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Angst vorm schwarzen Mann

■ Ein Stück über die Pest verschlägt seinen begeisterten Zuschauern den Applaus Historische Spiegelbilder schaffen Schärfe durch Ferne / Theatervorführung im Schlachthof

Finstere Zeiten liegen hinter uns, finstere Zeiten, lange zurück, im Mittelalter, an der Zeitenwende zu dem, was man Neuzeit nennt, finstere Zeiten, 14., 15. 16. Jahrhundert, als mit der Pest eine Seuche hauste unter den Mitteleuropäern, hart, kalt und unbegreiflich und als mutige Männer (Frauen wußten schon mehr, das konnten wir Männer nicht begreifen und stellten sie deshalb auf Scheiterhaufen, aber das ist ein anderes Thema) sich daran machten, die Vorgänge in den menschlichen Körpern naturwissenschaftlich zu entschleiern und sie damit der Gottesebenbildlichkeit zu entreißen.

Es wurde gestorben damals, rasch und unerklärlich, aus heiterem Himmel und es wurde geängstigt. Angst, versetzt mit kleinen abstrusen Heils-und Schuldlehren, die besagen, mir passiert das nicht, weil... und die helfen sollen zu verdrängen, daß jede/r einzelne gleich bedroht ist und daß die Todesdrohung ein Grund ist, das gelebte Leben zu bilanzieren. Finstere Zeiten, doch so weit entfernt nun auch wieder nicht.

Das „Institut für plötzliche Be

wegung“ hat sich mit dem Stück „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ die Zeit der großen Pest in Mitteleuropa zum Spiegel unserer heutigen genommen, der die Erscheinungen dieser Tage, durch den historischen Schleier verschärft, wiedergibt. Sie rekonstruieren Parallelen zwischen jener und unserer gesellschaftlichen Umbruchszeit, in der eine tödliche Krankheit die Gemüter bewegt und damals wie heute zu panischen Reaktionen verleitet.

Ihre lose Szenenfolge führt uns durch die verschiedenen Deformationen der Alltäglichkeit, die von der Weigerung vieler Menschen, sich mit der Möglichkeit ihres Todes auseinanderzusetzen, ausgeht. Im furiosen Bilderreigen sehen wir, was wir kennen: die Suche nach Minderheiten zum Schuldigsprechen, das Nichtwahrhabenwollen der eigenen Gefährdung, die plötzliche Würde derer, die am Leben nicht viel zu verlieren haben, wir sehen den Verfall der persönlichen Beziehungen, das Festklammern an den materiellen Werten als Garanten für die eigene Sicherheit, die Selbstisolation als Lebensret

tungsanker, den Verzicht auf Leben aus Angst vor dem Tod.

In einem genial einfachen Bühnenbild aus leichten Stoffbahnen, die, je nach Beleuchtung, auch die Blicke passieren lassen, bewegen sich die sieben SchauspielerInnen durch ihr Panoptikum der verwandten Jahrhunderte. Sie schlüpfen in die ca. zwanzig verschiedenen Rollen, die sie von Anfang bis Ende präsent füllen, es geht hier auch nicht um realistische Charakterdarstellung, sondern um eine Collage von Eigentümlichkeiten, die um das Thema 'unbewältigte Angst‘ kreisen. Es geht um eine Expressivität, die das starre Sprechtheater zu inszenieren nicht in der Lage wäre. Aus der Spannung der einfachen Ausstattung und der beweglichen Schauspielerführung entsteht dabei eine Intensität, die, zuguterletzt dem Publikum so den Atem verschlägt, daß es starr verharrt und nicht einmal seine Applauspflicht erfüllt, bis die Schauspieler selbst auf die Bühne zurückkehren, um sich den verdienten Applaus zu holen. Den gibt man ihnen gern. ste

Schlachthof bis So. 20.30 Uhr

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