: „Eine andere Auseinandersetzung - die Fragen sind jetzt andere“
Ein Brief von Eva Haule, Gefangene aus der RAF und inhaftiert in Stammheim, datiert vom 16.März ■ D O K U M E N T A T I O N
Ich will das mal sagen, was ich mir unter der „großen politischen Auseinandersetzung“ alles vorstelle. Zu den vielen Fragen, die es an uns gibt und woraus sie kommen.
Ich bin sicher, daß ein wichtiges Moment darin mit dem „emotional folgen können“ zu tun hat, von dem ich in der ersten Prozeßerklärung geredet habe. Die Unterdrückten müssen denen, die revolutionäre Politik machen, emotional folgen können - das ist das „Herz“ der ganzen Beziehung zwischen Guerilla und den Menschen im Widerstand für den revolutionären Prozeß. Das steht für mich ganz oben, es ist 'ne politische Qualität, und sie zu entwickeln hat 'ne große Bedeutung für die ganze Verständigung, den dialektischen Prozeß nicht nur innerhalb der revolutionären Bewegung, sondern weit über sie raus.
Mir fiel dazu ein, was ich von draußen noch kenne, zum Beispiel die Auseinandersetzungen um den GI (Pimental, d. Red.) oder die Aktion gegen Zimmermann - und zwar mit Leuten, die nicht feindlich gegen uns waren. Von ihnen waren das Fragen, die aus dem genauen Gefühl kamen, daß die Guerilla anders denkt, „fühlt“, sich anders bestimmt in der Konfrontation und ihnen da was fremd ist. Das andere waren Diskussionen, in denen es darum ging, politisch genauer zu verstehen, wie die Strukturen im System sich verändert haben, die Funktion der technokratischen Elite et cetera... Es war ein genaueres Verstehenwollen, als es für sie aus der Erklärung zu Zimmermann möglich war, und sie wollten von uns mehr und anders wissen, wie wir unsere Politik und Praxis bestimmen. Und dann Fragen dazu - die sind ja schwer zu beantworten, aber das hat viele beschäftigt und ich will lernen, darüber zu reden - wie das eigentlich ist für eine Gruppe, wenn sie (wie es lange war) praktisch total alleine hier revolutionäre Politik macht. Welche Schwierigkeiten daraus entstehen, subjektiv und politisch, und wie wir das überhaupt gemacht haben. Wozu auch das gehört, was Stefan sagt: der Gewaltmarsch gegen die staatsloyale Linke in den 70ern. Es ist auch klar, daß es sehr kritische Fragen gibt für mich ist aber der Punkt, von wem und aus welcher Motivation sie kommen.
Ich würde zum Beispiel mit denen, die er gesprochen hat, sofort auch offen über unsere Fehler reden. Das hört sich vielleicht irre an, aber ich hab‘ kaum mal bessere Diskussionen erlebt als genau solche. Da hat am Ende jeder mehr gewußt, und nicht nur im Hirn. Das waren oft viel politischere Auseinandersetzungen als mit Leuten, die nur mit Formeln hantieren und sowieso alles fressen, was du ihnen erzählst.
Wir haben das lange so gesehen, daß wir (selbst-) kritisch über unsere Fehler nur „intern“ reden - also unter uns und mit Genossen hier und woanders, die ganz klar auf der Seite des revolutionären Projekts stehen. Das ist auch logisch wenn man sich „die Linke“ in den 70ern und teilweise noch in den 80ern hier vor Augen führt. Was gehen die unsere Fehler an und was wir dazu denken, wenn sie sowieso nur ihr Süppchen gegen den Kampf kochen. Aber das ist heute anders.
Was auch oft kam: Daß Leute gern unsere Texte/Erklärungen besser verstanden hätten, aber mit diesen Bröckchen einfach nicht klargekommen sind. Dann haben wir drüber geredet, warum das schwer ist und gleich weiter. (...) Jedenfalls ist mir beim Nachdenken noch mal so klar geworden, welche Berge wichtiger Erfahrungen es aus den ganzen Jahren gibt. Für alles jetzt. Und sicher ist, daß das von mir und uns allen anders angepackt werden muß als früher, sie zu vermitteln und überhaupt von uns zu reden. Eben - es ist eine völlig andere Auseinandersetzung als mit der „Linken“ bisher und als die nur mit der antiimperialistischen/autonomen Szene bis Mitte der 80er.
Das stimmt wirklich in einem umfassenden Sinn, daß die ganze Phase der Kämpfe seit '80 vor zwei bis drei Jahren abgeschlossen war und etwas Neues angefangen hat. Jetzt wird - und muß auch - alles auf einer neuen Grundlage weitergehen, und es wäre total viel verschenkt, wenn diese wichtigsten Erfahrungen, die in den letzten 20 Jahren im revolutionären Kampf hier gemacht wurden, nicht offen in die Diskussion gebracht würden. Na, einfach: Es sind die reichsten Erfahrungen. Aus allem, auch aus den Fehlern, ist viel zu lernen, und eine sich neu entwickelnde revolutionäre Bewegung braucht ein Bewußtsein davon, sonst hängt sie geschichtslos, bodenlos in der Luft.
Außerdem hab‘ ich wieder gesehen, wie sehr wahr das ist: aus den Fehlern lernen, sich weiterbringen - so läuft's. Unsere Geschichte. Also so will ich das jetzt auch: unsere Erfahrungen offen in die Auseinandersetzung bringen und offen sein für alle ernsten Fragen - egal, wie kritisch sie sind. Das ist auch ganz klar ein Stück für den Aneignungsprozeß, um selbständig revolutionäre Politik entwickeln zu können.
Ein Punkt in dem Ganzen ist, zu dieser „Linken“, zu bestimmten Kreisen und Personen aus ihr und was sie die ganze Zeit getrieben haben etwas Klares zu sagen. (...) Aber noch weiter. Es geht um sehr viele grundsätzliche und konkrete Fragen jetzt - das bedeutet auch, es ist ein enorm großer offener Bereich der Diskussion. Das kann also niemals so laufen, daß man sich „Standpunkte“ entgegenhält, abtötende ideologische Debatten führt oder sich gegenseitig volles Rohr den Kurs um die Ohren haut, den die jeweilige politische Gruppe/Tendenz entwickelt hat... Da geht's erst mal ganz viel um sich verstehen, aufnehmen, sich wiederfinden - und das ist für alle so, die jetzt Teil dieser politischen Diskussion sein wollen. So seh‘ ich das. Und wenn ich überlege: Mit wem will ich diese große politische Auseinandersetzung? - Dann ist es so für mich: mit allen, die das aus ihrer existentiellen Erfahrung (subjektiv, moralisch, materiell... wie auch immer) spüren und begreifen, daß wirklich Schluß sein muß mit der Zerstörung im System und es dagegen darum geht, eine grundsätzlich andere, an den Menschen orientierte gesellschaftliche Realität durchzusetzen - in den einzelnen Kämpfen und über sie raus als Umwälzungsprozeß.
Dazu gehört noch was anderes. Ich hab‘ Geißler gerade geschrieben. Er sagt in seinem Buch oft: „Es geht“... Es ist möglich, hier anzugreifen, den revolutionären Kampf zu organisieren... Abgesehen davon, daß das konkret und für jeden einzelnen immer die wichtige Frage ist, ist es aber grundsätzlich politisch, was uns und den bewaffneten Angriff im Zentrum betrifft, heute nicht mehr die Frage. Wir wissen: es geht. Die Herrschenden haben es mit ihrem ganzen, historisch beispiellosen Repressionsapparat nicht geschafft, den revolutionären Faktor hier zu liquidieren - und sie werden es auch nicht mehr schaffen.
Das ist nach fast 20 Jahren klar - und das ist sehr viel, wenn man sich die gesamten Bedingungen in der Metropole BRD klarmacht. Die ganze Entwicklung ist heute weiter - und wir sind's auch. Die Fragen sind jetzt andere.
Die neu entstehende revolutionäre Bewegung kann aus dem Selbstbewußtsein kämpfen, daß sie immer alle Mittel hat (und braucht) für ihre Ziele. Daß das möglich ist, dafür hat unser Kampf in den ganzen Jahren mit die Grundlage geschaffen, und es ist jetzt immer „nur“ die Entscheidung, wie und wann - also mit welchen präzisen Bestimmungen im und für den Umwälzungsprozeß die Mittel eingesetzt werden. (...)
Es geht um neue Bestimmungen für den revolutionären Prozeß, für revolutionäre Politik auf allen Ebenen.
Das alles richtig einzuschätzen und zu bestimmen, brennt mir, uns allen total unter den Nägeln; es ist die Bedingung, um zu greifbaren Vorstellungen und politischen Bestimmungen für den Umwälzungsprozeß zu kommen; dafür, wie die Ziele des Kampfs real durchgesetzt werden können; und für Lösungen der vielen konkreten Fragen, die sich überall stellen.
Das geht nur zusammen! Dafür brauchen wir die Zusammenlegung und die große politische Auseinandersetzung und ich glaube, der Widerstand braucht beides genauso! Es wird ein Prozeß von Arbeit, Diskussion, Erfahrungen in der Konfrontation jetzt mit allen, die Teil des revolutionären Subjekts sein wollen oder schon sind; und drüberraus mit allen, die heute noch mit unterschiedlichen Zielen, aber auch für eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit kämpfen und deshalb die Diskussion wollen, so wie wir.
(Von der Redaktion gekürzte Fassung)
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