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Seinen Coca Cola

■ Karl Corinos Sammlung von Texten zum Thema „Genie und Geld. Vom Auskommen deutscher Schriftsteller“

Christoph Behnke

Ein Dichterschicksal: Robert Musil veröffentlicht 1930 nach jahrzehntelangen Vorarbeiten seinen Mann ohne Eigenschaften bei Rowohlt. Er bekommt hymnische Kritiken, verkauft werden gerade 1.000 Exemplare. „Ich besitze in einem völlig absoluten Sinn kein Geld“, resümiert Musil seine Lage. Die Not ging schließlich so weit, daß er seinem Verleger Rowohlt drohte, sich zu erschießen, wenn dieser ihm kein weiteres Geld gäbe. In seiner Armut allerdings suchte er bis zum Schluß großbürgerlichen Stil zu wahren: Als er im Schweizer Exil längst zum bloßen Almosenempfänger geworden war, verzichtete er keineswegs darauf, einen Dienstboten zu halten. Ertragreich wurden Musils Werke zu seinen Lebzeiten nie. Mit manch anderem Dichter teilt er das Schicksal, erst nach dem Tod entdeckt worden zu sein.

Gern wird ein solches Dichterschicksal zurückgeführt auf das Unvermögen des Publikums, den Genius rechtzeitig zu erkennen. Selten aber wird zu ergründen gesucht, welche Motive den Dichter veranlassen, solch ruinöse finanzielle Verhältnisse auf sich zu nehmen. Daß es sich hierbei um ein äußerst spannendes Thema handelt, kann man einem jüngst von Karl Corino herausgegebenen Sammelband mit dem Titel Genie und Geld entnehmen. Das Thema ist übrigens auch in anderer Hinsicht aktuell: Vor einigen Monaten schlug das Ensemble des traditionsreichen Hamburger Thalia Theaters eine sponsorship des Rüstungskonzerns MBB aus. Am Ende meldete sich ein Mäzen alten Stils zurück: Rudolf Augstein übernahm sichtlich amüsiert einen Teil der von MBB in Aussicht gestellten Summe. Zwar mag das Geld eines Rüstungskonzerns politisch brisant sein; die Aversion gegen solche Geschäfte aber sitzt tiefer: Den Künstler wünscht man mit dem schnöden Mammon nicht in Verbindung zu bringen - er soll aus anderen Sphären berichten. Und nun der aufdringliche Sponsor! Notgedrungen wird der Künstler als Geschäftsmann vorgeführt

-schamvoll wendet sich das Publikum ab. Wie aber hält der Künstler es mit dem Geld?

Insgesamt 32 Autoren hat Karl Corino aufgeboten, um deutsche Dichterschicksale vorzuführen, die disparater nicht sein könnten. Aber gerade das macht den Reiz des Buches aus, daß nach der Lektüre weder Spitzwegs Version vom armen Poeten noch der Dichter als verhätschelter Liebling vorzugsweise des weiblichen Adels bestätigt wird. Um es jedoch gleich vorweg zu nehmen: Das Buch verwöhnt seine Leser nicht mit Erklärungen. Einzig Sigmund Freud - der überraschenderweise auch zu dem vorgestellten Personenkreis gehört (hat doch ganz wackere Prosa gebaut, d.S.) bietet so etwas wie ein theoretisches Modell an; ihn interessiert, warum Geld im Sprachgebrauch so häufig sich in Dreck verwandelt, davon wird noch zu berichten sein.

Doch Erklärungen, Theorien haben bekanntlich auch den Nachteil, unseren Wahrnehmungshorizont zu verengen. Bedenkt man, wie tabuisiert des Künstlers Portemonnaie fürs Publikum bisher war, so ist die Form, in der Karl Corino das Thema dem Publikum serviert, aufs beste gelungen: ein riesiges Büffet, eine Fülle von Material, es steht im Ermessen des Lesers, wie er seine Entdeckungsreise gestaltet. Als durchaus legitim erweist sich in diesem Fall auch die Tatsache, daß die Beiträge ursprünglich für den Rundfunk angefertigt wurden. Sie sind unterhaltsam geschrieben und können getrost als leichte Kost verzehrt werden, da es dem Herausgeber und seinen Autoren nicht um Theorie-Bildung zu tun war.

Uwe Pörksen berichtet, daß die Poeten des Mittelalters „im Hinblick auf die niedere Wirklichkeit daher(kommen) wie die Elefantenprozession Salvador Dalis - auf Spinnenbeinen nämlich“. Doch man hüte sich davor, mitleidig und ehrfürchtig die Weltfremdheit Walther von der Vogelweides oder Oskar von Wolkensteins zu bewundern; sie wußten sehr wohl, warum ihre Gesänge sich nicht ums Geld drehten: Geld war der Inbegriff dessen, was die nichtadligen Niemande auszeichnete, die keine „höheren Werte“ kannten. Um an den Tischen der oberen Schichten speisen zu können, war es für die Sänger unumgänglich, deren Habitus anzunehmen. Noch zu Zeiten von Grimmelshausen - so Herbert Heckmann - hatte dies zur Folge, daß eine Entlohnung der Dichter nicht in Aussicht genommen werden konnte, weil man dies als unfein und entwürdigend empfand. Schließlich hätte man die Dichter wie Kutscher oder Köche behandelt; dies konnte auch den Herren Künstlern nicht recht sein. Statt dessen bedachte man sie mit Ehrengeschenken - von Pelzmützen bis hin zu stattlichen Geldsummen. Bekannt aus dieser Zeit ist auch die Technik der Dedikation: Man erwartete, daß der geehrte Fürst sich erkenntlich zeigen möge - vor allem durch den Ankauf einer größeren Anzahl von Widmungsexemplaren. Bedingung solchen Handels: Der Dichter durfte kein Unbekannter sein, der Geldbeutel des Fürsten mußte gefüllt sein. Nicht jeder Dichter mochte diese Lobhudelei mitmachen, Johann C.Günther etwa weigerte sich, „in Demutsformeln zu zerfließen“, und zog es vor, sein Geld mit Leichengedichten zu verdienen, Gedichten, die zum Begräbnis verteilt wurden.

Mit dem Verlagswesen eröffnete sich für die Poeten eine Einnahmequelle unabhängig vom Landesfürst. Aber noch Klopstock - von Helmut Pape vorgestellt - mußte erleben, daß sein Messias, der zunächst in einer Zeitschrift abgedruckt worden war, später in Buchform von Verlagen herausgegeben, ihm keinen Pfennig Honorar einbrachte. Doch Klopstock hielt nichts vom Leben als armer Poet. Er ging eine Verbindung ein, die auch manchem unserer zeitgenössischen Dichter gut stehen würde: „Der Züricher Kaufmann Hartmann Rahn bietet dem (...) Dichter eine fünfzigprozentige Beteiligung an einer Textilfirma an. Klopstock soll dabei die Rolle eines beratenden Mitarbeiters spielen - und greift zu!“

So mancher spätere Dichterfürst beginnt seine schriftstellerische Karriere in bitterster Armut. Ernst Peter Wieckenberg berichtet von Karl Philipp Moritz alias Anton Reiser, daß sein Stolz es ihm verbat, beim Vetter „Freitisch“ zu genießen - mit Hilfe eines Kunstgriffs gelang es ihm doch, „sich vom Verhungern zu retten, er bat sich nämlich für einen Hund, den er bei sich zu Hause zu haben vorgab, von seinem Vetter die harte Kruste von dem Teig aus, worin das Haar zu den Perücken gebacken wurde“.

Jean Paul (Asta-Maria Bachmann und Uwe Schweikert), der über Jahre nur Unverkäufliches schrieb, mußte im November 1784 mit falschem Paß und verkleidet fluchtartig Leipzig verlassen, nachdem seine Schulden solche Ausmaße angenommen hatten, daß ein anderer Ausweg nicht blieb.

E.T.A.Hoffmann (Eckart Kleßmann), von dem Freunde über seine frühe Berliner Zeit berichten: „Was immer er begann, es schlug ihm fehl“, schreibt an einen Jugendfreund einen Brief mit Formulierungen, die so mancher Poet zur Anwendung gebracht haben dürfte: „Wäre es Dir wohl möglich, im Fall daß Du eine bedeutende Summe reponiert habest, mir noch 200 Taler zu borgen? (...) Mein Freund! Verkenne mich Unglücklichen nicht!“

Von Hebbel (Hayo Matthiesen) hören wir, daß er mit 30 Jahren existentiell und materiell wieder an jenem Abgrund stand, „den er aus seiner Jugend mit Schrecken erinnerte“. Doch Hebbel widerfährt ein Wunder. Zwei Gutsherren, Julius und Wilhelm Zerboni di Sposetti, tauchen aus dem Nichts auf und ermöglichen Hebbel ein zwangloses Leben. Und so wie sich im Leben Hebbels schließlich doch noch alles zum Guten wendet, geht es auch anderen Poeten. Karl Philipp Moritz bekommt schließlich eine Lehrerstelle, Jean Paul wird schlagartig berühmt, „wie ein plötzlich am Himmel erleuchteter Meteor“, und auch E.T.A.Hoffmann bringt es auf ansehnliche Einkünfte, sie landen allerdings in einer Weinstube, wo er teuerste Weine ordert.

Halten wir fest: Einen Dichter entlohnt man nicht, er wird beschenkt, noch deutlicher: man sorgt für ihn. Ihm steht ein Honorar zu (wörtlich: Ehrengeschenk), dessen Höhe sich an seiner Berühmtheit mißt. Das ist bis heute wichtig geblieben. Am künstlerischen Produkt muß erkennbar sein, daß es anders auf die Welt gekommen ist als ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Der Dichter setzt seine Schätze in die Welt und bleibt immer darauf angewiesen, daß jemand sie finden möge. Mit Freud könnte man seine Lage vergleichen mit derjenigen des Kleinkindes, welches auf dem Topf sitzt. Spielerisch und mit Allmachtsphantasien ausgestattet, verteilt der kleine Tyrann seine Geschenke. Doch wehe, wenn niemand hinschaut! Das ist die Lage des armen Poeten, der unentwegt literarische Schätze „in die Welt setzt“, seiner eigenen Versorgung aber hilflos gegenüber steht. Nicht nur die gebührende Anerkennung ist ihm versagt, auch die selbstverständliche Versorgung der Erwachsenenwelt bleibt aus.

Das Publikum andererseits weiß diese besonderen Arbeitsbedingungen des Künstlers zu schätzen. Nichts ist anziehender als die Vorstellung, bedingungslos versorgt zu werden und dabei nach eigenem Gutdünken produzieren zu können. Kaum jemand wird sich dem Reiz solcher Existenzweise entziehen können. Oft genug ist deshalb der Künstler zu einer mythischen Figur überhöht worden, und die großen Worte über die Autonomie der Kunst erinnern immer auch ein wenig an die Allmachtsphantasien des Kleinkindes auf dem Topf.

Der Künstler hat die ihm entgegengebrachte Verehrung gern zur Kenntnis genommen: „Was die Menschen unter den anderen Bildungen der Erde, das sind die Künstler unter den Menschen (...). Sie sind Brahmanen einer anderen Kaste, aber nicht durch Geburt, sondern durch freie Selbsteinwirkung geadelt“, so formuliert Schlegel das Selbstverständnis des Künstlers.

Dieses Elitedenken hat so manchen Künstler von vornherein davor bewahrt, in Armut zu geraten. Da seine Tätigkeit buchstäblich unbezahlbar ist, kann er auch logisch schlußfolgern: „Denn wozu sollte ich Geld brauchen“, so jedenfalls fragt Ludwig Tieck (Wulf Segebrecht). Für ihn war es selbstverständlich, daß Leute, die Geld hatten, ihm Geld gaben. Er besaß eine kostbare Bibliothek von 16.000 Bänden, eine luxuriöse Wohnung, aß Austern und Spargel - ohne einen Pfennig Geld. Caroline Schelling über Tieck: „Die Lage der Dinge ist stadtkundig, aber ihre noble Fassung dabei unerschütterlich.“

Längst nachdem das Bürgertum die Autonomie der Kunst proklamiert hat, bewegen die Dichter sich weiter in Formen höfischen Mäzenatentums. Rilke (Claudia Guderian) hat nie von den Erträgen seiner Lyrik leben können, geschweige denn mit dem Gedanken gespielt, dies zu versuchen. Er lebte von Zuwendungen vorwiegend aus Adelskreisen, insbesondere das weibliche Geschlecht fühlte sich berufen, ihn zu versorgen wie überhaupt eine Geschichte des weiblichen Mäzenatentums recht ertragreich sein dürfte.

Von Heinrich Heine (Stephan Reinhardt) sind die Auseinandersetzungen um Geld mit seinem Onkel Salomon bekannt. Um Geld zu bekommen, drohte Heine immer wieder, ein Enthüllungsbuch über den reichen Hamburger Bankier zu schreiben. Erstaunt muß man zur Kenntnis nehmen, daß Heine sich wohl manchmal in Geldnöten befand, sie aber noch öfter fingierte, „um seine Kreditgeber willig zu stimmen (...). Das Genie Heine ließ wissen, welche Werteordnung zu gelten habe.“

Brecht (Leopold Schuwerack) schrieb Gebrauchslyrik für eine Auto-Firma („singende Steyr-Wagen“), um dafür ein Cabriolet geschenkt zu bekommen...

Natürlich liest man diese Geschichten nicht, ohne einem gewissen Voyeurismus anheimzufallen; doch mag man sich damit trösten, daß die Dichter in ihren Werken an eben dieses Gefühl in uns appellieren, um Spannung zu erzeugen. Unabhängig von diesem Bann, durch den jede einzelne Geschichte zu betören vermag, bleibt die bemerkenswerte Tatsache zu konstatieren, daß wohl keine Berufsgruppe existiert, die sich ein solch unsicheres Zahlungssystem über Jahrhunderte geleistet hätte. Die Gründe dafür müssen erst noch zusammengetragen werden. Soviel aber läßt sich schon jetzt feststellen: So ungerecht mancher Dichter behandelt worden sein mag, es scheint eine innere Übereinstimmung des Poeten mit eben der Art von Bezahlung zu geben, die ihm am liebsten, aber auch nicht gerade oft gewährt wird: bedingungslose Versorgung. Die erzählten Geschichten zeigen: Ist dem Dichter die Anerkennung verwehrt, gelingt es ihm oft nicht, auch nur notdürftig sich selbst - geschweige denn eine Familie - zu ernähren, obwohl seine Fähigkeiten dies in der Regel zuließen. Gelingt es ihm dagegen, berühmt zu werden, ist so manche Zuwendung selbstverständlich. Man versteht nun die Prüderie des Publikums, wenn es den Geldsegen eines Sponsors zur Kenntnis nehmen soll. Der Sponsor erwartet konkrete Gegenleistungen, ist eben nicht der freundliche Versorger. Da aber nicht nur die Werke der Dichter verehrt werden, sondern auch und gerade die Bedingungen, unter denen sie zustandekommen (Autonomie der Kunst!), wünschen wir den Dichter vorbehaltlos versorgt. Womöglich klagen wir an dieser Stelle immerhin auch ein Stück unserer eigenen, längst begrabenen Versorgungswünsche ein. Wenn man so will, ist dies das ewig wiederkehrende Thema ästhetischer Theorie: daß die Dichter den utopischen Raum jenseits der Zwänge der Selbsterhaltung betreten und dies doch nur auf Kosten der Gesellschaft tun können. Erstaunlich genug jedoch, dies in solch sinnlicher Präsenz nicht an ihren Werken, sondern an ihrer Lebenswelt vorgeführt zu bekommen.

Man wird nicht umhin können, die Rolle des Dichters zu überdenken, wenn es ihn als den der Utopie wegen zu Versorgenden überhaupt noch gibt. Arno Schmidt jedenfalls war noch ein solcher. „In Pocahontas erinnert sich der reichere Freund des armen Schriftstellers: 'Was haste damals immer gesagt?: Es ist unnatürlich, daß ein Dichter seinen Coca Cola bezahlen soll.'“ Einverstanden.

Hrsg. von Karl Corino: Genie und Geld. Vom Auskommen deutscher Schriftsteller, Krater Bibliothek, Nördlingen (Greno Verlag) 1987, 48 Mark

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