Flirt mit der Sprache

■ Ken Russels „Salomes letzter Tanz“

Sex ist das Theater der Armen“, sagt Oscar Wilde und räkelt sich auf dem Divan. Dann gibt er sich dem Theater hin. Er ist in einem Hurenhaus und die Freunde spielen ihm zu Ehren sein verbotenes Drama Salome.

Wir aber sind im Kino und für uns führt Ken Russel Regie. Er faßt Salome in den Rahmen, der durch Oscars Auftritt und Abgang bestimmt ist. Der eitle Poseur und häßliche Ästhet wird am Ende verhaftet wegen homosexueller Aktivitäten. Das Theater allein befriedigt seine Sinneslust nicht - wegen seiner Sexualität, dieses Armentheaters, zerstört die viktorianische Gesellschaft seine Existenz. Und dazwischen das Stück: erotische Phantasie, Sexersatz, Sublimierung und schwülstig exotisches Liebesdrama. Kann die Liebe Sünde sein? Sie muß es sogar. Sonst verkommt sie zum Familienleben, und das ist bekanntlich das Grab jeder Leidenschaft.

Das Bemühen, dieser Falle zu entkommen, zeigten die verschiedensten Moden. Im 19.Jahrhundert erhitzte der liebende Gatte und treusorgende Vater seine in Anständigkeit erlahmten Sinne gern durch opulente Phantasien über den Verkehr mit unreinen, bösen oder gar männermordenden Frauen. Ob Swinburns Cleopatra, Flauberts Kurtisane Marie oder Merimees Carmen, jede schöne Blume war böse. Wildes Salome ist ein Prachtexemplar dieser Sammlung. Sie verlangt nach dem Kopf Johannes‘ des Täufers, weil er, den sie begehrt, sie zurückweist. Sie bekommt ihn auf dem Silbertablett zum Kuß gereicht, im Tausch gegen einen erotischen Tanz.

Fast 100 Jahre später jagt das keinem mehr erotische Schauer über irgendwelche Körperteile. Auch die Perversionen sehen heute anders aus, so sehr, daß man dem Trauerspiel Wildes heute nachsagt, es sei unfreiwillig komisch.

Von diesem Ruch befreit Ken Russel das Stück. Salomes letzter Tanz ist von vornherein eine Komödie. Durch die Kunst der Schauspieler zuerst: Ein Gähnen Glenda Jacksons (als Herodias) ist komischer als alles, was man auf deutschen Bühnen und Leinwänden an Lustigem veranstaltet. Ob Mißmut, Lüsternheit oder Langeweile, Glenda Jackson spielt es mit einer jugendstiligen Eleganz, die sie im nächsten Augenblick für kaum merkbare Sekunden in Volkstheaterderbheit umkippen läßt. Mit verschmitztem Lächeln mimt sie Porzellanfigurenposen. Dekadent und verkommen sind hier alle, aber die Schauspieler spielen den Abstand zu den Personen mit, nie sind sie ganz mit jenen identisch. Das macht die Ironie. Dank der wunderbaren Schauspieler kann Russel es vermeiden, sich über seinen Gegenstand lustig zu machen. Er nimmt ihn nur nicht ernst. Er läßt dem Stück den parfümierten Wohlklang der Wildeschen Sprache, atemberaubend handhaben die Schauspieler diesen Flirt mit der Sprache (unbedingt die Originalfassung ansehen!).

Dann gibt es noch den Zuckerguß der überquellenden Bildphantasie des Siebziger-Jahre-Libertins, mit der Ken Russel seine Schöpfungen überzieht, so wie Barockarchitekten jede Kirche, die sie finden konnten, mit einer Barockfassade schmückten: Der Täufer wird in einem Käfig gefangen gehalten und von spärlich lederbekleideten Amazonen gefoltert. Sein Transportmittel in die Verließe ist der Speiseaufzug, über den auch sein Kopf wieder nach oben befördert wird. Was Salome dann damit macht, gehört zu den Highlights der Russelschen Erfindungen, und das heißt gleichzeitig des schlechten Geschmacks. Das nämlich ist Russels größte Sünde, und die hat er zu wahrer Meisterschaft entwickelt. Hier treffen sich die beiden Bürgerschrecks Oscar und Ken: Auch Wilde liebte den Affront gegen das Schöne und Gute, Hohe und Heilige seiner Zeitgenossen.

Gunter Göckenjan

Ken Russel: Salomes letzter Tanz, mit Glenda Jackson, Imogen Millais-Scott, Stratford Johns, GB 1988, 92 Min.