Bonn vor dem nächsten Exportskandal

Hinweise auf illegale Rüstungsexporte bundesdeutscher Firmen verdichten sich / Ist MBB an dem Bau einer Mittelstreckerakete für den Irak beteiligt? / USA und Israel machen erneut Druck auf Bonn / Verteidigungsminsiter Scholz im Erklärungsnotstand  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Für den zuständigen Sachbearbeiter im Auswärtigen Amt ist das Thema eigentlich ein Non-Thema. Illegale Rüstungslieferungen des noch mehrheitlich im Bundesbesitz befindlichen Rüstungskonzerns Messerschmitt -Bölkow-Blohm (MBB) an das Terrorregime im Irak - dafür ist das Auswärtige Amt doch gar nicht zuständig. Nach längerem Zögern räumt Herr Wunderlich zwar ein, daß amtsintern an die zuständige Staatsanwaltschaft in München eine Stellungnahme des AA rausgegangen sei. Doch diese Stellungnahme berühre ausschließlich die Frage, inwieweit durch das fragliche Geschäft auswärtige Belange der BRD tangiert sein könnten. Das dies zweifellos der Fall wäre, mag Herr Wunderlich zwar nicht ausdrücklich bestätigen, doch daß sowohl Washington als auch die israelische Regierung wegen der Geschichte bereits mehrmals in Bonn auf der Matte standen, bestreitet er nicht.

Erste Hinweise in der Öffentlichkeit brachte der 'Stern‘ Ende vergangenen Jahres. Baut das Bagdader Regime mit bundesdeutscher Hilfe eine Mittelstreckenrakete, die in der Lage ist, sowohl Chemie- als auch Atomsprengköpfe bis nach Israel zu transportieren, fragte das Magazin und legte gleich massives Belastungsmaterial auf den Tisch. Anfang der 80er Jahre begann Argentinien unter tätiger Mithilfe des Rüstungskonzerns MBB mit der Entwicklung einer Rakete, die angeblich dazu dienen sollte, Wettersatelliten zu befördern. Nach Berichten argentinischer Zeitungen wird seit nunmehr vier Jahren in der Nähe der Provinzstadt Cordaba in einer hochmodernen Anlage intensiv an der Rakete gearbeitet. Sowohl die Briten als auch der amerikanische Geheimdienst müssen relativ bald zu der Auffassung gekommen sein, das vermeintlich zivile Projekt diene tatsächlich militärischen Zwecken. Vor allem seit dem Krieg um die Falklands/Malvinas fürchtet London, die Rakete solle dazu dienen, die Insel vom Festland aus beschießen zu können. Nach Interventionen hinter den Kulissen behauptet zumindest die MBB -Geschäftsführung, das Unternehmen hätte sich '85 aus dem Projekt zurückgezogen.

Seitdem gibt es zwei parallel verlaufende Spuren, über deren Zusammenhänge noch keine endgültige Klarheit besteht. Zum einen arbeitete Argentinien an dem Projekt unverdrossen weiter und präsentierte auf der Pariser Luftfahrtshow 1985 eine Vielzweckrakete unter der Bezeichnung Condor 1a. Darüber hinaus lief in einer Koproduktion zwischen Argentinien und Ägypten die Entwicklung des Folgetyps Condor 2 an. Nach dem offiziellen Ausstieg von MBB in Argentinien trennten sich „zufällig“ mehrere hochrangige Ingenieure von dem Konzern - unter ihnen der Chef der für Lenkwaffen zuständigen Abteilung, Hammer - um in der Schweiz eine Consulting-Firma zu gründen, die nach Insider-Informationen beim Raketenbau in Argentinien weiter mitmischt. Anscheinend erfolgten die Kündigungen in bestem Einvernehmen, denn die Kontakte zwischen den Aussteigern und dem Konzern müssen weiterhin bestens gewesen sein, wie die MBB Geschäftsführung indirekt selbst einräumt. Just nach dem Ausstieg in Argentinien erhielt MBB jedenfalls einen höchst lukrativen Anschlußauftrag aus dem Irak. Zwecks Einrichtung einer größeren Forschungsstätte der Universität Mosul, läßt Bagdad seit '85 von österreichischen und deutschen Firmen ein riesiges Areal ausbauen, das streng militärisch bewacht wird.

Der irakische Auftrag für das SAAD-16 genannte Projekt ging an zwei Generalunternehmer: die Wiener Planungsfirma Consultco und die Bielefelder Gildemeister Projecta. Laut einem Vertragsdiagramm für SAAD-16, das die österreichische Zeitschrift 'Profil‘ veröffentlichte, ist die Consultco für die Errichtung der Gebäude und der dazugehörigen Infrastruktur zuständig, die technische Ausrüstung besorgt dagegen die Gildemeister Projecta. Deren wichtigster Unterauftragsnehmer: Messerschmitt-Bölkow-Blohm bzw. deren Tochterfirma Transtechnika. Offiziell liefert man technisches Gerät für meteorologische Forschung, tatsächlich ist der MBB-Geschäftsführung das Projekt wohl seit längerem nicht geheuer. Ehemalige Mitarbeiter an dem Projekt haben gegenüber 'Profil‘ ausgesagt, daß die gesamte Anlage zweifellos ein militärisches Projekt ist, daß es tatsächlich wohl darum geht, den Irakis ein schlüsselfertiges militärisches Entwicklungszentrum in die Wüste zu stellen. Dazu gehören Anlagen für die Raketenentwicklung. Israelische und amerikanische Geheimdienstquellen gehen deshalb davon aus, daß der Irak als Dritter im Bunde in die Entwicklung der argentinisch-ägyptischen Trägerrakete Condor 2 eingestiegen ist und die Ex-MBB-Ingenieure ihre Finger im Spiel haben.

Obwohl insgesamt drei Bundesländer gemeinsam die Aktienmehrheit bei MBB halten, und die Warnsignale befreundeter Regierungen schrillten, passierte bis Anfang dieses Jahres nichts. Nachdem die ersten Pressemeldungen heraus waren, präsentierte die Gildemeister Projecta eine sogenannte „Negativ-Bescheinigung“ des Bundesamtes für Gewerbliche Wirtschaft in Eschborn, das sämtliche Lieferungen der Firma in den Irak für unbedenklich erklärt. Auf diesen Persilschein beruft sich natürlich auch der Unterauftragnehmer MBB. Zwar nahm sich die Bielefelder Staatsanwaltschaft der Sache an, doch die Mühlen der Justiz mahlen bei lukrativen Exportgeschäften immer besonders langsam. Ende letzter Woche holte dann auch die bayerische Staatsanwaltschaft zu einem ersten Schlag aus, nachdem eine Betriebsprüfung der Oberfinanzdirektion bei einer oberbayerischen Beratungsfirma „Verdachtsmomente für illegale Ausfuhr von Technologie und Teilen zur Produktion“ ergeben habe. Mehrere Firmen wurden durchsucht und umfangreiches Schriftmaterial sichergestellt. Mittlerweile pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß eine der durchsuchten Firmen die MBB-Tochter Transtechnica ist. Trotzdem rührte sich auf dem Bonner Parkett immer noch nichts, bis es jetzt Rüstungsminister Scholz kalt erwischte. Zufall oder gezieltes Timing - just einen Tag, nachdem Scholz zu mehrtägigen Beratungen in Israel eingetroffen war, stellte die Londoner BBC am Montag abend in einem Enthüllungsbericht die MBB-Irak-Connection an den Pranger. Die israelische Presse griff das Thema dankbar auf und schon sah sich Scholz mit höchst unangenehmen Fragen konfrontiert.

BBC hatte unter anderem den israelischen Generalstabschef Ehud Barak vor die Kamera bekommen, der behauptete, für jeden westlichen Geheimdienst sei es ein leichtes, zu beweisen, daß MBB das technische Know-how für eine irakische Mittelstreckenrakete liefere, mit der Israel erreicht werden könne. Gegenüber dem israelischen Außenminister Mosche Arens geriet Scholz daraufhin in Erklärungsnotstand: Er kenne die Einzelheiten dieses Geschäfts nicht, doch die Bundesregierung tue alles mögliche, um die Beteiligung deutscher Firmen an dem Projekt im Irak zu stoppen. Angeblich seien auch strengere Vorschriften für den Export von Raketentechnik in Arbeit. Eine indirekte Antwort auf diese Beteuerungen hatte in dem BBC-Film bereits der frühere Pentagon-Direktor Steve Bryen erteilt: Eine Verhinderung solcher Deals, so Bryen, ist ausschließlich eine Frage des politischen Willens. „Ich habe keinerlei Zweifel daran, daß, wenn die Bundesregierung MBB erklären würde, sie wolle nicht, daß Raketentechnologie an Argentinien, Ägypten oder sonstwen verkauft würde, dann würden die sie nicht verkaufen.“ Zumindestens bei einem staatseigenen Konzern darf man wohl davon ausgehen.