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Der Senatsrat und das Az1PJS390/89

Aufräumen beim Berliner Verfassungsschutz / Der neue Innensenator Pätzold mistet seinen Stall aus  ■  Aus Berlin Till Meyer

Voller Sorge blickt Springers 'Berliner Morgenpost‘ seit Wochen auf die Entwicklung im Berliner Landesamt für Verfassungsschutz. „Was bedeutet der politische Linksruck für die Mitarbeiter und - wichtiger - was hat die neue SPD/AL-Führung mit dieser Dienststelle und ihrem überaus sensiblen Auftrag in Zunkunft vor“, fragt sich das Springerblatt besorgt. Einige Absätze weiter läßt es einen „Insider“ sogleich die Antwort geben: „Es ist zu befürchten, daß der Verfassungsschutz insgesamt langsam aber sicher stark geschwächt wird. Die Alternative Liste und ihre linksextremistischen Gesinnungsgenossen hätten dann ihr Ziel doch noch erreicht. Chaoten und die RAF können sich die Hände reiben.“

Zum Händereiben gibt es allerdings überhaupt keinen Grund. Die Bereiche Spionage und Terrorismus bleiben von den Reformen ohnehin ausgespart. Allerdings soll die Arbeit des Amtes durch die Öffentlichkeit transparent und kontrollierbar gemacht werden. Der ausufernden Schnüffelpraxis soll fortan ein Riegel vorgeschoben, die Beobachtung „extremistischer Gruppen“ soll auf den „äußersten Randbereich“ reduziert werden.

Kaum im Amt, feuerte der neue Innensenator im Februar den bisherigen Verfassungsschutzchef Dieter Wagner. In der letzten Woche hat Pätzold gleich drei hohe Beamte des Landesamtes auf „verantwortungsvolle Posten in der Innenverwaltung“ weggelobt. „Wir können die ja nicht alle entlassen, wir können die nur versetzen“, stöhnt man bei der SPD. Die drei Kewenig-Vasallen saßen auf einflußreichen Posten: Der bisherige Personalchef des Verfassungsschutzes, Regierungsdirektor Martin M., die rechte Hand von Ex-CDU -Innensenator Kewenig, der Senatsrat Eike Lancelle, und der Leiter des „Referates Auswertung Politischer Extremismus“ Horst Bakker. Die hochdotierten Herren müssen jetzt zur Strafe die unter der CDU-Regierung betriebene und von ihnen mitfavorisierte konservative Umstrukturierung des Verfassungsschutzes wieder restrukturieren.

Möglicherweise muß der Innensenator aber bald auf einen der drei Versetzten ganz verzichten. Gegen den Senatsrat Horst Bakker läuft ein Ermittlungsverfahren „wegen Verdachts des Prozeßbetruges und Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung“ (Aktenzeichen: 1 P JS 390/89). Unterwegs ist auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Angezeigt hat den Senatsrat die taz, und das kam so: Ende 1987 deckte sie „die flächendeckende Bespitzelung der Alternativen Liste bis in die kleinsten Parteigliederungen“ durch den Verfassungsschutz auf. Hintermann der AL-Bespitzelung im Amt: Senatsrat Bakker.

Auf dem Höhepunkt des erst ein Jahr später installierten „Untersuchungsausschusses über die Fehlentwicklungen beim Berliner Verfassungsschutz“ bilanzierte die taz die Halbzeit des Untersuchungsausschusses am 18. Januar 1989 unter der Überschrift „Zwischen Effizienzkritik und Machterhalt“ und schrieb über Bakker: „Der regierenden CDU ersparte der wackere Bakker noch vor Jahresfrist einen handfesten Skandal: einen Bericht der Abteilung Rechtsextremismus über die Verquickung von Junger Union mit Rechtsradikalen stutzte er auf administrativem Wege auf die Rubrik 'harmlos‘ herunter. Damit noch nicht genug. Um ähnlicher Unbill für die Zukunft vorzubauen, ließ er im zweiten Zug gleich die betreffende Abteilung personell umstrukturieren. Auch soll es eben jener Bakker gewesen sein, der in der jüngsten Runde des VS-Skandals die Springerpresse mit internen Informationen aus dem Amt für den längst fälligen Entlastungsangriff der CDU versorgte.“

Postwendend kam eine Gegendarstellung („alles frei erfunden“) und die Aufforderung an die taz, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, in der ihr für den Fall einer Wiederholung ein saftiges Bußgeld (10.000 Mark) angedroht wurde. Die Gegendarstellung mußte die taz abdrucken, die Unterlassungserklärung jedoch hat weder die taz noch der Autor unterschrieben. Worauf die zweite Runde nicht lange auf sich warten ließ. Am 16. Februar stand die taz vor dem Kadi. Bakker hatte eine umfangreiche eidesstattliche Versicherung vorgelegt und verlangte erneut die Unterlassungserklärung. Die taz wollte nicht und legte ihrerseits gleich zwei eidesstattliche Versicherungen auf den Richtertisch. Daß in der taz keine Lügen standen, versicherten an Eides Statt zwei SPD-Abgeordnete, einer davon der heutige Innensenator Pätzold. Doch das Beamtenwort war gewichtiger als das zweier Volksvertreter, und die taz verlor den Streit vorerst. Zwischenzeitlich war die taz bemüht, den Leiter der Abteilung Rechtsextremismus beim Landesamt, Groenke, zu einer Aussage zu bewegen, denn der mußte es ja am besten wissen. Obwohl zur Aussage bereit, bekam Herr Groenke von seinem damaligen CDU- Dienstherrn jedoch keine Aussagegenehmigung, ganz im Gegensatz zu Senatsrat Horst Bakker.

Nachdem in Berlin „händereibend“ die „Chaoten“ die Macht übernommen hatten, gab es Schützenhilfe für die taz aus dem Amt. Mit einer eidesstattlichen Versicherung meldete sich nun der Leiter der Abteilung Rechtsextremismus, Groenke, zugunsten der taz zu Wort. Der Referatsleiter bestätigt darin, daß unter der Ägide seines Vorgesetzten Horst Bakker der von ihm erstellte Bericht über die „Infiltration demokratischer Parteien durch Rechtsextremisten“ verharmlost wurde. In einem Brief an seinen damaligen Dienstherrn Kewenig hatte sich Groenke zudem beschwert, daß die Umorganisation der Abteilung Rechtsextremismus per Zusammenfassung mit der Abteilung Ausländerextremismus unter einem neuen Leiter „nur von einem kleinen Kreis von Mitarbeitern im Amt betrieben wird, ohne Beteiligung der Fachreferatsleiter“. Zum „kleinen Kreis“ der Umstrukturierer gehörte seinerzeit auch Bakker. Die eidesstattliche Versicherung des Referatsleiters Groenke war für die taz nun Anlaß, den Fall Bakker der Staatsanwaltschaft zu überlassen. Die hat inzwischen die Ermittlungen aufgenommen.

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