond, flüstern sich ins Ohr und merken gar nicht, wie blöde romantisch das ist...

So hätte es vielleicht sein können, dummerweise spielte die „Band of Holy Joy“ im Loft, aber immerhin ein paar Leutchen fingen an zu tanzen, das müssen welche von der Horde Engländer gewesen sein, denen das Bier aber ganz sicher zu teuer war, als daß sie sich ganz heimisch hätten fühlen können.

Thomas Winkler

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